Kapitel 19 - Gemeinsamer Ausritt

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Xavier

Ich wusste nicht, was ich darauf sagen sollte. Irgendwie hatte sie Recht und dennoch fühlte sich das alles falsch an. Es fühlte sich falsch an, so zu denken. Zumal es bei uns nie anders war. So fanden wir nun mal unseren Seelenpartner, den Menschen oder Werwolf, mit dem wir unser Leben verbringen wollten. Der Part, welcher uns ergänzen sollte. Das zweite Puzzlestück. Unsere Sonne oder die Luft zum Atmen. Aber das alles aus ihrer Perspektive zu hören, brachte meine Welt ins Wanken. Dennoch konnte ich nicht zulassen, dass ich sie verlor. Das würde mich und mein Rudel zerstören. Ich musste ihr also beweisen, dass es funktionierte. Dass sich aus dieser Verbindung, Liebe entwickeln konnte. Dass es nicht nur die rosa-rote Brille ist. Dass es eine Partnerschaft ist, in die beide Seiten etwas mit rein geben, damit es funktioniert und ich wusste auch schon genau, wie ich das schaffen könnte. Mir stand nur noch eine Sache im Weg. Meine Gefährtin. Wie schaffe ich es, sie davon zu überzeugen, mich zu begleiten? Ich möchte ihr zeigen, dass das Zusammenleben zwischen Wolf und Mensch funktioniert. Ich sehe es jeden Tag. Auch sie sollte es am eigenen Leib erfahren. „Gib mir die Möglichkeit, dir das Gegenteil zu beweisen, bitte. Ich sehe jeden Tag, wie Wölfe und Menschen zusammenleben. In meinem Rudel. Wie sie einander lieben und da ist nichts erzwungen. Alle haben sich freiwillig füreinander entschieden. Begleite mich und wenn du danach immer noch der Meinung bist, das wäre keine echte Liebe, dann .."

Olivia

Bei seinem letzten Satz wurde ich hellhörig. „Dann was? Was ist dann?" Er schien mit sich zu ringen. Nicht wissend, was er mir versprechen könnte, um mich zu überzeugen. „Wenn du danach immer noch der Meinung bist, das wäre alles nicht echt, dann lasse ich dich in Ruhe. Du wirst nie wieder etwas von mir hören. Aber wenn du auch nur ansatzweise das Gefühl hast, dass da doch etwas echtes ist, dann werde ich es erfahren und ich werde es weiter versuchen. So lange, bis du dich mir hingibst." Ich rümpfte die Nase und musste nachdenken. Das wäre ein fairer Deal, dennoch gefiel mir etwas an der Sache nicht. Ich hatte immer noch nicht die Kräutermischung zu mir genommen und die Wirkung war beinahe komplett verschwunden. Wie lange werde ich mich noch gegen die Verbindung wehren können? Ich hoffe lang genug, denn dieser Werwolf macht den Anschein, als würde er mich sofort vom Gegenteil überzeugen wollen. „Also gut." Ich rollte mit den Augen und verschränkte die Arme vor der Brust. Er grinste mich an, als wäre er ein kleiner Junge und hätte gerade einen Lutscher bekommen. „Aber nicht zu lange! Ich kann mir einen besseren Abend vorstellen, als ihn mit Werwölfen zu verbringen." Er nickte mir zu und kam auf mich zu. „Und den hier .." Ich deutete auf meinen Dolch „.. nehme ich auch mit. Sicher ist sicher. Bei euch kann man nie wissen." „Alles, was du willst. Solange du mitkommst." Er hielt mir die Hand hin, welche ich zögerlich betrachtete.

„Komm schon. Sei kein Spaßverderber." Ich gab mir also einen Ruck und ergriff sie. Doch kurz darauf bereute ich es schon wieder, weil er mich mit Schwung auf seinen Rücken beförderte und mit mir zusammen aus dem Fenster sprang. Mir entwich ein Angstschrei und ich öffnete erst die Augen, als wir wieder auf festem Boden standen und er mich auslachte. „Da ist wohl jemand ängstlich." Grinste er mich an, was ich mit einem Kopfschütteln quittierte. „Nein, aber mir ist mein Leben, im Gegensatz zu dir anscheinend, lieb. Und wenn ich gepackt werde und jemand mit mir aus dem Fenster springt, ist das ja wohl völlig natürlich. Wenn du mich also wieder runter lassen würdest. Ich kann selber gehen." Doch er schüttelte nur den Kopf. „Das würde zu lange dauern. Wir machen das auf meine Weise." Ich bereute es jetzt schon, zugestimmt zu haben. „Und was ist deine Weise?" Doch da war er schon losgelaufen, sprang über einen umgefallenen Baum und verwandelte sich im Flug. Jetzt saß ich auf dem Rücken eines Werwolfes und ritt durch den Wald, während mir der Wind durch das Gesicht wehte und ich meinen Griff um sein Fell verstärkte. Hätte mir das mal jemand erzählt, wäre ich höchstwahrscheinlich vom Glauben abgefallen, aber was soll ich sagen? Genau das tat ich jetzt. Ich ritt auf einem Werwolf. Na ja gut, reiten ist zu viel des Guten und ein wenig übertrieben. Ich sitze auf dem Rücken eines Werwolfes und lasse mich durch den Wald bringen. Und das hoffentlich unfallfrei.

Xavier

Sie hatte zugestimmt. Ich konnte es immer noch nicht glauben. Und was ich noch weniger glauben konnte, war, dass sie gerade auf meinem Rücken saß, während ich in meiner Wolfsform durch den Wald flog und mir der Wind ins Gesicht peitschte. Sie hielt sich an meinem Fell fest und klammerte sich an mich, was Xenon mehr als nur gut gefiel. Ich würde sogar davon sprechen, dass er dieses Nähe zu ihr genoss, denn ich tat es. Mehr als das. In diesem Moment, hier im Wald, mit ihr an meiner Seite oder wohl eher auf dem Rücken, war ich der glücklichste Werwolf auf Erden. Ich weiß zwar nicht, wie ich es geschafft hatte, dass sie ja sagte, aber das hatte sie. Vielleicht war ich unfassbar überzeugend, hatte einfach nur Glück, oder ich hatte sie schon zu lange genervt, weswegen sie endlich zustimmte. So oder so war ich unendlich dankbar und auch erleichtert, dass ich diese Möglichkeit bekommen hatte. Dass ich ihr zeigen konnte, dass Mensch und Werwolf im Einklang miteinander lebten und sich auch liebten. Während ich also durch den Wald rannte, sah ich bereits die Lichter der Siedlung und wurde zunehmend langsamer, bis wir auf der Lichtung im Zentrum meines Rudels stehen blieben. Ich legte mich auf den Boden und deutete ihr an, abzusteigen. Nachdem sie meinem stillen Wunsch nachgegangen war und wenige Meter von mir entfernt stand und sich umsah, verwandelte ich mich zurück.

Anschließend kam ich auf sie zu und nahm ihre Hand in meine, um das Haus meines Bruders aufzusuchen. Er hatte vor ein paar Jahren seine Gefährtin gefunden, einen Menschen, welcher sich anfangs auch gewehrt hatte. Welchen er mit harter Arbeit und viel Überzeugungskraft überzeugt hatte, ihn zu begleiten. Doch jetzt lebten sie glücklich zusammen und sie war schwanger mit seinen Welpen. Ich überlegte, ob ich ihn vorwarnen sollte, doch er hielt nicht sonderlich viel von Olivia, weswegen ich darauf verzichtete. Außerdem tendierte mein Bruder dazu, im Gegensatz zur mir, auf alles vorbereitet sein zu wollen und sich die passenden Wörter und Phrasen im voraus zusammenzulegen. Da das jedoch sehr eingeübt rüberkommen würde, entschied ich mich ebenfalls dagegen. Mein Plan musste aufgehen. Und dieser sah vor, dass ich die beiden in einem unerwarteten Moment erwischte. Umso realer war ihre Reaktion und umso ehrlicher die Gespräche. So hatte ich mir das zu mindestens in meinem Kopf zusammengelegt. Während ich also Olivia durch mein Rudel zog, sah sie sich genaustens um und beäugte jedes Detail kritisch. „Wir sind gleich da. Da vorne ist es schon." Ich deutete auf ein Haus, in der letzten Reihe. „Und wer ist das?" Natürlich wollte sie wissen, wen wir besuchten, doch das würde sie noch früh genug erfahren. „Erfährst du gleich, warte ab." Wir betraten also den Absatz und ich klopfte an. Es dauerte kurz, ehe mir mein Bruder im Schlafanzug gegenübertrat.

Olivia

„Alpha. Ich .. was machst du hier?" Ich wollte den Werwolf vor mir eigentlich genauer betrachten, doch bei seinem ersten Wort blieb mir die Luft weg. Ich drehte meinen Kopf also ganz langsam zu Xavier und sah ihn mit aufgerissenen Augen an. Alpha? Das, das kann doch nicht sein. Das ist unmöglich. Niemals. Das ist doch völliger Unsinn. In keinem Leben ist er ein Alpha! Alphas sind .. die grausamsten von allen. Sie kennen kein Mitleid, sind blutrünstig und besessen davon genau das zu bekommen, was sie sich in den Kopf gesetzt haben. Und Xavier ist nichts davon. Ja okay, er ist impulsiv und manchmal echt angsteinflößend, aber ich dachte das sind alle Werwölfe. Wobei der Typ uns gegenüber, in seinem Schlafanzug, weniger gefährlich aussieht. Aber das passte alles einfach nicht zusammen. Xavier war witzig, einfühlsam und ließ mir Freiheiten. Alphas machten keine Witze, sie waren auch nicht einfühlsam und sie ließen anderen schon gar nicht die Wahl. „Xander. Sei nicht so förmlich. Wir sind privat hier." Wurde ich aus meinen Gedanken gerissen, während Xavier über die Türschwelle trat und wir nun im Flur standen. Der andere Werwolf, welcher anscheinend Xander hieß, schloss die Tür hinter uns und trat nun wieder in mein Blickfeld. „Xavier. Was verschafft uns die Ehre." Er wollte freundlich wirken, doch ich sah wie angespannt er war. Während er sich also mit Xavier in einem Konflikt befand, konnte ich ihn mir genauer ansehen und ich musste feststellen, dass sie sich erstaunlich ähnlich sahen.

Xander hatte im Gegensatz zu Xavier blaue Augen, seine Haare hatten einen etwas anderen Schnitt und er war weniger muskulös, dennoch sahen sie sich verdammt ähnlich. „Hättest du mich nicht wenigstens vorwarnen können, dass du hier aufkreuzt." Flüsterte Xander jetzt meinem Gefährten zu, doch ich versuchte das Gespräch so gut es ging zu ignorieren. Ich war wegen etwas anderem hier. „Bruder. Dann wäre das ganze doch nicht so lustig geworden. Findest du nicht?" Jetzt fokussierte ich mich jedoch wieder auf die beiden und musste nachfragen. „Bruder?" Beide sahen mich augenblicklich an und ich fühlte mich ein wenig umzingelt. „Ja. Xander ist mein kleiner Bruder." Doch Xander schüttelte nur den Kopf. „Wieso stellst du mich immer als deinen kleinen Bruder vor. Wir sind Zwillinge. Du bist nur zehn Minuten älter." Er hielt mir die Hand hin und stellte sich noch einmal vor. „Xander Lightwood, Beta des Lightwood Rudels und Bruder von Xavier, wie du bereits mitbekommen hast. Freut mich dich kennenzulernen." Ich nahm seine Hand entgegen und nickte nur geistesabwesend. Das waren jetzt schon zu viele Informationen auf einmal. „Also, sag. Wo ist deine Frau?" Xavier sah sich im Haus um, was ich ihm gleichtat. „Ich hole sie eben. Entschuldigt mich." Nachdem er gegangen war, richtete ich meinen Blick wieder auf Xavier und sah ihn leicht gekränkt an. „Findest du nicht, du hättest mir erzählen sollen, dass du der Alpha bist? Und dass du einen Bruder hast, den wir besuchen?" Er richtete nun auch seinen Blick auf mich und sah mich kurz fragend an. „Ich wüsste nicht, was das geändert hätte. Außerdem hast du nie gefragt."

Ich schnaufte empört und sah ihn mit offenem Mund an. „Und wie das was geändert hätte! Außerdem siehst du nicht wie ein typischer Alpha aus und hast dich auch nicht so verhalten." Er zog eine Augenbraue nach oben und sah mich grinsend an. „Wie sieht denn ein typischer Alpha aus? Und die andere Frage, wie verhält er sich denn, deiner Meinung nach?" Ich wollte gerade anfangen zu erzählen, als Xander zurückkam. „Wenn ich vorstellen dürfte? Meine wundervolle Gefährtin und Frau Lisa Lightwood." Er schob eine kleine zierliche Frau vor sich und umarmte sie von hinten. „Du alter Schleimer. Wenn du mich so vorstellst, fühle ich mich immer so alt." Sie lachte und schlug Xaviers Bruder spielerisch auf die Schulter. Doch als ich sie ansah, fiel mir die Kinnlade runter. „Lisa?" Ich wusste gar nicht was ich sagen sollte. Jetzt sah auch sie mich an und sie schien ebenfalls überrascht zu sein. „Olivia? Olivia Walker?" Ich nickte wie hypnotisiert, nicht glaubend, dass sie noch lebte. Sie war die ältere Schwester meiner damaligen besten und einzigen Freundin Lissy. Welche ganz plötzlich verschwunden ist. Nur durch sie, bin ich auf Werwölfe aufmerksam geworden, weil mir Lissy alles darüber erzählt hatte. Wir hatten angenommen, dass sie Tod war, doch hier stand sie. Quicklebendig. Und vor mir. „Ihr kennt euch?" Riefen die beiden Bruder gleichzeitig und sahen sich verwundert an. „Tatsächlich ja. Mensch, wie klein die Welt doch ist. Das ist die beste Freundin meiner kleinen Schwester. Du erinnerst dich? Ich hatte dir von ihr erzählt. Komm, lass dich mal umarmen. Wie groß du geworden bist."

Der Hass meiner Gefährtin Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt