»Das bringt nichts, Yenraven.«
Wie aus dem Nichts stand Logard neben der Bluthexe am Hang der Kraterschmiede und verfolgte mit unbewegter Miene, wie der Feuerelementar immer wieder vergeblich versuchte, den Hang hinaufzuschreiten.
Sobald er seine Füße in die gelben Blumenfelder setzte, erloschen nach und nach seine Flammen. Er fiel förmlich in sich zusammen, wurde mit jedem Schritt schwächer und schwächer. Nach wenigen Augenblicken kehrte er zu Yenraven zurück. Über die verbrannte Erde, die der Elementar am Hang zurückließ, wucherte der gelbe Pflanzenteppich.
»Wenn ihr zu lange zögert, ihn zurückzuholen, wird er für immer verwehen«, stellte Logard kühl fest. Yenraven warf ihm einen entnervten Blick zu. »Sehr hilfreich.« Sie runzelte die Stirn. »Woher bei den Hexengöttern kommt ihr?«
»Habt ihr vergessen, dass ich hier zurückgeblieben bin, um Raden-Surs Sonnenscheibe abzufangen?«
Das Gesicht Yenravens hellte sich auf. Sie vergaß in ihrer Vorfreude ihren Zorn auf Cyriana. »Dann habt ihr sie?«
Logard ignorierte ihre Frage und deutete stattdessen den Hang aufwärts.
»Ich konnte sie nicht in meinen Besitz bringen. Die Jünger Raden-Surs haben die beiden Ritter aus Dryadengrün abgefangen und in die Kraterschmiede gebracht.«
Fassungslos starrte die Bluthexe den mächtigen Hünen an. Die Wut brach tosend ihre Bahn. »Dann lauft jetzt gefälligst über dieses elende Blumenfeld und holt mein Artefakt.«
Unbewegt verfolgte der Hüne mit dem Flügelhelm, wie der Feuerelementar erneut versuchte, den Hang hinaufzuschreiten. Er hatte sich die Stelle eingeprägt, an der der Elementar zuvor gescheitert war. Diese Marke erreichte er diesmal nicht mehr. Einen Moment lang erwog Logard tatsächlich das Blumenfeld hochzustürmen. Er war sich ziemlich sicher, dass es ihm gelingen würde. Er war immun gegen Magie. Vermutlich würde er es schaffen. Aber in der Kraterschmiede wäre er auf sich allein gestellt.
»Ich wiederhole mich, Yenraven. Dieses Vorgehen ist sinnlos.«
»Nichts kann meinen Feuerelementar aufhalten«, fauchte die junge Hexe erbost. Sie hatte sich nicht mehr unter Kontrolle, ihr Weltbild, dass sie unbesiegbar war, bekam Risse
.Logard gewahrte nun auch, dass die Stiefel Yenravens in Fetzen an ihren Füßen hingen. Er schloss daraus, dass auch sie einen Versuch gewagt hatte.
»Cyriana ist mit dieser Frau aus Fels Karabatos den Hang aufwärts gelaufen. Warum kann ich das nicht oder mein Feuerelementar?«
Cyriana? Logard war einen Moment lang verwirrt. Er nahm geistig mit dem Hexenstein Kontakt auf. Etwas wozu er im Gegensatz zu Yenraven jederzeit in der Lage war. Wenig später hatte ihn Halikarnosa ins Bild gesetzt.
Das veränderte einiges ... und nicht zum Besseren. »Warum scheitert mein Elementar, warum scheitere ich?«
»Weil die gelben Blüten Raden-Surs spüren, ob jemand in friedlicher oder freundlicher Absicht kommt, ob derjenige kam, um zu töten oder zu rauben.«
Yenraven hatte die Worte Halikarnosas wie auch Logard wahrgenommen, denn sie hielt inne und schickte ihren Feuerelementar nicht erneut los. Stattdessen gab sie ihn frei. Er löste sich auf.
»Wie erreiche ich Cyriana, Mutter? Es kann doch nicht sein, dass sie im Hexenkrater sicher ist.« Sie klang wie ein kleines Kind. Ihr fehlte die Härte der früheren Yenraven.
Der Hüne mit dem Flügelhelm atmete tief durch, rührte sich aber nicht. Er erwartete die weiteren Anweisungen seiner Herrin Halikarnosa.
»Tochter, vergiss die Druidin. Die Sonnenscheibe ist viel bedeutsamer. Nur sie fehlt uns noch für das Blutritual.«
»Sie hat es gewagt, mir die Stirn zu bieten, Mutter. Sie muss sterben.«
»Sobald das Ritual vollzogen wurde, kannst du dich ihr widmen. Sie wird dann im Staub vor dir knien und winseln.«
Das Bild gefiel Yenraven, in ihren Augen leuchtete es auf. Ein breites, nahezu groteskes Grinsen umspielte ihre Gesichtszüge und ihr ganzer Körper zitterte in kindlicher Vorfreude.
»Wie kommen wir an die Sonnenscheibe? Die Jünger Raden-Surs sind in die Schmiede zurückgekehrt«, brachte Logard die wohl wichtigste Frage auf den Punkt.
»Die Sonnenscheibe ist im Schattenwald. Damit gehört sie uns. Sie werden die Kraterschmiede nicht mehr verlassen können. In diesen Augenblicken überwuchert dichtes Dornengestrüpp den Pfad aus dem Wald. Sie können nicht entfliehen.«
»Ich habe die Sonnenscheibe gesehen. Die beiden Ritter aus Dryadengrün besaßen nur die Scheibe ohne die Kugel«, fuhr Logard fort.
»Scheibe und Kugel werden sich vereinen. Beide sind nun an einem Ort. Was niemals getrennt werden durfte, findet wieder zueinander. Der Wald wird die Schmiede verschlingen.«
Yenravens Blick wandte sich dem Pfad zu, der zum Hexenkrater führte. Wie von Zauberhand drehten sich die Äste der Bäume über den Weg und Dornengestrüpp wand sich über das Pflaster.»Sendet Waldaffen oder andere Waldgeschöpfe. Wir erstürmen die Kraterschmiede!«, forderte die Bluthexe vehement. »Tut es!«
»Kind, gehe in dich. Ich brauche die Kreaturen in meiner Nähe. Nur dort können sie den Ort beschützen, an dem das Ritual durchgeführt werden kann. Ohne mich wirst du nicht aufsteigen.«
Yenraven schien noch nicht überzeugt, weshalb Halikarnosa eindringlich fortfuhr.
»Erinnere dich. Sie sind schon einmal den Weg aus Fels Karabatos entlanggeritten, um zu mir zu gelangen. Erreichen Sie mich und zerstören den Stein, ist deine Bestimmung verloren.«
»Yenraven, sieh.« Logard zeigte in Richtung des Kraterhangs. Unter der Erde bewegte sich etwas.
Das weiße Hexenmyzel versuchte den Hang hinaufzuwachsen.
»Noch hält Raden-Surs Blütenteppich. Aber er wird fallen. Und dann werden wir uns die Sonnenscheibe holen. Yenraven. Vertraut auf Halikarnosa.«
Logard lehnte sich gegen einen Baum und wartete, während sich Yenraven entschied, zu der Göttin im Hexenstein zurückzukehren. Die Belagerung der Kraterschmiede begann.
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Hexendämmerung - Die Legende der Bluthexe (Band 1)
FantasyBand 1: Vor hunderten von Jahren hat einst eine Bluthexe Tod und Zerstörung über die Dörfer am Schattenwald gebracht. Erst durch das Einschreiten des mächtigen Ordens, angeführt vom legendären Gorald von den tiefen Auen, konnte die Gefahr gebannt we...