Boiling Blood

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Dylan


Mein Blut kocht. Siedet bei 100° Celsius in meinem Hals, meinen Armen, den Handgelenken. Dennoch lasse ich mir nichts davon anmerken. Fuck, wenn ich mich jetzt verhalte wie Tyler und gegen die Tür boxe wie ein Psychopath, schreckt sie nur zurück.

Ich kann sie nicht vertreiben. Nicht verjagen, nur weil ich wütend bin.

Wäre ich nur schneller hier gewesen. Schneller aus dem Fenster geklettert... von dem Carport auf die Auffahrt gesprungen, dann wäre nichts passiert.

"Was hat er gemacht, Lilly?", hake ich erneut nach, als sie mir noch immer nicht antwortet.

Gott, ich kann mir nur vorstellen, was es war, wenn Tyler so aufgelöst deswegen ist.

Er hat mehr als einmal mitbekommen, wie Brooke genau die gleiche Scheiße passiert ist. Wie sie wieder und wieder von Männern benutzt wurde.

Jedes Mal, wenn ich an den Abend in der Liberty High denke, und an Chase, der sie mit Hand unterm Kleid gegen die Tafel presst, verkrampft sich alles in mir. Wie sie mich angesehen hat, als ich die Tür aus den Angeln getreten habe. Aufgelöst. Kreidebleich und völlig erleichtert, weil sie wusste, dass sie in Sicherheit ist.

"Bitte, Lilly. Bitte sag mir, was er dir angetan hat.", ich überquere die Lücke zwischen uns und lege meine Hände an ihren Hals. Ihre Aschblonden Haare, die sich leicht auf meine Handrücken ablegen, als ich sanft meine Daumen über ihre Kieferlinie streiche.

"Nichts. Dylan, wirklich.", lügt sie mit so einer Leichtigkeit und Authentizität, dass ich es ihr fast abkaufe. Vielleicht, weil ich mir nichts mehr wünsche, als dass es wahr ist. "Es ist nichts passiert.", sie lächelt und reibt mit ihren Fingern über mein Handgelenk.

"Bullshit.", flüstere ich so leise und ernst, dass sie ihre Augen schließt.

Ich mache mir nichts vor. Irgendwas ist passiert, sonst wäre sie nicht so neben der Spur. Es ist nicht ihre Stimme, die ist bedacht. Diszipliniert und gefasst, um mir keine Angst zu machen. Doch ihre Finger sind zittrig und selbst wenn sie lächelt, kann ich in ihren Augen sehen, dass irgendwas vorgefallen ist.

"Okay, du hast Recht.", sie seufzt, als sie ihre Augen auf den Boden richtet. Es mir unmöglich macht sie zu lesen. "Tyler kam gerade rein, als Shawn ausgeholt hat.", ihr Blick fährt an mir vorbei geradewegs an die Wand neben der Treppe.

Ich folge ihrem Blick. Lasse meine Hände auf ihre Schulter nieder und sie langsam an den Armen herabsinken. "War er das?", ein ca. 15 cm großes Loch durchfährt die hellblau gestrichene Trockenbauwand.

"Er hat mich nicht erwischt. Ich bin mir nicht mal sicher, ob er das überhaupt wollte.", fährt sie fort und legt ihre zittrige Hand an meine Wange, was mich dazu bewegt, mich umzudrehen.

Meine Sicht verirrt sich erneut in ihren dunkelbraunen Augen, die mich so seltsam warm und geborgen fühlen lassen, wie es noch nie eine Person mit einem Blick bei mir geschafft hat.

Sie erinnern mich an antike Bücher in einer kleinen Bibliothek. Schokoladenplätzchen vor dem Kaminfeuer. An meine Lieblingsjahreszeit und die verfärbten Blätter auf dem Boden. Verflucht ihre Augen schenken mir Wärme und Zuflucht und ich möchte ihnen so gerne glauben.

"Ich glaube er wollte es mir heimzahlen, indem er mir Angst einjagt.", sie schaut mich an. Lässt mir die Möglichkeit sie zu betrachten und zu ermitteln, ob sie lügt. "Tyler kam rein und hat Shawns Faust auf mich zu rasen sehen.", sie zuckt mit der Schulter, während sie mir die etwas zu langen Haare über meinem Ohr dahinter streicht. "Ich schätze aus dieser Sicht muss das Ganze noch schlimmer ausgesehen haben."

Forschend beobachte ich ihre Mimik. Versuche ausfindig zu machen, ob sie mir die Wahrheit sagt. Ihre Maske ist einwandfrei, aber genau das ist der Grund für mein Zweifeln. Auch wenn es ihr schwerfällt, waren wir noch vor kurzer Zeit oben und sie hat mich hinter die Maske schauen lassen.

Sobald man einmal ein echtes Lachen von ihr gesehen hat, ist jedes unaufrichtige Lachen leicht zu erkennen.

Doch sie lacht nicht. Ihre Lippen sind geschlossen und zu einem feinen Lächeln nach oben gezogen. Es sind die Augen, die noch immer glasig aussehen und mir zeigen, dass sie das Ganze nicht so einfach wegsteckt, wie sie es vorgibt. Ihre Hände die zittern, wenn auch inzwischen weniger. Sie versucht mich eindeutig zu beruhigen, aber das ist das letzte, was ich will. Ich bin nicht derjenige, der unter diesem Vorfall leidet, sondern sie.

"Geht es dir wirklich gut?", wenn jemand die Kunst des Verbergens so gemeistert hat, kann man nichts tun, als zu vertrauen.

"Er hat mir nicht weh getan, Dylan. Nur erschrocken.", bestätigt sie mir und nickt. Presst ihre Finger in meinen Nacken, stellt sich auf die Zehnspitzen und zieht mein Gesicht zu sich runter, um mich zu küssen.

Ein einziger Kuss, mit dem sie mich überzeugen will, dass das alles keine so große Sache ist, wie es scheint. Ein Kuss, mit dem sie mir verspricht, dass es ihr gut geht. Ein Kuss, der viel zu früh endet, als wir Tylers schwere Schritte auf der knarzenden Treppe hören.

Lilly springt nahezu von mir weg und würde meine Hand nicht langsamer handeln als ihr Körper, wäre sie vermutlich schon auf der anderen Seite des Flures, aber mein Griff an ihrer Taille, hält sie noch immer an Ort und Stelle.

Solange bis sie meine Hand wegschiebt, ein Lächeln auf ihren Lippen.

In 99% der Fälle würde sie sich vermutlich noch extra an mich schmeißen nur um Tyler zu provozieren, aber sie merkt wie aufgelöst er ist und in schwierigen Situationen halten sie immer zueinander.

Das sie Abstand von mir hält ist ihre Art ihn zu beruhigen. Eine Sache weniger, um die er sich jetzt gerade kümmern muss.

Tyler rauft sich durch die Haare und legt seine Hand in den Nacken, als er am Boden der Treppe ankommt. Sein Blick fällt zu ihr und er hebt seine buschigen Augenbrauen. "Fertig?"

Sie nickt und drückt kurz meinen Unterarm, bevor sie zu ihm rübergeht. Wäre die Stimmung nicht so verflucht geladen, müsste ich wegen ihrer Verabschiedung lachen. Ein leichter Druck auf meinem Unterarm ist das einzige, dass ich von ihr in Tylers Gegenwart bekomme und dennoch sehr viel mehr als ich erwartet habe.

Ich schaue ihr hinterher, als sie zu ihm läuft und bleibe mit meinem Blick an dem Loch in der Wand hängen. "Ich schicke morgen früh jemanden deswegen vorbei.", richte ich mich an Tyler, der nur mit arrogantem Blick ausschnaubt.

"Das kriege ich wohl noch hin, aber danke.", ignoranter Idiot.

"Ty Baby, wir wissen beide, dass du keinen Nagel treffen könntest, wenn dein Leben davon abhängt.", ich grinse und Lilly schmunzelt in ihre Hand. Tyler ist der Einzige, der mich noch immer ernst anstarrt.

Schwieriges Publikum.

"Er kommt morgen zwischen 9 und 12.", rede ich ohne Aufforderung weiter und lege meine Hand um den Türknauf. "Gute Nacht, Baby.", ich lächle, als ich Tyler erneut aufseufzen – und Lilly leicht lachen höre.

Wem auch immer dieses Gute Nacht galt...

Keeping SecretsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt