Der eine Augenblick

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Auch Aratica spürte wieder das Ziehen, das den Beginn des Blutritus einläutete. Einige Nachtschrecken am Hexenstein wankten und lösten sich danach einfach auf.

Ihre Blicke wirbelten zwischen Yenraven, den beiden Rittern und Cyriana hin und her. Gerade hatte Dairos Gorald den Kopf abgeschlagen, als der Sog wieder zur vollen Stärke erwachte. Etwas Gewaltiges riss gnadenlos ihr Inneres nach außen. Araticas Beine gaben nach und sie sank kraftlos auf die Knie.

Was hatte Cyriana noch gesagt?

»Ihr müsst es tun. Wartet auf den Augenblick, der euch aber alles abverlangen wird.«Mühsam wandte sie ihren Blick hinüber zu der einstigen Yenraven, die immer noch mit dem Feuerelementar rang. Inmitten der Lichtung schwebte indessen die jetzige Yenraven über dem blutroten Gras und war in ihren Zauber vertieft.

Ihr fiel auf, dass jedes Mal, wenn Cyriana ihre gleißenden Energien in die lodernde Urgewalt fahren ließ, Yenraven etwas schwankte und der Sog sich etwas abschwächte, wie auch der Schmerz im Inneren nachließ.

Feuerelementar und Elementarhexe waren durch ein unsichtbares Band verbunden. In Yenravens Gesicht spiegelte sich die Qual wieder, die ihr Geschöpf erlitt.

Die um die Lichtung herum still stehenden Nachtschrecken lösten sich einer nach dem anderen auf. Sie sackten dabei klaglos in sich zusammen, gaben ihre gesammelten Lebensenergien frei, die Yenraven wie ein Schwamm aufsog.

Die verdammte Scheibe leuchtete rot auf und zog von unsichtbaren Händen in der Luft kreisend eine knisternde Funkenspur hinter sich her.

»Wartet auf den Augenblick«, hatte Cyriana gesagt.

Aratica begriff, dass dieser Moment gekommen war. Yenraven, durch die Beschwörung des Feuerelementars und seinem Kampf mit Cyriana geschwächt und zudem durch den Ritus abgelenkt, achtete nicht auf ihre Umgebung. Sie wähnte sich sicher, glaubte sich am Ziel ... wurde unvorsichtig.

Ihre Kräfte schwanden zunehmend. Araticas Blick begann sich gleichermaßen mehr und mehr einzutrüben. Über die Lichtung zog ein dunstiger Schleier.

»... alles abverlangen...« hatte Cyriana schließlich hinzugefügt.

Gut, dies passte. Aber sie fühlte sich so kraftlos. Ihre Eingeweide brannten vor Schmerz. Das Leben rann aus ihr heraus.

Cyriana und der Feuerelementar rangen immer noch miteinander. Was konnte diese Frau überhaupt noch ertragen? Die Kräuterkundige aus Granitfurt jagte in gleichmäßigen Intervallen ihre Energien in die Kreatur. Der Sog passte sich an, wogte einmal stärker, dann wieder schwächer.

Mit einem Klicken schnellte der goldene Dolch in ihre Wurfhand.

Bei allen Göttern, dachte Aratica, fast dreißig Fuß, keine Sicht und ich habe kaum Kraft aufzustehen.

Sogar das Atemholen fiel ihr immer schwerer. Wo stand nochmal die verdammte Bluthexe?Sie sammelte ihre letzten Kräfte, passte ihren Atem mühsam den Intervallen an. Auf ... ab ... auf ... ab ... auf ...

Keuchend stemmte sie sich auf ihre Knie, ihre Lunge brannte, die Sicht verschwamm und ein eisiges, klammes Gefühl kroch in ihre Finger. Sie spannte ihren Körper an, warf sich nach vorne und nutzte den Schwung für einen letzten verzweifelten Wurf mit dem Dolch.Dritter Versuch, Miststück, durchzuckte es sie.

Die von Raden-Sur geweihte Klinge schnellte aus ihrer Hand und sirrte auf Yenraven zu. Schwer schlug die Assassine auf dem Waldboden auf. Der faulige Geruch des rötlichen Grases stach in ihre Nase. Sie hatte das Letzte aus sich herausgeholt. Röchelnd floss der Atem des Lebens aus ihr. Die Lider schlossen sich.

»Nein!«, fegte Halikarnosas wilder Schrei durch ihren Geist. »Ausgerechnet du, eine dumme Göre.«

Der Schmerz in den Eingeweiden ließ fast schlagartig nach. Aratica riskierte ein Auge. Ihr Blick klärte sich. Auf der Lichtung stand Yenraven mit aufgerissenen, glasig werdenden Augen. Der goldene Dolch steckte wippend in ihrem Hals.

Der Feuerelementar begann sich derweil aufzulösen. Doch noch ehe er ganz verschwinden konnte, packte ihn Cyriana, lief torkelnd zum Hexenstein und schleuderte den Feuerelementar auf die Platte.

»Tochter, halte ein ... bist du wahnsinnig«, schrie Halikarnosa panikerfüllt auf.

Die gleißende Glut des Elementars ergoss sich über die marmorartige Platte des Hexensteins. Einen Moment lang schien nichts zu geschehen.

Krachend barst der Altar der Göttin.

Yenravens Körper klatschte im selben Moment rücklings auf den Waldboden. Ihre Hände hatten sich um den Griff des Dolchs gelegt. Mit ihrem letzten Atemzug löste sich der Feuerelementar vollends auf.

Ein Schrei ertönte in ihren Köpfen, dann erklangen weitere, wirre Worte. Halikarnosa zog sich zurück. Sie schien die Kontrolle über ihre Gedanken zu verlieren.

»Wer seid ihr?«»Warum ...«»Ich ...«»Ruhen.«

Die kräuterkundige Druidin torkelte zurück, sah sich um. Ein zufriedenes Lächeln glitt über ihre Züge. Sie griff an ihren Hals, umklammerte ihre beiden Anhänger, murmelte etwas. Langsam schlossen sich ihre Augenlider. Einen kurzen Augenblick lang fror die Szenerie ein.

Cyriana sackte am zerborstenen Hexenstein zu Boden und blieb reglos liegen.

Hexendämmerung - Die Legende der Bluthexe   (Band 1)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt