Yenraven riss ihre Hände wie auf ein geheimes Kommando hin in die Höhe und murmelte Zauberformeln, die Cyriana zwar bekannt vorkamen, aber die sie schon längstens vergessen glaubte.
Obgleich sie wusste, dass es nahezu aussichtslos war, versuchte die Kräuterkundige mit Worten zu der Bluthexe durchzudringen.
»Yenraven. Hört bitte auf. Ihr tötet viele Unschuldige.«
Die junge Frau richtete einen entrückten Blick auf sie. Ihr feuerrotes Haar umtanzte ihr Gesicht, als wären die Strähnen lebendig. Ihre Züge wirkten verträumt. Sie schien über das blutrote Gras der Lichtung zu schweben.
»Ich werde Gott, Cyriana, begreift das doch endlich. Ihr habt dieses Geschenk einst ausgeschlagen. Ich werde ... ewig ...«
Erneut murmelte sie leise Formeln. Diesmal klangen sie in Cyrianas Ohren unbekannt, aber auf ihre Art ungemein bedrohlich.
»Oh, ich vergaß, Cyriana. In achthundert Jahren kann man sich schon mal mit dem Blutritual beschäftigen, es verschlanken, verbessern.«
Gorald trat an die Seite der Bluthexe und überreichte ihr die Sonnenscheibe. Yenraven ergriff sie und hielt sie mit beiden Händen gestreckt vor sich. Sie begann in einem überirdisch gleißenden Licht zu erstrahlen.
Etwas begann an Cyriana zu zerren. Ein unangenehmes Gefühl innerer Leere machte sich breit. Der Sog wurde stärker, zog unerbittlich ihre Lebensenergien aus ihr heraus.
Kendar ging schreiend in die Knie, hielt sich schmerzhaft den Bauch und kippte schließlich kraftlos vornüber. Dairos stieß ein grimmiges Stöhnen aus. Sein Körper zuckte, als hätte er ihn nicht unter Kontrolle.
Neben Cyriana sank Aratica, als wäre mit einem Schlag das Leben aus ihr gewichen, röchelnd zu Boden.
Sie nahm den Anhänger ihrer ermordeten Schwester in die Hand. »Gib mir Kraft«, murmelte sie leise. Der Sog umtanzte sie wie wabernder Nebel, zerrte und riss an ihr. Sie blockte ihn ab, lenkte ihn um. Wie ein Fels in der Brandung umspülte der mächtige Zauber sie tosend, schaffte es aber nicht, ihre Barriere zu durchdringen.
»Unerwartet«, kommentierte Halikarnosa. »Ich hätte dich gerne im Staub winselnd gesehen.«In erschreckender Klarheit wurde Cyriana bewusst, was sie war. Auch wenn sie die Mächte einer Bluthexe, ohne zu sterben, nicht einzusetzen vermochte, so war sie dennoch die mächtigste Druidin der Welt. Ihre Magie war die des Lebens.
Sie rammte ihren linken Fuß in den Boden und drehte sich nach vorne, gerade eben so, als ob sie sich selbst in einen Sturm hineinstemmen würde. »... Schwester, es wird heute enden ...« Sie ließ ihrer Druidenmagie freien Lauf, spürte die Winde um sich herum, das Vibrieren der Luft, die wärmenden Strahlen der Sonne.
Und dann ... wie eine Flut überschwemmte der Blutritus das Land.
Augenblicklich drangen schreckliche Schreie auf sie ein. Männer, Frauen und Kinder brachen im Reich, in Dörfern, Städten, auf Feldern, zusammen. Gnadenlos schmetterte der Blutritus sie zu Boden. Wie Fische auf dem Trockenen wanden sich die Leiber, zuckten vor Schmerz, keuchten ... und dann hauchte einer nach dem anderen sein Leben aus. Entsetzliche Pein schlug ihr entgegen. Ein Land starb ...
Sie blickte hinüber zu Yenraven. Die Bluthexe verlor den Bodenkontakt und schwebte einen Fuß breit über der Lichtung. Die Sonnenscheibe strahlte grell und hing frei in der Luft, kreiste schneller werdend um sich herum.
»Bei allen Göttern, Yenraven, kommt zu euch. Ihr bringt alle um«, schrie Cyriana verzweifelt, während ihr die Tränen die Wangen herabrannen.
Eine Familie auf einem nahegelegenen Bauernhof brach zusammen, als der Blutritus sie mit voller Wucht traf. Ihre Körper zerfaserten, lösten sich in Staub auf.
»Sie kann dich nicht hören. Und störe sie nicht. Die Zauber sind kompliziert genug«, erklang die samtweiche Stimme der Halikarnosa, gefolgt von einem fröhlichen Lachen.
Wild entschlossen bündelte Cyriana ihre Magie, kapselte sie um Yenraven, schloss die Bluthexe darin ein. Diese riss überrascht die Arme in die Höhe und stolperte zurück ins Gras. Augenblicklich erlosch der Sog, verebbte in Cyrianas magischer Kapsel, ohne Schaden anzurichten. Ein diabolischer Blick aus mittlerweile fast schwarz verfärbten Augen traf die Kräuterkundige.
Yenraven sammelte ihre Energien, um die störende Glocke aufzubrechen. Gleich Donnerschlägen krachte die Bluthexerei gegen den Schild, brachte ihn zum Wanken. Jeder Hieb grub sich tief in Cyrianas Geist, ließ sie wanken. Wie lange konnte sie dieser Macht noch widerstehen?
Dicke Schweißperlen troffen von ihrer Stirn. Mit brachialer Gewalt hämmerte die Bluthexe gegen die Glocke. Immer und immer wieder ...
Cyriana ging in die Knie, hielt ihren Schirm aufrecht. Vor ihren Augen tauchte das Gesicht ihrer Schwester auf. Sie sah sie an und nickte ihr zu. Ihre Lippen formten sich zu einem Wort ... »Leben«
Ihre Kiefer mahlten. Trotz des Schmerzes erschuf sie um die erste Glocke eine zweite Schicht ... und dann eine dritte. Die Hammerschläge verhallten ...
Neben ihr stemmte sich stöhnend Aratica in die Höhe. Der Sog erlosch und langsam kehrten die Kräfte in ihren zierlichen Körper zurück.
»Erstaunlich, Cyriana. Das hätte nicht einmal ich für möglich gehalten.«
Halikarnosas Stimme wirkte weiterhin ruhig und gelassen.
Yenraven verstärkte ihre Versuche, die Kapsel zu knacken. Dabei versuchte sie gar nicht, subtil vorzugehen und Schwächen auszuloten. Sie agierte wie ein Kriegshammer, nicht wie ein Florett. Schließlich sah sie ein, dass dieses Vorgehen keinen Erfolg brachte. Sie brach ihre Versuche ab. Cyriana richtete sich wieder auf, wischte sich mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn.»Was fällt euch ein, euch mir in den Weg zu stellen?«, schrie die rothaarige Bluthexe ihr über die Lichtung zu.
Gorald schien unschlüssig, ob er eingreifen sollte. Er sah zu Yenraven hinüber. Sie bedeutete dem Hünen, sich um sie zu kümmern. Mit einem Schulterzucken wandte sich der gepanzerte Recke mit dem Flügelhelm ab und schritt auf sie zu. Mit einer lässigen Bewegung legte er sich das Breitschwert auf die Schulter.
Cyriana sah sich einer neuen Gefahr gegenüber. Erschrocken wich sie zurück.
Diesen Moment der Unachtsamkeit nutzte die Bluthexe. Mit einem einzigen, starken mentalen Hammerschlag sprengte sie die schützende Glocke.
»Ihr seid wie Schilf im Sturm. Ihr könnt mich nicht aufhalten, Kräuterweib.«
Yenraven hob die Sonnenscheibe Raden-Surs in die Höhe und sogleich setzte der Sog wieder ein. Ächzend ging Aratica in die Knie und auch Kendar und Dairos, die sich gerade aufrichten wollten, um auf Gorald zuzustürmen, sanken auf den Boden.
»Ich bin Yenraven. Ich bin die wahre Macht hier. Ich bin Göttin«, keifte sie euphorisch. Sie begann nun wieder über dem Boden zu schweben. Die Sonnenscheibe begann aufzuglühen und zu kreisen.
Cyriana war von dem Ausbruch überrascht. Eine derartige Kraft hatte sie zuletzt in ihrer Schwester wahrgenommen. Sie konzentrierte sich wieder. Erneut bildete sich eine Kapsel um Yenraven.
Diesmal war es nicht mehr so einfach. Yenraven war gewarnt, zerstörte die schützende Glocke, noch ehe sie sich verfestigen konnte. Was auch immer Cyriana tat, aufmerksam konterte sie ihre Magie.
Derweil stakste Gorald weiterhin unbeirrt auf sie zu.Dann eben anders, durchzuckte es Cyriana. Sie riss mit ihren Gedanken das blutrote Gras unterhalb der Bluthexe aus dem Boden, bildete damit einen Wirbel, und ließ den Grastornado auf die junge Frau los.
Gerade noch wollte Yenraven einen Spruch murmeln, als ihr auch schon die Lufthose das herumwirbelnde Gras in den Mund schleuderte. Wütend spuckte sie aus und verlor die Orientierung.
Den Augenblick nutzend, gelang es Cyriana erneut, eine Kapsel über die Bluthexe zu stülpen, so dass der Sog abrupt abbrach.
Nun hatte Yenraven das Spiel endgültig satt. »Gorald, kümmere dich um sie.«
Neben Cyriana rappelte sich die Assassine keuchend auf. »Das wird langsam langweilig.«
Der ehemalige Großmeister des Ordens nahm seinen Beidhänder mit einer erschreckenden Beiläufigkeit von der Schulter. Auf seine körperlichen Angriffe hatte Cyriana keine Antwort. Dairos und Kendar stellten sich Gorald in den Weg. Sie hatten beide ihre Schwerter gezückt und verwehrten dem Hünen das weitere Vorrücken. »Verhindert weiterhin den Blutritus«, schrie der blonde Ordensritter und deckte den früheren Großmeister mit einer Serie von wilden Hieben ein.
»Ich muss sie töten, Mutter. Es geht nicht anders«, brüllte Yenraven verzweifelt, als sie erkannte, dass ihre Versuche die Kapsel zu sprengen erneut ins Leere liefen.
»Dann tue dies, Yenraven, ich habe sie aufgegeben.«
Cyriana zuckte zusammen. Es war soweit. Diesen Augenblick hatte sie gefürchtet, denn nun würde Yenraven ihre Elementarhexerei einsetzen, um sie auszuschalten. Die Zeit der Rücksichtnahme war vorbei und mit ihrer Druidenmagie war sie chancenlos.
Yenraven ließ den Sog enden, legte die Scheibe behutsam auf den Hexenstein und schritt danach auf sie zu. In ihren Augen loderte die Mordlust.
»Wie habe ich diesen Augenblick herbeigesehnt. Nur wir beide.«
Ihre Hände zeichneten konzentrische Kreise in die Luft, entflammten in einen funkensprühenden Wirbel. Sie wanden sich um die Oberarme, bildeten gleißende Armringe.»Ich werde euch zermalmen, Druidin und euer Knochenmehl über den Schattenwald verteilen.« Cyriana löste die Schutzglocken auf. Der Blutritus war erloschen und sie brauchte nun all ihre Magie. Erneut versuchte sie, zu der rothaarigen Hexe durchzudringen.
»Hört mir doch zu. Ihr werdet nicht zur Göttin. Halikarnosa belügt euch, wie sie mich und meine Schwester einst belogen hat. Ich war ihr ebenfalls verfallen. Damals befreite mich ein Jünger Raden-Surs. Heute will ich euch retten.«
Doch die Bluthexe achtete nicht mehr darauf, was sie sagte. Yenraven war schon längst verloren. »Ich werde meine Kräutergärten mit eurem Blut tränken. Ihr seid es nicht wert, den Namen meiner Mutter auch nur auszusprechen.«
»Wohl gesprochen, Tochter.«
Um Aratica nicht zu gefährden und ihr die Möglichkeit zu geben, ein Messer zu werfen, wich Cyriana mehrere Schritte zur Seite hin aus. Yenraven durchschaute ihr Manöver, streckte mit einer beiläufigen Bewegung die Hand aus und einige Kreise aus ihrem Unterarm wirbelten auf die Assassine zu.
Es gelang Aratica noch, unter den arkanen Energien wegzutauchen. Doch dabei wurde sie von der flirrenden Magie berührt. Wie von einer Titanenfaust getroffen, wurde sie mehrere Meter weit fortgeschleudert.
Erleichtert nahm Cyriana wahr, dass die Assassine sich sogleich wieder aufrappelte, allerdings benommen taumelte.
Kendar und Dairos waren unterdessen in einem wilden Gefecht mit Gorald verstrickt. Cyriana konnte der schnellen Abfolge von Hieben, Paraden und Finten nicht folgen. Gorald kam keinen Schritt näher auf sie zu, verlor aber auch nicht an Boden.
»Keiner von euch wird diese Lichtung lebend verlassen«, stellte der Hüne mit dem goldenen Flügelhelm fest, als Kendar und Dairos nach mehreren ungestümen Attacken kurz schweratmend pausierten und zurückwichen.
»Keiner!«, pflichtete Halikarnosa doppeldeutig bei. Ein glockenhelles Lachen ertönte.
Yenraven riss ihre Hände nach vorne. Cyriana spürte, wie etwas Mächtiges sie packte und zurückschleuderte. Sie schlug schwer auf den Boden auf, überschlug sich mehrfach, blieb schließlich auf dem Rücken liegen.
»Es ist mir vollkommen unverständlich, wieso meine Mutter soviel von euch hält. Ihr seid nicht mehr, als ein lästiges Insekt ... und genau so werdet ihr sterben.«
Die Bluthexe schritt entschlossen auf sie zu.
Erneut spürte Cyriana, wie etwas nach ihr griff und sie über den Boden schleuderte. Eine Erinnerung wurde in ihr wach.
»Kämpfe!«, hatte ihr Zurolon gesagt, als sie im Wald trotz der Bannreifen an ihrem Unterarm Hexenmagie gewoben hatte.»Nichts kann die Armschienen entfernen. Erst mit eurem Tod«, erklang die mahnende Stimme Barut-al-Zavids.»Kämpfe«, übertönte Zurolons Stimme die des Hohen Meisters.
Sie rappelte sich keuchend auf, hob die Hände mit den Armschienen und starrte Yenraven entschlossen an. Es war Zeit für den letzten Gang.
»Ihr werdet sterben, solltet ihr noch einmal versuchen Hexenmagie einzusetzen«, erklang erneut eine leise mahnende Stimme in ihrem Geist, die nach Barut-al-Zavid klang.
Sollte es doch!
»Ich komme. Yenraven kommt zu euch«, frohlockte Yenraven.
»Das ist nicht euer Name«, klirrte Cyrianas Stimme, kalt wie Eis.
Sie schlug die Armbänder gegeneinander. Ein lodernder Blitz zuckte in den Himmel. Die silbernen Schienen verfärbten sich, glimmten in einem düsteren Rot. Yenraven schien dies alles nicht zu kümmern. Sie rückte weiter heran.
»Ich bin Yenraven. Ich wurde wiedergeboren.«
Furchtbare Energien schlugen in Cyrianas Körper ein, als sie die Armschienen zu überbrücken suchte, um einen Zauber zu weben. Aus ihrem Mundwinkel floss Blut. Sie ignorierte den Schmerz.
»Ihr seid nicht Yenraven. Ihr seid ein Nichts«, keuchte sie und starrte die Bluthexe aus blutunterlaufenen Augen zornbebend an. In ihr staute sich Wut und Magie explosionsartig an.
»Halte sie auf, Tochter, schnell«, warnte Halikarnosa. Zum ersten Mal, seitdem Cyriana diese Stimme gehört hatte, schwang eine Spur Panik mit.
»Wie du willst, Mutter.« Die magischen Ringe lösten sich von Yenravens Unterarm, rasten sirrend auf sie zu. Ohne nachzudenken wirkte Cyriana ihre Hexenmagie. Den Bannzauber überwindend schlug sie den flirrenden Kreisen entgegen und ließ einen nach dem anderen in einem Funkenregen detonieren.
Die Armschienen pulsierten tiefrot, überstrahlten die Lichtung. Nachtschrecken am Rande der Waldschneise flohen panisch ins tiefergelegene, dunklere Dickicht.
Cyriana spürte die schwärende Wunde, die ihr die Blutmagie riss. Sie breitete sich in ihr explosionsartig aus. Alles, was sie berührte verfaulte. Sie beugte sich vor, spuckte Blut, ging in die Knie.
Yenraven stemmte ihre Hände in die Hüfte.
»Ich bin wenigstens jemand, Cyriana. Mein Name wird die Zeiten überstehen, während eurer verwehen wird.«
»Oje«, murmelte Halikarnosa leise, die wohl spürte, was nun geschehen würde.
In Cyriana erwachte die Bluthexe. Es war Zeit ... und es war unabwendbar ... Sie musste zu ihrem Alptraum werden. ... verzeih mir, Schwester ...
»ICH ...« Sie straffte sich, stand hocherhobenen Hauptes vor Yenraven, atmete tief durch und holte mit ihren Armen aus. Mit all ihrer Macht schlug sie die Armschienen aufeinander. Funken stoben. Ein schrecklicher Schmerz durchzuckte ihren Leib, fraß sich tief in ihn hinein. Feine Risse durchzogen das silberne Metall, wurden breiter. Gleißende Glut kroch durch die klaffenden Spalten.
»... BIN ...« Ihr Gesicht veränderte sich. Die Statur wurde etwas kräftiger, älter. Die Armschienen verflüssigten sich zu feurigem Magma, umwirbelten in geschmolzenem Zustand ihre Unterarme. Ein infernalisches Kreischen hub an. Vor ihrem inneren Auge tanzten die Gesichter derer, die sie einst getötet hatte. Ganze Familien hatte sie mit einem einzigen Schlag ausgelöscht. Unbarmherzig hatte sie Blut und Verderben gesät. Sie ...
»... YENRAVEN ...« Mit einem ohrenbetäubenden Knall rissen die Armschienen entzwei. Bruchstücke feurigen Magmas landeten überall auf der Lichtung, setzten das rötliche Gras in Brand. Die letzten Nachtschrecken stoben auf und davon.
Eine unnatürliche Stille legte sich über die Lichtung.
Ihr schwarzes Haar wandelte sich in Dunkelgrün. Aus nahezu schwarzen Augen starrte Cyriana, die einst Yenraven hieß, mitleidslos ihre Nachfolgerin an. »Und ihr seid ... ein jämmerliches Nichts ...«
Die aktuelle Yenraven torkelte zurück. »Mutter, dies hättest du mir sagen müssen.«
»Vernichte sie, Tochter.«
Aus den Augenwinkeln heraus nahm Cyriana wahr, dass Kendar und Dairos ihren Kampf gegen Gorald eingestellt hatten und zu ihr herüberschauten. Auch Aratica blickte irritiert umher. »Wen muss ich jetzt töten?«, hörte Cyriana sie konsterniert rufen.
Ein heftiger Würgereiz ergriff die Kräuterkundige und sie hustete sekundenlang Blut, spie große blutige Klumpen aus.
Hinter Yenraven flirrte die Luft, nahm Gestalt an. Eine lodernde Kreatur erschien, der Feuerelementar. Endlich. Yenraven hatte in aufkeimender Panik ihren letzten Trumpf beschworen.
»Verbrenne sie.« Yenraven wirkte unsicher, fasste sich aber und trat zur Seite. Sie gab dem Feuerelementar die direkte Linie preis. »Was auch immer ihr seid, Cyriana. Mein Elementar wird es von dieser Welt ausbrennen.«
Die Bluthexe eilte zurück zum Hexenstein. Sie wollte das Blutritual wieder aufnehmen. Derweil stakste die feurige Naturgewalt unbeirrt auf sie zu.
Nichts kann einen Feuerelementar aufhalten. So lauteten alle Geschichten, die jemals von denjenigen verfasst worden waren, die auf einen Feuerelementar getroffen waren und später davon berichten konnten.
Es blieb ihr nichts übrig. Sie würde den Wahrheitsgehalt dieser Geschichten prüfen, musste Aratica, Dairos und Kendar Zeit erkaufen. Auch wenn dies bedeutete, mit dem Tod zu tanzen.
»Ihr müsst hier weg«, schrie Aratica warnend, als sie sah, dass sie einfach stehenblieb, den Feuerelementar erwartete. Cyriana warf einen Blick auf die junge Assassine. Sie ruhte in sich.
»Ihr müsst es tun. Wartet auf den Augenblick, der euch aber alles abverlangen wird ... und denkt daran, man kann sich ändern.«
Die Naturgewalt war fast heran. Schon spürte sie die sengende Hitze. Nun denn. Es lag jetzt nicht mehr in ihren Händen, die neue Yenraven aufzuhalten.
Cyriana wartete auf keine Antwort Araticas und noch ehe der Feuerelementar sie erreichte, schnellte sie nach vorne, prallte auf ihn. Mit ihren Händen packte sie dessen lodernde Tentakel, riss sie zur Seite. Berstend zerplatzen diese unter der Wucht ihres Angriffs.
Unfassbare Hitze umspülte ihren Körper, drohte sie zu verbrennen. Ein Schmerz nie gekannten Ausmaßes durchflutete sie. Die feurige Naturgewalt löste sich aus ihren Händen und umgriff sie, wie ein Liebender seine Liebste. Der Elementar wollte nur eines, sie einäschern. Sie gewahrte einen tumben, nicht fassbaren Geist, in dem sich, überrascht ob ihrer Dreistigkeit, Gleichmut in ungezügelten, fast bösartigen Hass wandelte.
Glutheiße Feuerlanzen bohrten sich in ihren Körper, fraßen sich tief in das Fleisch. Nie zuvor war sie einem mächtigeren Wesen gegenübergestanden. Sie versuchte, in den Geist des Elementars einzudringen, suchte die Bindung, die die Kreatur mit Yenraven eingegangen war, wollte die Bande zerstören.
Ihre magischen Schilde gaben eines nach dem anderen nach. Unsagbare Glut durchfegte ihren Geist. Bilder aus den letzten achthundert Jahren blitzten in ihr auf. Blut rann ihr aus der Nase und den Augen.
Wie ein wildes Tier brach ihre volle Hexenmacht aus, stemmte sich in die Glut des Elementars, schleuderte sie aus sich heraus. Berstend detonierte die schwärende Wunde in ihrem Inneren, riss tiefe Furchen, ließ fauliges Fleisch zurück.
In diesem Moment spürte sie, wie der Sog abermals einsetzte. Yenraven hatte das Blutritual wieder aufgenommen. Erneut brachen überall im Reich die Menschen voller Schmerz zusammen. Alte und Kranke starben innerhalb weniger Augenblicke ...
Nein! Bei den Göttern, haltet sie auf!
Sie mobilisierte ihre Kräfte, fand das Band, das Yenraven mit dem Elementar geknüpft hatte und jagte einen Energiestoß nach dem anderen in das Wesen.
Jeder Stoß ließ das Band schwingen, wühlte sich tief in die flammende Kreatur und riss gleichsam klaffende Wunden in ihrem Inneren. Der Elementar verbiss sich immer tiefer in sie, ließ seinen glosenden Fluten aus Schmerz und Glut freien Lauf.
Bei allen Göttern, wieso fügte sie dieser Kreatur keinen Schaden zu? Je mächtiger sie ihre Zauber wirkte, desto mächtiger schlug das Wesen erbarmungslos zurück. Wie aus weiter Ferne vernahm sie ihre eigenen, gellenden, immer lauter werdenden Schreie. Gleich Dolchstößen rammte sie ihre Magie tiefer und tiefer in das Wesen hinein, griff nach dem Band, zerrte daran, verbiss sich darin. Aus Schmerz und Pein erwuchs Hoffnungslosigkeit. Er war zu stark. Panik machte sich in ihr breit. ... Nein, sie durfte nicht scheitern. Ihre Schuld war noch lange nicht beglichen ...
Feurige Glut umtoste sie, blendete sie. Sie spürte nur noch ihren brennenden Körper, schmeckte ihr eigenes Blut, roch ihr verbranntes Fleisch, hörte, wie ihre Schreie in bebendes Wehklagen übergingen. Wie hatte sie nur in ihrer grenzenlosen Überheblichkeit zu hoffen gewagt, sich mit einer Naturgewalt messen zu können?
Und dann hörte sie einen weiteren Laut. Einen Laut der Hoffnung.
In ihr Wimmern fiel eine zweite, immer infernalischer werdende Stimme ein. Ein Wehklagen aus einer anderen Welt überdeckte schließlich alles.
Der Feuerelementar brüllte vor Schmerz.
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Hexendämmerung - Die Legende der Bluthexe (Band 1)
FantasyBand 1: Vor hunderten von Jahren hat einst eine Bluthexe Tod und Zerstörung über die Dörfer am Schattenwald gebracht. Erst durch das Einschreiten des mächtigen Ordens, angeführt vom legendären Gorald von den tiefen Auen, konnte die Gefahr gebannt we...