Sonnenscheibe

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Cyriana war aufgebracht. »Ernsthaft, Tywen?«

Sie und der Prinz aus Dryadengrün saßen sich auf dem Boden gegenüber und lehnten mit ihrem Rücken jeweils an einem Bücherregal.

Ignatus vom goldenen Turm hatte nach der Befragung Tywens angeordnet, sie beide in einen der kleineren Lesesäle zu sperren. Hier würden sie wohl die Nacht gemeinsam verbringen müssen. Der Wissenswahrer von der Ordensburg zur göttlichen Hand war von Tywens Erzählungen nicht sonderlich erbaut. Kaum anzunehmen, dass er noch für eine bequemere Unterkunft sorgte.

Die Strafe war eine gemeinsame Nacht ohne Bett im Archiv Granitfurts.»Ihr glaubt mir also auch nicht, Heilerin.«

»Pah, Tywen. Ich glaube euch nicht nur NICHT. Ihr habt gelogen.«

Der Ritter aus Dryadengrün hob seinen Kopf und musterte sie argwöhnisch. Der Lesesaal war zwar nahezu dunkel, doch hatte Dairos angeordnet, dass sie zumindest eine Laterne bekamen, die etwas Licht spendete. »Lasst mich in Ruhe, Heilerin. Eure Aufgabe ist es einzig, euch um meinen Bruder zu kümmern. Alles andere ...« Er schloss demonstrativ die Augenlider. »... geht euch nichts an.«

So nicht! Verärgert rutschte sie etwas nach vorne und trat mit ihrem Stiefel kräftig gegen das Schienbein des Prinzen. Er öffnete die Augen und legte seinen Kopf schief. »Was wollt ihr?«

Cyriana rekapitulierte. »Ihr habt Ignatus erzählt, ihr seid über die alte Kupferstraße nach Fels Karabatos gereist, um dort zu nächtigen. Soweit so gut. Am nächsten Tag seid ihr weitergezogen. Auch wieder über die alte Kupferstraße nach Granitfurt ... und damit endet eure aufsehenerregende Geschichte.«

Sie behielt Tywen im Blick, doch der Prinz reagierte nicht, blieb gelassen. Sie schwiegen sich eine Weile an, ehe er sich dann doch genötigt sah, etwas hinzuzufügen. »Ich weiß wirklich nichts darüber, was nach meiner Abreise in Fels Karabatos geschehen ist.«

»Euch muss doch klar sein, dass Ignatus dies nie akzeptieren wird. Er wird euch morgen auseinandernehmen.«

»So?« Er hob eine Augenbraue. »Er wird sich hüten.«

»Allein zeitlich kommt das nicht hin. Ihr hättet schon vor Wochen hier in Granitfurt sein müssen. Es sei denn ihr seid den Weg vom Fels hierhergerobbt.«

»Vielleicht sind wir das.«Cyriana schloss die Augen. Warum machte er es ihr nur so schwer. Sie wusste doch schon, was er getan hatte. Er vertraute ihr nicht. Aufseufzend wurde ihr bewusst, dass sie viel mehr verheimlichte als ihr Gegenüber ... und Tywen ahnte dies.

Der Armbrustschütze aus Dryadengrün kramte aus seiner Gürteltasche einen kupferfarbenen Gegenstand hervor. Er zögerte kurz, dann warf er ihn Cyriana zu. Sie fing die kleine Figur auf und musterte sie.

Die Statue zeigte ein im Reich eher unbekanntes Wesen, einen Affen, der am Boden saß und sich mit seiner rechten Hand am Kopf kratzte. Bemerkenswerter war jedoch, dass es sich um eine Figur komplett aus Kupfer handelte.

»Als ich ein Kind war, gab mir meine Mutter diese kleine Tierfigur. Es war ihr wertvollster Besitz. Immer wenn wir stritten holten wir diese kleine Statue hervor.«

Der Affe war zwar überdurchschnittlich gut verarbeitet, doch kein Meisterwerk. Cyriana blickte unter den Primaten und gewahrte zwei Initialen und eine Jahreszahl.

»Die Figur ist über tausend Jahre alt. Aber wertvoll? Ihr seid ein Prinz und habt sicherlich in kostspieligeren Laken geschlafen.«

Tywen schnaubte. »Ihr irrt euch, Heilerin. Meine Mutter war eine einfache Schneiderin. Mein Vater, ja, mein Vater war der Regent. Aber ich bin nur einem kurzen Augenblick des Verlangens entsprungen. Ich bin ein Bastard und wie alle Bastarde meines Erzeugers, bekam ich eine ausgezeichnete Ausbildung. Da ich in Kendars Alter bin, wurde ich sein Begleiter, Beschützer und Spielkamerad. Eine andere Rolle ist mir nicht zugedacht.«

Sie stieß sich von der Wand ab und stellte die Figur auf halbem Weg zu Tywens Platz auf den Boden.

»Gut. Dann erzählt mir etwas über den Affen ... oder über euch.«

Er schwieg. Cyriana wollte schon wieder das Gespräch aufnehmen, als der Bastardprinz sich nach vorne bückte und die kupferne Affenskulptur wieder an sich nahm.

»Irgendetwas sagt mir, Heilerin, dass ich euch nichts über den Affen erzählen muss. Ihr scheint mir immer etwas voraus zu sein. Nichts überrascht euch und es würde mich tatsächlich enttäuschen, müsste ich euch hiervon etwas erzählen.«

Cyriana zögerte. Er hatte natürlich Recht. Sie war den Lügen und der Täuschung so unendlich müde. Sie umfasste verzweifelt die Kettchen an ihrem Hals. 

Hexendämmerung - Die Legende der Bluthexe   (Band 1)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt