Tribunal

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Raden-Surs goldene Scheibe ging am Horizont unter, als zwei Ordensgardisten in Cyrianas Kammer stürmten und die Kräuterkundige aus ihrem Bett rissen.

Unsanft bugsierten die beiden Männer die Druidin die Treppe hinab. Dort wurde sie bereits von Ignatus, dem buckligen Wissenswahrer und Dairos von Ordon, dem fanatischen Ordensritter, erwartet.

An den Wänden lehnten die überlebenden Gardisten und starrten sie teilnahmslos an. Nur einer von ihnen, der, den sie vor einem Basilisken gerettet hatte, nickte ihr kurz aufmunternd zu.Sie stießen sie in Richtung eines großen kreisrunden Tischs, zwangen sie auf einen kleinen Schemel. Nun saß sie Ignatus und Dairos gegenüber. Schräg im Hintergrund des Schankraums gewahrte sie eine große Gestalt. Torcaan stand mit verschränktem Arm und verkniffenem Gesicht nahe dem Schanktisch.

»Wusstet ihr, dass der Gastwirt tot ist?«, begann Ignatus unvermittelt. »Man hat seine Überreste hinter der Theke gefunden. Er sieht aus, als wäre ihm das Leben ausgesaugt worden.«

»Das war der Nachtschrecken ...«, sagte Cyriana. Sie war noch etwas schlaftrunken. In ihr regte sich wilder Kampfgeist. Mit welchem Recht wurde sie hier wie ein Schwerverbrecher behandelt? Ausgerechnet vom Orden.

»Mag sein, Cyriana. Habt ihr es ihm befohlen?«»Natürlich nicht.«»Dies und alles andere werden wir heute klären.«

Fassungslos starrte sie dem Wissenswahrer ins Gesicht. Ihr dämmerte, dass sie hier vor einem Tribunal saß, dessen Spruch bereits feststand. »Ihr müsst verrückt sein. Ich bin nicht euer Feind.«

»Nun, ein Freund seid ihr nicht. Wagt es nicht, uns weiter zu belügen. Ihr habt die Basilisken herbeigerufen, euch unrechtmäßig die Sonnenscheibe angeeignet, paktiertet mit einer unheiligen Kreatur des Walds und zuletzt drohtet ihr mit dem Untergang Granitfurts.«

Einen Moment lang fehlten Cyriana jegliche Worte. Sie schaute zu Torcaan hinüber. Der Bürgermeister musterte sie unschlüssig. Er war zwiegespalten. Als sich ihre Blicke trafen, sah er schuldbewusst zur Seite. Die Ordensritter hatten ganze Arbeit geleistet und die Bevölkerung in ihrem Sinne aufgeklärt. Der frühere Söldner gab wohl nun den rechtschaffenen Zeugen.

In den Augen Dairos' entdeckte sie ein unstetes Flackern. Er war hin und hergerissen. Die Ketten der Indoktrinationen des Ordens rüttelten an seinem wachen Geist, der auszubrechen drohte.

»Ich lüge nicht, Ignatus. Im Gefecht mit den Basilisken habe ich versucht euch zu helfen. Ich bin nicht mit diesen Kreaturen im Bunde.«

»Ihr habt tatsächlich versucht, diesen Anschein zu erwecken. Aber es wird euch nie gelingen, den Orden zu täuschen«, fuhr Ignatus fort, wurde aber sogleich von Dairos ergänzt. »Der Orden ist rein und strahlend, Cyriana. Wenn ihr gesteht, wird eure Strafe ein schneller Tod sein. Dafür stehe ich ein. Seid ihr unschuldig, werdet ihr frei sein.«

Für diese Worte fing er sich einen indignierten Blick des Wissenswahrers ein. Dairos' Augen lagen starr auf der Kräuterkundigen. Sie konnte seine Absichten nicht entschlüsseln.

Einen Moment lang hielt eisiges Schweigen im Schankraum Einzug. Niemand wagte zu sprechen. Cyriana wollte sich erheben, doch die beiden Ordensgardisten pressten sie fest auf den Schemel.

Ihre Hände steckten noch immer in den Handschellen fest.

Ignatus sprach weiter. Er hatte sich wieder gefangen und genoss sichtlich dieses Schauspiel, dessen Höhepunkt in ihrer Verurteilung und Hinrichtung gipfeln sollte. Ein Freispruch war nicht eingeplant.

»In der Tat war euer Plan gut durchdacht. Jahrelang habt ihr Granitfurt ausgespäht. Als nun eure Komplizen hier eintrafen und wir, der strahlende Orden, euch festsetzten, da habt ihr euch dazu entschieden zu handeln. Ihr habt die Basilisken gerufen, damit eure beiden Komplizen aus dem Reich Dryadengrüns entkommen konnten.«

»Sehr phantasievoll«, murmelte Cyriana trocken. Niemand schien es zu kümmern, dass die Geschichte hanebüchen war.

»Ich habe zugehört, als diese unheilige Kreatur, der Nachtschrecken, euch in Prinz Kendars Zimmer Bericht erstattet hat.«

Cyriana wollte aufbegehren, doch Ignatus ließ sie nicht zu Wort kommen.

»Wollt ihr abstreiten mit dem Nachtschrecken gesprochen zu haben?«»Nein, aber ...«

Der Wissenswahrer schlug mit der Faust kräftig auf den Tisch und brachte Cyriana zum Verstummen. »Ihr gebt es also zu ...«, flüsterte er zufrieden, »... dass diese finstere Kreatur, die den armen Kerl hier getötet hat, mit euch im Bunde war.« Die letzten Worte verhallten unheilbringend im Schankraum. »... und als wir, Ordensritter des rechten Glaubens, in die Kammer gestürzt sind, habt ihr noch versucht diesen Ausbund der Bösartigkeit zu retten.«Sie wollte etwas darauf erwidern, doch Ignatus ließ sie gar nicht zu Wort kommen. »Streitet es nicht ab, Cyriana. Das ist erbärmlich. Dafür gibt es reichlich Zeugen.«

Auf einen Wink des Wissenswahrers hin brachte einer der Ordensgardisten einen Folianten und legte ihn auf den Tisch. Andächtig schlug der Bucklige das Buch auf, blätterte einige Seiten weiter.

»Da, lest ...« Er schob den dicken Wälzer zu ihr hinüber.

Sie beugte sich zögerlich über das aufgeschlagene Buch. Es führte penibel genau alle Bewohner Granitfurts der letzten Jahre auf. Über jeden gab es hier sogar einen kleinen Absatz. Viele Zeichnungen schmückten die Seiten. Auf einer Seite war auch ihre Tante, Ultiane, abgebildet, wie sie einige Kranke in einem großen Saal versorgte.

»Ich bin bereits gestern darüber gestolpert, Cyriana. Ein ehrenwerter Bürger Granitfurts hat mich darauf gestoßen. Aber erst eure Armbänder haben mir die Augen geöffnet. Zuvor dachte ich an einen Zufall.«

Dairos beugte sich stirnrunzelnd nach vorne. »Ein Beweis, dass sie Ultiane ermordet, und sich ihren Hof erschlichen hat?«, vermutete er. Seine Stimme krächzte vor unterdrücktem Zorn. Es geht ihm nahe, durchzuckte es sie, aber warum?

»Viel besser noch, Dairos. Wartet ab.«

Cyriana blickte auf das Buch. Jetzt fiel es auch ihr auf. Der Zeichner hatte jedes Detail auf Papier gebannt, dessen er sich erinnern konnte. Auch Ultiane trug zwei Armschienen. Viel mehr war zwar nicht zu erkennen, aber dem Gelehrten schien dies zu reichen.»Fällt euch die Ähnlichkeit auf?«

Cyriana starrte Ignatus trotzig in die Augen. »Sehen eure Verwandten nicht auch so aus wie ihr, Buckliger?«

Der Wissenswahrer war viel zu sehr damit beschäftigt sich in seinem Triumph zu suhlen, um die Spitze wahrzunehmen. Er winkte eifrig einen anderen Ordensgardisten heran, der bereits ein weiteres aufgeschlagenes Buch in den Händen hielt.

Diesmal wurde es direkt vor ihr abgelegt.

»Hier wird übrigens von einer Zaranna berichtet, einer Tante von Ultiane. Leider fand ich keine Zeichnung. Aber die, wenn auch vage Beschreibung von Zaranna passt auch auf euch. Bedeutsamer ist aber, dass sie, als sie verstarb, ihre Hütte einer jungen Nichte namens Ultiane vermachte.«

Der Bucklige gab ein Zeichen, woraufhin die beiden Gardisten die Bücher wieder abräumten. Cyriana entspannte sich etwas. Was auch immer jetzt kommen mochte, es konnte nicht schlimmer werden.

Es kam schlimmer.

»Ich behaupte mal, Cyriana, alle drei Personen seid ihr. Nur unheilige Hexenmagie kann ein Leben um eine derartige Zeitspanne verlängern. Und wisst ihr, wovon ich überzeugt bin?«Sie schwieg und schloss die Augen. Es ist ausweglos, durchzuckte es sie.

In die folgende Stille, in der man eine Stecknadel hätte hören können, beugte sich Ignatus weit nach vorne. »Ihr seid Yenraven«, flüsterte er ... und es war wie ein Donnerhall.

In Cyriana brachen alle Dämme. Sie sprang auf und die beiden überraschten Ordensgardisten stolperten zur Seite. Mit ihren Fäusten hämmerte sie auf den Tisch. »Ihr seid ein Narr, Ignatus. Wenn ihr mich tötet, dann wird Yenraven immer noch hier sein und ihr Werk fortführen. Eure sogenannte Schlussfolgerung wird sich dann als furchtbarer Trugschluss erweisen.«

»Nur, dass ihr das nicht mehr miterleben werdet, Hexe«, vollendete Ignatus genüsslich. Er nickte bedächtig. »Vielleicht irre ich mich wirklich. Dann tut es mir aber dennoch nicht leid. Wenn ihr nicht die verfluchte Bluthexe selbst seid, so seid ihr zumindest deren treuer Vasall. Der Orden beweist hierdurch, dass er die Menschen vor dem Bösen beschützt.«

Er ließ seinen Blick beifallheischend über die Anwesenden streifen.

»Ich bin Druidin.« Cyriana sah hinüber zum Bürgermeister. »Ich habe den Bürgern Granitfurts stets geholfen.« Diesmal hielt Torcaan ihrem Blick stand und wandte sich nicht ab. Sie spürte, dass er ihr glauben wollte. »Während ihr euch hier in einem Schauprozess vertändelt, nähert sich euch die wahre Bedrohung.«

Kräftige Arme drückten sie wieder auf den Schemel zurück.

»Verratet uns alles über Yenravens Pläne, Hexe, dann werden wir euch schnell und gnadenvoll richten.« Ignatus sah auffordernd zu Dairos hinüber, doch der Ritter saß apathisch auf seinem Platz und reagierte nicht. Der Bucklige wandte sich stirnrunzelnd ab.

»Ihr sprecht immerzu davon, dass ich eine Hexe bin. Dabei wirke ich allein druidische Magie.« Es schien so, als habe Ignatus auf diesen einen Augenblick gewartet. Sein Gesicht verzog sich vor kindlicher Freude. Genüsslich zog er aus einer Tasche seiner Plüschweste einen weißen, glattgeschliffenen Stein hervor. Er lag in einem silbernen Rahmen kunstvoll verarbeiteter Schwerter.

»Ich habe, Hexe, nach unserer ersten Begegnung einen Kurier in die Ordensburg zur göttlichen Hand geschickt. Der Orden hat, wie ihr wisst, einige magische Steine im Besitz. Wir sind nicht stolz darauf, da uns Zauberei in all ihren Formen anwidert, aber diese Wahrheitssteine, wie wir sie nennen, spüren Magie auf, enttarnen Hexen. Sie sind äußerst nützlich.«

Cyriana schnaubte. »Seit wann benötigt der Orden derlei Schnickschnack, um jemand der Hexerei zu beschuldigen?« Ihr Herzschlag beruhigte sich etwas, als ihr Blick auf den Wahrheitsstein fiel. Sie musste nun unbedingt ruhig bleiben.

Ignatus schob das Artefakt unbeirrt über den Tisch, auf sie zu.

»Der Wahrheitsstein, Hexe, verfärbt sich je nach Magie, die er spürt. Ihr könnt ihn nicht täuschen.«

»Nennt mich nicht Hexe«, fauchte sie.

»Blau, wenn ihr ein ehrwürdiger Magier seid, grün, wenn ihr eine schlichte Druidin seid ...«Cyrianas Augen fixierten den Stein, der nur eine Handbreit vor ihr lag und in einem sanften Weiß zu pulsieren schien. Ihr wurde bewusst, dass sie am Scheideweg stand.

»... Schwarz wird er im Übrigen, solltet ihr über nekromantische Magie verfügen und gelborange, wenn ihr göttliche Wirkzauber ausüben könnt ...«

Ignatus gab den Gardisten an ihrer Seite ein Zeichen. Fäuste packten sie und schoben sie nach vorne. Die große Hand eines Mannes legte sich auf die Ihre und nötigten sie, nach dem Wahrheitsstein zu greifen.

»... und wenn ihr die unheiligen Künste der Hexerei beherrscht, wird er ... glutrot.«

Die Hand des Soldaten zwang ihre Finger, den Stein zu umschließen. Der Ordensgardist riss ihren Arm in die Höhe, so dass jeder in der Stube den Wahrheitsstein im Blick hatte. Er begann immer stärker zu pulsieren. Das weiße Glimmen waberte über den Schankraum. Gleichsam kroch die Magie des Steins fordernd und verlangend tief in ihr Inneres. Sie fröstelte.

Auf einen Wink Ignatus' hin, drehten seine Männer die Dochte der Laternen herunter, so dass schließlich der Schein des Artefakts den gesamten Raum ausleuchtete.

Alle Augen richteten sich auf das Licht des Schmuckstücks, welches weiterhin in einem strahlenden Weiß pulsierte. Ignatus furchte die Stirn. »Warum funktioniert es nicht?«, hörte sie ihn murmeln. Er wirkte verwirrt. Cyriana spürte in ihrer Hand ein leichtes Kribbeln. Das Artefakt wurde wärmer. Es versuchte, ihre Magie zu entschlüsseln, scheiterte aber immer und immer wieder.

Doch dann war es so weit. Zunächst flimmerten die Strahlen regenbogenartig, zeigten alle Farben des Spektrums, auch welche, die Ignatus nicht erwähnt hatte ... und dann pendelte es sich schließlich auf ein kräftiges Grün ein.

Im grünen Schein des Wahrheitssteins glitt über Cyrianas Gesicht ein zufriedenes Lächeln. Sie schluckte den Kloß in der Kehle hinunter.

»Nein.« Ignatus sprang auf und starrte verblüfft auf das Artefakt, das Cyriana eindeutig als Druidin, nicht als Hexe auswies.

Der Griff des Ordensgardisten erlahmte. Cyriana öffnete die Hand und das magische Artefakt klirrte auf den runden Holztisch. Zufrieden nahm sie wahr, wie etwas von der kunstvollen Verzierung absprang.

Dem Wissenswahrer fehlten die Worte. Ihre Blicke kreuzten sich. Er riss die Augen auf. Ob er ahnte, dass sie damit gerechnet hatte, dass er es mit dem Wahrheitsstein versuchen würde? Es war nicht das erste Mal, dass man ihr Hexerei vorwarf. Sie konnte sich das Grinsen nicht verkneifen. Zwar war sie nicht außer Gefahr, doch würde es Ignatus nun schwerfallen, seine Anklagen zu untermauern.

Automatisch griff sie sich an ihre Brust und tastete nach den zwei Kettchen. Sie holte sie hervor und hauchte einen Kuss darauf. Schwester, alles wird gut ...

Doch noch ehe Ignatus etwas sagen konnte, überschlugen sich die Ereignisse.

Wie von der Tarantel gestochen sprang Dairos aus seinem Stuhl auf und starrte sie, nein die Anhänger, die sie hervorgeholt hatte, verständnislos an. In jenem Moment, in dem er etwas sagen wollte, brach die Hölle über die Gaststube herein.

Männer, Frauen, Kinder, stürmten in die Herberge. Jetzt erst nahmen sie alle das panische Geschrei wahr, welches aus der stockdunklen Nacht an ihre Ohren drang ... und immer lauter wurde.

Nachtschrecken folgten den Menschen. Dutzende.

Hexendämmerung - Die Legende der Bluthexe   (Band 1)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt