»Lasst sehen.«
Einen Augenblick lang wusste Cyriana nicht, auf was der Hohe Meister der Jünger Raden-Surs hinauswollte, doch dann, als er auf ihre Arme zeigte, wurde es offensichtlich.Ohne jegliches Zaudern krempelte sie die Ärmel ihrer Bluse hoch und streckte ihm ihre Unterarme auffordernd entgegen.
»Wie bekomme ich sie ab?« »Eine sehr schöne Arbeit, Cyriana.« Der Hohe Meister nahm die silbernen Armschienen in Augenschein, musterte die Inschriften interessiert.
»Sie stammt von den Artefaktschmieden.«
»Natürlich. Nur wenige sind in der Lage mit der Magie so kunstvoll wie sie umzugehen.« Er nahm ihre Unterarme in seine Hände und drehte sie, so dass er sie besser in Augenschein nehmen konnte. »Mittlerweile gelten sie als verschollen.«
Tywen beugte sich interessiert herunter. Seine linke Hand hielt währenddessen weiterhin die Sonnenscheibe Raden-Surs besitzergreifend fest. Er war noch lange nicht bereit, sich von seinem Diebesgut zu trennen. Es musste ihm viel bedeuten, seinem Vater, dem Regenten Dryadengrüns, die Scheibe zu bringen. Dennoch, die Eröffnung, das Artefakt bewohne eine Gottheit hatte ihn sichtlich erschüttert.
»Was machen wir mit der Sonnenscheibe?«, wollte sie von dem kahlköpfigen Meister wissen.Barut-al-Zavid strich über die Insignien der Armschienen. Sie waren in einer uralten Sprache verfasst, welcher der ähnelte, in der in früheren Zeiten die ersten Hexen ihre Bücher schrieben. Er konnte sie als einer der wenigen Menschen des Reichs lesen.
»Nachdem der Dämon fort ist, besteht für den Träger keine Gefahr mehr. Wir werden anderntags beraten, wem die Sonnenscheibe zusteht.«
»Dieses Gespräch muss nicht geführt werden, Hoher Meister. Die Scheibe gehört in die Hände meines Vaters. Sie ist Bestandteil der Geschichte meines Volks«, entfuhr es Tywen trotzig.Barut-al-Zavid ging auf die Worte des jungen Prinzen nicht ein. »Hmm, die Verschlüsse der Schienen sind versiegelt. Eine meisterhafte Arbeit. Das sieht nicht gut aus.«
Tywen furchte die Stirn. »Die Armschienen werden in meiner Heimat genutzt, um verurteilte Hexen ihrer Kraft zu berauben ... ehe wir sie zum Schafott führen. Die Schienen fallen wieder ab, sobald ihr Träger aus dem Leben getreten ist. Erst dann können wir sie wiederverwenden.«
Cyriana seufzte auf. »Euer Vorschlag wäre, mich zu töten?«»Natürlich nicht.«
In ihrem Rücken spürte sie, wie die Tür aufsprang und ein katzengroßer Schatten hereinglitt. Wenig später gesellte sich Zurolon ungeniert an ihre Seite.
»Armschienen haben einst Artefaktschmiede der Steppenwüsten gefertigt. Allerdings die Mehrzahl davon viele Jahre vor dem Hexenkrieg. Es gibt weniger als drei dutzend solcher Artefakte, die allesamt demselben Ziel dienen«, erklärte der Hohe Meister, ließ Cyrianas Arme los und setzte sich auf einen Schemel ihr gegenüber. »Eure Schienen sind viel neuer und hochwertiger. Eine derart virtuose Arbeit habe ich nie zuvor gesehen.«
»Welchem Ziel?«, hakte der Ritter aus Dryadengrün nach. In seinem Rücken tauchten nun auch Aratica und Kendar auf. Der Hohe Meister wies die Wächter, die den beiden nachfolgten, mit einer Handbewegung an, den Prinzen die Ketten abzulegen. Danach schickte er seine Jünger aus dem Raum.
»Ihr sagtet es schon, Ritter Tywen. Die Armschienen, die Cyriana trägt, sollen tatsächlich ihre Hexenkräfte unterdrücken. Geschaffen wurden sie einst auf Befehl des Regenten Dryadengrüns. Man wollte ein Mittel haben, Hexen mit außergewöhnlichen Kräften ihrer Macht zu berauben. Zweifellos waren es sehr kostspielige Auftragsarbeiten.«
Cyriana spürte den warmen Atem der Assassine in ihrem Nacken. Die Nichte des Königs lugte über ihre Schulter. »Sie hat gegen Yenraven Magie gewirkt.«
»Sie ist sowohl Druidin, als auch Hexe, Lady Aratica. Geboren wurden sie und ihre Schwester als die mächtigsten Druiden, die jemals gelebt haben. Doch die Hexenkräfte schlummerten bereits in ihnen und erwachten nach dem Genuss der Moderbeere. Die Armschienen unterdrücken nur ihre Hexen-Seite und schwächen etwas ihre druidischen Fertigkeiten«, erklärte Barut-al-Zavid, während er aufmerksam die Nahtstellen an der Unterseite der Armschienen nach einer Schwachstelle abtastete.
»Ich glaube nicht, dass das druidische Zauberei war«, beharrte Aratica.
Cyriana schwieg, wusste sie doch, dass die Assassine Recht hatte. Barut-al-Zavid hielt kurz inne. »Ihr habt mit Hexenmagie gezaubert? Das ist ... nicht möglich.«
»Wem verdankt ihr diese Schienen, Cyriana?«, wollte Tywen wissen.
»Ich bezahlte einen Artefaktschmied, sie anzufertigen und mir anzulegen.«Überrascht hob Tywen eine Augenbraue. »Ihr habt euch selbst eurer Fähigkeiten beraubt?«Cyriana erinnerte sich an das Gefühl, als sich damals die Schienen über ihrer Haut schlossen. Sie hatte es genossen, sich freier gefühlt. Es hatte ihr aber nicht den Schmerz der Erinnerung genommen.
»Vor achthundert Jahren war ich Teil der Hexenschar, die während des Hexenkriegs Blut und Verderben über unzählige Menschen gebracht hat. Glaubt mir, Prinz Tywen, es vergeht kein Augenblick, in dem ich mir nicht wünschte, es wäre alles anders verlaufen. Die Hexenkräfte sind kein Segen. Sie sind ein Fluch.«
Tywen schnaubte erbost. »In Dryadengrün wurden damals Dörfer, Weiler und Gehöfte niedergebrannt und Unzählige getötet. Die schrecklichen Taten wirken bis heute nach. Ihr seid schuldig, Cyriana ... und eine Mörderin.«
Cyriana schwieg betreten. Was hätte sie auch sagen sollen. Tywen hatte Recht.
Aratica fuhr sich durch ihre Rastalocken. »Sie hat im Wald zwei Basilisken mit ihren Kräften zerschmettert. So etwas habe ich noch nie gesehen«, erinnerte sie sich. »Ob Mörderin oder nicht, wir brauchen sie, um uns gegen Yenraven zu behaupten.«
Barut-al-Zavid schüttelte den Kopf. »Ihr müsst euch irren, Lady Aratica. Mit Druidenkraft ist keine direkte physische Gewalt möglich.«
»Dann scheinen die Dinger nicht zu funktionieren«, fuhr die Assassine glucksend fort. Sie beugte sich über Cyriana hinweg und kratzte mit ihrem Fingernagel über das Silber des Armreifs. »Kalt. Sie glühten, als sie zauberte.«
Barut-al-Zavid wurde sehr nachdenklich. Erneut packte er ihre Armschienen und wendete sie, betrachtete sie von allen Seiten. »Ich sehe keine schadhaften Stellen. Sie sind funktionstüchtig. Es ist unmöglich.«
Cyriana achtete nicht auf den hohen Meister. Sie und Tywen starrten sich immer noch an. Die Züge des Mannes aus Dryadengrün vereisten. Eine katzengroße Gestalt sprang auf den Tisch und baute sich vor Tywen auf »Sie hat seitdem viel Gutes getan, Tywen«, meldete sich Zurolon zu Wort.
Aratica glitt zwischen sie und dem Halbbruder Kendars. »Man hört so einiges über euren Vater, Tywen aus Dryadengrün. Politische Feinde verschwinden und treiben dann im Nebelfjord. Spielt euch also nicht als tugendhafter Ritter auf.«
Tywens Blick strich langsam über den Körper der Assassine, verharrte bei den leeren Halftern des Messergeschirrs. »Haltet euch da raus. Eure Profession ist klar ersichtlich.«
Kendar legte seinen Arm um seinen Bruder. »Ich freue mich, dass du wieder du bist. Aber dieser Streit ist sinnlos und letztlich hat die junge Meuchelmörderin nicht unrecht, Tywen ... und du weißt es.«
»Mag sein, Bruder. Dennoch muss Cyriana am Dryadenturm vor Gericht gestellt und für ihre Taten verurteilt werden.«
Cyriana seufzte. Sie hatten Recht mit ihren Vorwürfen. Natürlich konnte es keine Absolution für sie geben. Das hatte sie auch nie angestrebt. In den vielen zurückliegenden Jahrhunderten hatte sie stets nur zweierlei im Sinn gehabt. Möglichst vielen kranken oder verletzten Menschen, ungeachtet ihres Standes, ihrer Absichten und ihrer Vergangenheit, zu helfen und zu verhindern, dass die Göttin im Hexenstein zurückkehrte.
Sie fällte für sich eine Entscheidung. Sie hatte sich nie mit Halikarnosa oder der neuen Bluthexe messen wollen. Ihr Weg war es, im Dunkeln dafür zu sorgen, dass die Sonnenscheibe sicher war. Eine direkte Konfrontation war nun unumgänglich. Sie musste ihrem Schwur entsagen.
»Wie bekomme ich die Schienen ab, ehrwürdiger Hoher Meister?«
Wenn sie sich Yenraven und Halikarnosa stellte, benötigte sie ihre Macht als Bluthexe. »Hmmm, die Schienen sind mit euch und eurer Hexenmagie verwoben. Werden sie entfernt, ist das euer Tod.«
Aratica schüttelte den Kopf. »Ihr macht einen so wissenden Eindruck, aber ihr irrt. Sie hat Hexereien gewirkt, Barutilein. Vielleicht ist die Schiene doch kaputt.«
Der Hohe Meister seufzte schwer und wandte sich nun der Assassine zu.
»Auch wenn ihr von adeligem Geblüt seid, Lady Aratica und ihr mich auch ob eures wahren Gewerbes nicht täuschen könnt, bitte ich euch inständig darum, die Form zu wahren. Nennt mich Hoher Meister oder auch Barut-al-Zavid, aber bitte nicht Barutilein.«
»Ich versuche es, Hoher Barut.«
Der kahlköpfige Mann seufzte erneut, öffnete den Mund, um etwas zu sagen, verkniff es sich aber letztlich. Einen Moment lang schloss er die Augen, murmelte einen leisen Spruch, der Cyriana entfernt an die der Ordensritter erinnerte.
Sie nickte der Assassine zu. »Aratica hat Recht. Ich habe die Dämpfung der Schiene umgangen und habe gehext. Anders wäre ich den Basilisken nicht beigekommen.«
»Das ist ... «, begann Barut-al-Zavid, schwieg aber dann verblüfft. Er dachte nach. »Wenn ihr die Schutzwirkung umgehen konntet, Cyriana, dann seid ihr mächtiger als alles, von dem ich jemals gehört habe.«
Aratica legte ihre Hände um ihren Nacken und zog sie ganz nah zu sich heran. Cyriana erstarrte, als sie sich der Nähe der Assassine bewusst wurde.
»Da haben wir ja unsere Bluthexen-Töterin. Müssen die beiden nur noch zusammenbringen und warten, was geschieht.«
Ohne es zu wollen, versenkte Cyriana ihren Geist in den der Assassine.
»Mein Vater wird mich holen und ihr werdet euch entschuldigen«, fauchte die kleine Aratica. Ihr Gegenüber, ein grauhaariger, schlanker Mann mit strengen Gesichtszügen schüttelte mit unbewegter Miene seinen Kopf. »Dein Onkel hat schon alles arrangiert. Du gehörst nun der Gilde der Meuchelmörder an.«Aratica zuckte zusammen. »Was meint ihr?«»Dein Vater wird morgen hingerichtet. Er ist des Verrats an der Krone angeklagt.«»Er ist doch der Bruder des Königs?« In Araticas Augen standen Tränen.»Deine Talente sind zu außergewöhnlich und dein Onkel hasst Widerworte.«»Meine Mutter ...«»Sie ist abgereist ... und hat nicht einmal mehr nach dir gefragt.«
»Raus aus meinem Geist, Hexe«, fauchte eine Stimme und brachte Cyriana zurück in die Welt.Araticas Blick flackerte. Sie sahen sich beide in den Augen. Cyriana entdeckte das Leid des kleinen Kindes, das bis heute nicht erloschen war. Impulsiv nahm sie Aratica in den Arm. Die Angst vor Nähe war wie fortgewischt. »Es tut mir leid.«
Es klickte. Tywen keuchte überrascht auf und Kendar machte Anstalten, einzugreifen. Quer über den Hals der Kräuterkundigen lag Araticas goldener Dolch.
»Lasst mich sofort los, Hexe«, flüsterte die Nichte des Königs erbost. In ihrem Ton schwang Unsicherheit mit. »Ihr seid ... niemand.«
Cyriana dachte gar nicht daran ihren Griff zu lösen. Sie hielt das knabenhafte Mädchen noch eine Weile fest umschlungen, spürte das wilde Pochen von Araticas Herz. Schließlich gab sie die Assassine frei. »Ich habe euren Schmerz gesehen, Lady Aratica.«
»Nur weil ihr einen Basilisken zerrissen habt, der mich fressen wollte und ihr mich einen Hang hinaufgeschleppt habt, bevor mich ein Feuerelementar rösten konnte, sind wir keine Busenfreundinnen. Und schuldig bin ich euch auch nichts. Meine Loyalität gilt meinem Onkel, dem König des Reichs.«
»Ja? Ist das so?« Cyriana senkte ihren Blick »Aber ihr habt recht und seid mir nichts schuldig.«Araticas Augen wurden zu zwei schmalen Schlitzen »Macht das nie wieder« Ihr Dolch verschwand im Halfter des Oberschenkels.
Täuschte sie sich, oder schwang da Unsicherheit in der Stimme der Assassine mit. Sie hatte tief in die Seele des jungen Mädchens gesehen und gespürt, woher ihr Irrsinn kam. Als Kind zu einer Waffe, zu einer Mörderin geschmiedet, hatte sie verlernt, ein mitfühlender Mensch zu sein. Wieder eine Seele, die es zu retten gilt. Es muss aber warten ...
Sie wandte sich an den Hohen Meister. »Ich habe meine Hexenkräfte genutzt, doch ich befürchte auch, dass ich Schaden genommen habe. Etwas in meinem Inneren ...«
»Ich muss euch berühren und in euch hineinhorchen, Cyriana. Bitte lasst es geschehen.«Cyriana zauderte. Sie öffnete sich ungern anderen. Es gab da nichts zu entdecken, auf das sie stolz hätte sein können. Berührungen bedeuteten eine Verbundenheit, die ... schmerzte ... und derer sie nicht würdig war. Widerwillig stimmte sie schließlich zu.
Der Hohe Meister umschloss mit seinen Händen ihren Kopf, drückte die Augen zu und vertiefte sich in sie. Als sie einen stechenden Schmerz spürte, drängte sie seinen tastenden Geist zunächst zurück. Barut-al-Zavid stöhnte auf, verstärkte aber den Druck seiner Handflächen.
Cyriana zwang sich dazu, sich zu entspannen, konzentrierte sich schließlich auf ihr Inneres, dorthin, wo der Schmerz seit jenem Augenblick pochte, an dem sie gehext hatte.
»Ich nehme nur Schwärze in euch wahr ...«, berichtete der hohe Meister von seinen Eindrücken. Was sonst, als tiefschwarze Dunkelheit ... Ich bin ein Kind der Finsternis.
»Moment, jetzt sehe ich es, einen tiefen Riss, wie von einer klaffenden Wunde. Die Wundränder verströmen einen ekelhaften, fauligen Gestank ... da ... sind grünliche Schwaden, die versuchen den Spalt zu verschließen. Aber ...«
Er schwieg eine Zeitlang. »... es ist ein mühsamer Weg, die nekrotischen Ränder zu heilen ... «Ohne dass sie es bemerkt hatte, setzte ihr Körper also Druidenmagie zur Heilung ein. »Ich bin nicht sicher, Cyriana, ob eure Kräfte ausreichen, diese tiefen Schnitte zu schließen. Immer wieder sehe ich kleinere Risse, die aufbrechen. Moment ...«
Er vertiefte sich. Sie spürte, wie nun auch der Hohe Meister seine Magie wirkte und heilend eingriff.
»Es ist schwierig, euch beim Heilungsprozess zu unterstützen.«
Schließlich gab er auf und kehrte in seinen Körper zurück. Sein Blick war schwer und leidend. Nach einem kurzen Augenkontakt mit Cyriana, wurde auch ihr die schreckliche Wahrheit bewusst.
»Ich werde sterben?«
»Ich vermute, die beiden Hexenausbrüche haben zu einer Rückkopplung geführt. Ihr habt euer Selbst vergiftet. Ich habe eine schwärende Wunde gesehen, die sich ausbreitet. Noch sehr langsam, Cyriana, aber unweigerlich. Ich kann nichts tun. Ihr werdet sterben.«
Alle schwiegen erschüttert. Sogar Araticas spitze Zunge blieb stumm.
Cyriana hörte in sich hinein. Sie spürte nichts. Keine Angst, keine Trauer, nicht einmal Wut. Sie erntete, was sie gesät hatte. Unwillkürlich griff sie an ihren Hals. Schwester, bald bin ich bei dir. Das Elend endet ...
Sie richtete sich auf. Wenn das Ende nahte, dann konnte sie auch alles riskieren. »Es wird Zeit die Geschichte, die vor 800 Jahren begann, zu beenden. Ich habe ohnehin schon lange genug gelebt.«
Der hohe Meister legte ihr seine Hand auf die linke Schulter und blickte ihr tief in die Augen.
»Denkt daran, Cyriana. Ich weiß nicht, was passiert, wenn ihr noch einmal versucht, die Kräfte der Armschienen auszuhebeln. Je mehr Hexenmagie ihr anwendet, desto größer wird diese schwärende Wunde werden. Schon beim nächsten Mal kann das zu eurem sofortigen Tod führen.«
Sie schüttelte seine Hand ab. »Halikarnosa muss aufgehalten werden. Ich trage Mitschuld an allem, was geschehen ist. Es ist also Zeit dafür, die gerechte Strafe zu erhalten. Wir müssen den Hexenstein zerstören. Ich werde nicht mehr aus dem Schattenwald zurückkehren.«
Tywen gab noch nicht auf. »Auch wenn ihr vor Gericht gestellt gehört, Cyriana, so sollt ihr Gelegenheit erhalten, euch zu rechtfertigen.« Er wandte sich Barut-al-Zavid zu. »Ihr seid der Hohe Meister der Jünger Raden-Surs. Steht euch kein heilendes Artefakt zur Verfügung?«Das kahlköpfige Oberhaupt der Jünger Raden-Surs schüttelte den Kopf. »... rot bringt das Blut, und der Magie die Glut ...«, murmelte er nachdenklich.
Sie starrten ihn verständnislos an.
»Cyrianas Hexenkräfte sind die einer Bluthexe. Diese Blutmagie tötet sie nun von innen heraus.«Die beiden Prinzenbrüder und Aratica warfen einen verstörten Blick auf sie.
»Bluthexe?«, echote Kendar. Bislang hatten sie sie als Mitläuferin Yenravens, einer Namenlosen aus der Hexenschar, gesehen. Nun änderte sich dies.
Noch ehe Cyriana antwortete, legte ihr der Hohe Meister beruhigend die Hand auf den Rücken und drückte sie. »Sie wissen bereits, dass wir vor 800 Jahren im Wald waren, Cyriana. Wenn sie Ruhe finden und über euch nachdenken, werden sie erkennen, dass ihr keine einfache Hexe wart.«
Mit einem eisigen Blick bedachte er die beiden Dryadengrüns und die Assassine. »Niemand, der damals nicht dabei war, hat ein Recht zur Vorverurteilung. Cyriana ist Ultiane, die Schwester Yenravens, welche von Halikarnosa, jenem gottgleichen Wesen des Hexensteins, ebenfalls zur Bluthexe gemacht wurde.«
Die Augen der anderen wurden groß. Kendar zuckte die Schultern. Obwohl der Dämon von ihr beschworen worden war, hatte er ihre Gründe hierfür akzeptiert und trug ihr dies nicht nach. Tywens wache Augen musterten sie enttäuscht, aber nicht feindselig. Über Araticas Gesicht huschte dagegen ein kurzes, irritierendes Grinsen. »Und wenn sie Yenraven selbst wäre, sie steht jetzt an unserer Seite. Und ich finde Menschen, die Basilisken in der Luft zerreißen, ehe sie mich fressen, sehr sympathisch und hilfreich.«
»Die Zeit heilt Wunden, aber keine Schuld. Das sollte euch bewusst sein, Ultiane«, entfuhr es Tywen trocken.
»Bitte nennt mich weiter Cyriana.«
Ehe jemand darauf antworten konnte, stürmte ein Jünger in den Raum und flüsterte Turad-el-Zor etwas zu.
Der Adept trat nach vorne. »Hoher Meister, es gibt schlechte Kunde.«
Barut-al-Zavid hielt inne und gab dem jungen Ankömmling ein aufmunterndes Zeichen zu sprechen.
»Unsere Zeit läuft ab. Am Fuße des Hangs verfaulen die gelben Blüten Raden-Surs.«
Gewohnt gleichmütig dankte der Hohe Meister dem Boten, entließ ihn aber noch nicht, winkte ihn stattdessen zu sich heran. Er wechselte leise einige kurze Worte mit dem Jünger und schickte ihn danach aus dem Saal.
»Das war zu erwarten. Halikarnosas weißes Wurzelwerk versucht die Hänge zu erobern. Es wird Zeit, die Kraterschmiede zu verlassen. Wir müssen die Sonnenscheibe zu einem sicheren Ort bringen.«
»Das wird ein harter Ritt, Hoher Meister. Die Kreaturen des Walds haben sich sicherlich schon zwischen uns und dem Waldrand versammelt«, wandte Kendar ein.
»Wer spricht denn von Reiten?« Barut-al-Zavid grinste von einem Ohr zum anderen.
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Hexendämmerung - Die Legende der Bluthexe (Band 1)
FantasyBand 1: Vor hunderten von Jahren hat einst eine Bluthexe Tod und Zerstörung über die Dörfer am Schattenwald gebracht. Erst durch das Einschreiten des mächtigen Ordens, angeführt vom legendären Gorald von den tiefen Auen, konnte die Gefahr gebannt we...