Kapitel 16 - Ein Blatt hat immer zwei Seiten

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Xavier

Nachdem ich mich, nach einem ausgiebigen Lauf, an unserer Rudelgrenze wieder verwandelt habe, lief ich auf direktem Weg zu ihrem Haus. Sie hatte zwar erst um neun geschrieben, aber ein bisschen früher da zu sein, kann nie schaden. Immer hin will ich ein Gentlemen sein. Mir wurde nämlich gesagt, Frau stehen auf Pünktlichkeit. Da ich immer noch nicht weiß, wo ich bei ihr stehe, möchte ich mich von der besten Seite präsentieren. Immer hin soll sie sich für mich entscheiden und ich werde alles tun, um sie davon zu überzeugen, dass ich eine gute Partie bin. Ich meine, das bin ich ja auch. Ich bin der Alpha eines Rudels, trage Verantwortung und habe genug Geld, um ihr ein sorgenfreies Leben zu ermöglichen. Ich bin attraktiv, witzig und würde alles für sie tun. Was also fehlt? Warum ist sie mir und dem Band noch nicht verfallen? Habe ich in der Vergangenheit etwas falsch gemacht? Ich habe ihr immer ihre Freiheiten gegeben, ihre Freiraum gelassen, sie nicht bedrängt, zu mindestens in den letzten Wochen. Was also kann ich noch tun? Ich will sie bei mir wissen, sie beschützen. Will mein Leben mit ihr verbringen. Doch ich konnte nicht weiter über eine mögliche Zukunft mit ihr nachdenken, denn sie betrachtete mich von ihrem Fenster aus. Und verdammt sie sah gut aus, in den Sachen, welche ich ihr gekauft hatte. Vielleicht gibt es doch noch Hoffnung. Während ich also auf sie wartete, richtete ich noch ein letztes Mal meine Haare und Kleidung.

Olivia

Ich sah ihn. Wie er wieder an dem altbekannten Baum lehnte. Ins Leere starrte und auf mich wartete. Er war immer überpünktlich. Wollte nie etwas falsch machen und verdammt. Das tat er auch nicht. Er war zuvorkommend, gutaussehend, ließ mir Freiheiten, bedrängte mich nicht mehr, so wie vor dem Biss. Er war das Ebenbild eines Traumtyps, wäre da nicht diese eine kleine Sache, welche alles kaputt machte. Denn hinter dieser hübschen Fassade, diesen sturmgrauen Augen, dem markanten Kiefer und dem muskulösen Oberkörper versteckte sich ein Monster. Ein Biest, welches mich innerhalb weniger Sekunden töten könnte. Ich ging also von meinem Fenster weg und blickte ein letztes Mal in den Spiegel. Ich trug die Sachen, welche er mir gekauft hatte, um mir einen kleinen Bonus zu verschaffen. Während ich also nach meiner Tasche griff, stellte ich noch ein letztes Mal sicher, ob ich alle Mittel dabeihatte, welche ich diese Nacht testen wollte. Ich glaube, dass ich heute einen guten Schritt vorangekommen bin. Ich habe alles miteinander vermischt, was sich schon in der Vergangenheit als wirksam erwiesen hat. Nur in verschiedenen Zusammensetzungen. Daher bin ich mehr als optimistisch, dass ich heute mein Heilmittel,ä gegen dieses Mate-Fieber finden werde. Während ich mir also die kleine Tasche umhing und das erste Mittel einnahm, lief ich die Treppen nach unten und zog mir meine Schuhe an. Anschließend verschloss ich die Tür und lief auf den Werwolf zu. Er kam mir lächelnd entgegen und ich wusste nicht wirklich, was ich tun sollte.

Sollte ich aufs Ganze gehen und ihn umarmen, um zu spüren, ob das Mittel wirkte? Sollte ich abwarten? Doch diese Entscheidung wurde mir abgenommen, als er meine Hand nahm, einen Kuss auf diese setzte und mich begrüßte. „Du bist zu spät." Er ließ meine Hand los und sofort war die Wärme weg, welche mich soeben noch umhüllt hatte. Wir können also festhalten: Mittel 1 hilft gegen das Kribbeln, aber nicht gegen die Wärme. Ich sah ihn also leicht schief an und fragte nach „Wie bitte?" Er lächelte und deutete mir an ihm zu folgen. „Du sagtest wir treffen uns um neun. Jetzt ist es aber schon zwei nach." Ich sah ihn immer noch schockiert an, nicht glaubend, dass er darauf großen Wert lag. „Ich hoffe, das bedenkst du dabei, wenn du das Treffen wieder vorzeitig beenden möchtest." Ich war immer noch völlig überfordert und räusperte mich, doch da fing er an zu lächeln und sah mich zwinkernd an. Und schon sah ich einen Blitz, welcher mich die Augen zusammenkneifen ließ. „Dein Gesicht!" Er lachte und schüttelte zeitgleich den Kopf, während er auf sein Handy blickte. „Das musste man festhalten. Einfach unbezahlbar." Jetzt schüttelte auch ich den Kopf und sah ihn mit zusammengekniffenen Augen an. „Dein Ernst? Ich hätte erblinden können!" Empört steckte ich die Hände in die Hüften. „Ach, übertreib doch nicht gleich." Er wank ab und nahm meine Hand, ohne zuvor gefragt zu haben.

Während wir also durch den Wald liefen, spürte ich, wie die Wirkung meines ersten Experimentes nachließ, weswegen ich seine Hand losließ. Er sah mich daraufhin natürlich etwas skeptisch ich, doch ich konnte ihn abwimmeln. „Du, ich ehm. Müsste mal." Ich sah ihn verlegen an und hoffte, er würde es mir abkaufen. „Jetzt? Hier?" Ich nickte und deutete hinter einen großen Baum. „Wir können auch zurück, dann kannst du da." Doch dieses Mal wank ich ab. „Ach schon gut. Das geht ja schnell." Er nickte nur unsicher. „Bleibst du dann hier? Ich komme gleich wieder." Wieder nickte er nur, während ich schon auf dem Weg zu einem großen Baum war. Hinter diesem versteckte ich mich dann kurz, um in meiner Tasche nach dem zweiten Mittel zu suchen. „Wo ist es denn nur?" sagte ich ins nichts und durchwühlte meine Tasche weiter. Da hatte ich aber die Rechnung ohne meinen Begleiter gemacht, welcher ein übernatürliches gehör hatte. „Alles gut bei dir?" kam daher die Gegenfrage und ich hörte das Laub unter seinen Schuhen knistern. „Jaaa! Alles gut, ich, ehm, suche nur .. nach .. einem Taschentuch." Ich bekam ein „Achso" als Gegenantwort und atmete kurz tief durch, als ich dann auch endlich die zweite Flasche gefunden hatte. Ich tröpfelte mir also ein wenig Flüssigkeit auf die Zunge, schluckte das bittere Zeug herunter und desinfizierte meine Hände, ehe ich zurück zu ihm ging. Doch dieses Mal ergriff er nicht meine Hand, was die Sache ein wenig komplizierter werden ließ. Wie konnte ich ihn unauffällig berühren, ohne verdächtig rüberzukommen oder einen falschen Eindruck zu machen?

Während also das Laub unter unseren Füßen raschelte und die Eulen die Nacht beschallten, kam mir eine Idee. Ich sah mich auf dem Waldboden um und fand einen gebrechlich aussehenden Stock. Ich wartete, bis wir kurz vor ihm waren und trat dann mit meinem ganzen Gewicht auf ihn drauf. Es ertönte ein lautes Knacken und ich hielt mich sofort an Xavier fest. „Oh Gott! Was war das?" Ich blickte mich ängstlich um, ehe ich wieder zu ihm sah. Doch er war die Ruhe selbst und sah entspannt auf mich herab. „Wahrscheinlich nur ein Ast der zerbrochen ist. Ich kann nichts außergewöhnliches wittern." Ich nickte ihm zu, doch ließ seinen Arm nicht los, weil ich nicht fassen konnte, dass ich es nicht mehr spürte. Ich spürte keine Wärme, welche auf mich überging. Ich spürte keine Funken auf meiner Haut, obwohl ich seine Hand berührte. Innerlich sprang ich gerade Purzelbäume und feierte mich erstens, für mein schauspielerisches Talent und zweitens für meine Fähigkeiten als Kräuterhexe. Ich hatte es endlich geschafft und ein Mittel gefunden, wie ich mich der Anziehungskraft eines Werwolfes und der entsprechenden Bindung entziehen konnte. Ich musste grinsen, so stolz war ich in diesem Moment. „Warum grinst du denn so?" Wurde jetzt auch Xavier auf mich aufmerksam, doch ich zuckte nur mit den Schultern. „Ich finde das ist eine tolle Nacht. Du nicht auch?" Heute würde mir niemand mehr meine Laune verderben können. Nicht einmal dieser Wolf, welcher mein Gefährte sein will. Nichts und niemand kann mich mehr aufhalten.

Xavier

Irgendetwas war anders, im Gegensatz zu den letzten Spaziergängen. Sie war anders und verhielt sich auch so. Ich wusste nicht, warum mich das aus der Fassung brachte, da es mich doch eigentlich hätte freuen sollen. Aus irgendeinem Grund schien es sie nicht mehr zu stören, dass ich sie berührte. Als ich ihre Hand nahm, zog sie diese nicht zurück, so wie ich es erwartet hatte. So wie sie es sonst getan hatte. Aber dieses Mal ließ sie es zu. Genauso, als sie sich bei dem Knacken erschreckt hatte. Sie berührte freiwillig meinen Arm und zog sich fester an mich. So etwas hatte sie noch nie gemacht. Und obwohl ich diese Berührungen mehr als genoss, so konnte ich nicht aufhören darüber nachzudenken, dass da vielleicht noch etwas anderes dahintersteckte. Vielleicht übertreibe ich ja auch. Aber ich wurde dieses ungute Gefühl nicht los. Vielleicht hat sie es aber endlich verstanden? Hat verstanden, dass sie sich dem Band nicht entziehen kann. Vielleicht hat sie es akzeptiert, dass wir zusammengehören und fängt endlich an, sich darauf einzulassen. Ich hoffe es zu mindestens, andernfalls wüsste ich nicht, was ich sonst noch tun kann. Ich bin ihr verfallen, wie ein Welpe dem Spielzeug. Ich würde alles für sie tun und alles für sie sein. Verdammt, ICH WILL alles für sie sein. Ein guter Freund, ihr Ehemann, der Vater ihrer Kinder. Ich will sie in meinem Leben, an meiner Seite, solange bis ich sterbe. Ich will mich um sie kümmern, ihre Schulter zum Anlehnen sein, ihr Beschützer und Retter in der Not sein.

Ich umfasste ihr Hand fester, da ich nicht wollte, dass sie mich loslässt. Ich brauchte sie. Wie die Luft zum Atmen. Das erste Mal, als ich sie sah. Da traf es mich wie ein Schlag. Mein Herz rutschte mir ein paar Etagen tiefer und mein Leben schien nicht mehr von der Erde angezogen zu werden. Mein Dasein drehte sich von da an, nicht mehr um mich selbst, sondern nur noch um sie. Sie war der neue Mittelpunkt meines Lebens. Sie war die neue Sonne und ich ein Planet, welcher um ihre Bahnen kreiste. Ich hatte sie gefunden, meine langersehnte Seelenpartnerin. „Du zerdrückst meine Hand." Holte mich ihre liebliche Stimmung aus den Gedanken. „Was?" Ich sah zu meiner Rechten und blickte auf diese großen, unschuldigen, blauen Augen herab. „Du zerdrückst meine Hand." Sie lächelte verlegen und deutete auf unsere Hände. Ich ließ sie abrupt los und streichelte verlegen über diese. „Tut mir leid. Ich war .." „In Gedanken, ja. Habe ich bemerkt." Sie lächelte mich sachte an und blickte mir entgegen. In ihren Augen lag etwas unschuldiges, als könnte sie keiner Seele etwas zu leide tun. Sie war so zart, wie eine Rose. Mittlerweile standen wir wieder vor ihrem Haus und ich wusste, dass dieses Treffen bald ein Ende hatte. Sie räusperte sich und sah verlegen zu mir. „Dann .." Doch sie sprach nicht weiter, wusste nicht, was sie sagen sollte. „Es war schön." Sie nickte und knetete ihre Finger. „Ein schöner Abend."

Bestätigte sie meine Aussage und sah zwischen mir und dem Haus hin und her. „Dann wünsche ich dir eine Gute Nacht." Sprach ich die Worte aus, welche sie nicht sagen konnte oder wollte. „Genau, ja. Dir auch." Sie sah wieder zu mir. Ich sah sie abwartend an, ob sie noch etwas sagen wollte, doch sie blieb still und musterte mich mit großen Augen. Also nahm ich ihre Hand. Führte sie zu meinen Lippen und setzte einen Kuss auf diese. Anschließend gab ich sie ihr zurück und ließ sie gehen. Sie drehte sich zwar noch einmal um, doch lief immer noch zielstrebig auf ihr Haus zu. „Wiederholen wir das bald wieder?" Rief ich ihr fragend hinterher. Dabei blieb sie vor der geöffneten Haustür stehen und drehte ihren Kopf in meine Richtung. „Ich weiß noch nicht. In der Uni ist viel zu tun. Die Prüfungen stehen an." Ich nickte verstehend und sah zu, wie sie die Tür hinter sich schloss. Und obwohl ich hätte gehen sollen, blieb ich. Auch als sie die Treppen nach oben lief, das Licht in ihrem Zimmer anknipste, blieb ich an der gleichen Stelle stehen. Ich blieb auch noch dastehen, als sie in das Bad ging und wieder zurück. Selbst als das Licht in ihrem Zimmer ausgemacht wurde, blieb ich immer noch dastehen. Irgendetwas ist anders. Meine Gefühle täuschen mich nicht. Und auch wenn ich zugeben muss, dass mich das Band meine Umgebung ein wenig verschleiert sehen lässt, so sagt mir mein Verstand, dass hier etwas gewaltig schiefläuft. Ich weiß nur noch nicht was, aber ich wäre nicht der Alpha des Light-Rudels, wenn ich dem nicht nachgehen würde.

Der Hass meiner Gefährtin Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt