Kapitel 57 - Endlich ankommen

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Olivia

Und ganz plötzlich war es als würde die Welt stehen bleiben. Als würde sie sich nicht mehr um die eigene Achse drehen. Als würde der Mond genau dort stehen bleiben, wo er war und als würde die Sonne nicht mehr so hell leuchten wie die letzten Tage. Es schien als wäre meine Welt in Dunkelheit und Stille getaucht worden. „Olive .. Ist alles gut? Geht's wieder?" Riss mich die melodische Stimme meines Gefährten aus der Trance, was mich den Kopf schütteln ließ. „Ich .. ich .." Ich brachte keinen vollständigen Satz heraus. Denn plötzlich schien es als würde sich wieder alles bewegen. Als würde die Welt sich weiterdrehen. Als würde die Sonne am Morgen aufgehen und der Mond am Abend. Es schien als würde alles seinen normalen Lauf nehmen. Bis auf einen kleinen Unterschied. Denn im Gegensatz zu gestern, vorgestern, einer Woche oder einem Monat fühlte ich mich nicht mehr mit der Erde verbunden. Ich wurde nicht mehr von ihr angezogen. Die Schwerkraft hatte keine Macht mehr über mich und meinen Körper. Der Mittelpunkt meines Lebens hatte sich innerhalb weniger Sekunden verschoben und ich konnte nichts dagegen tun. Denn von jetzt an, gab es nur noch eine Sache auf die ich mich konzentrieren konnte. Nur eine einzige Person, welche von nun für mich wichtig war. Und das war dieser Mann, direkt vor mir. Dieser unverschämt gutaussehende, arrogante, besserwisserische, beschützerische und liebevolle Kerl vor mir. Und genau jetzt, verstand ich, wovon er immer gesprochen hatte. Dass er mich nicht gehen lassen konnte. Dass ich ihm wichtig war. Dass er mich brauchte. Ich verstand nun endlich worum es hier eigentlich ging. Ich brauche ihn genauso sehr, wie er mich braucht. Wir waren wie die Luft zum atmen, denn wir waren Gefährten und nichts und niemand könnte daran je etwas ändern.

Xavier

Ich starrte meine Gefährtin an, während sie völlig abwesend schien. Ihre Augen waren glasig und reagierten auf keine einzige Bewegung meinerseits. Ich umfasste ihre Schultern und versuchte sie aufzuwecken, doch sie schien wie in Trance. „Olive. Hörst du mich?" Ich schnipste mit meinen Fingern, um ihre Aufmerksamkeit zu erlangen, doch sie schien wie gefangen in einem Delirium. Panisch blickte ich zu Atlas, nicht wissend was ich tun soll, doch auch er zuckte nur mit den Schultern. „Hey! Olive? Olivia? Hörst du mich? Rede mit mir. Bitte. Komm schon." Ich umfasste ihr Gesicht und strich ihre willkürlich über die Wangen. „Hey, bitte. Verlass mich nicht, okay? Komm zurück, zu mir. Bitte." Ich suchte ihren Blick als mir auffiel, wie klein ihre Pupillen waren. „Was ist los? Liv, bitte. Lass mich nicht im Stich. Bitte, ich brauche dich." Ich strich ihre eine Haarsträhne hinter das Ohr als sich ihre Augen zu bewegen schienen. Ihr Pupillen wurden urplötzlich ganz groß, bis sie wieder ihre normale Größe annahmen. „Olive .. Ist alles gut? Geht's wieder?" Sie stotterte, doch brachte keinen sinnvollen Satz heraus. „Hey, was ist passiert? Du warst weg." Ich strich ihr behutsam über das Gesicht und sah sie mitleidig an. Was auch immer sie gesehen hat, muss sie verstört haben, ansonsten stünde sie nicht so neben sich. „Gefährte." Ein Hauch eines Flüstern kam über ihre Lippen, während sie mich in ihrem Blick gefangen hielt. „Was? Was hast du gesagt?" Ich blickte fragend zu Atlas, ob er was verstanden hatte, doch er schüttelte nur leicht mit dem Kopf.

„Da war .. ich und du .. wir." Ich wusste nicht, worauf sie hinauswollte. „Ich bin hier, bei dir. Okay? Alles wird gut." Doch sie schüttelte nur den Kopf. „Du verstehst nicht." Sie legte ihre Hand auf meine und schmiegte sich in diese. „Du bist mein Gefährte." Sie blickte mich mit ihren großen blauen Augen an und schien völlig in ihrer eigenen Welt zu sein. Doch bei ihren Worten musste ich anfangen zu grinsen, ehe sich dieses in ein leises Lachen verwandelte. Ich schüttelte den Kopf als ich an ihre Aussage zurückdachte. „Natürlich bin ich das." Ich musste stärker lachen, weil die Absurdität dieser Aussage nicht in Worte zu fassen war. „Das versuche ich dir doch seit mehreren Monaten beizubringen." Doch wieder schüttelte sie nur den Kopf. „Ich finde das nicht lustig." Sie fing an ihre Lippen zu kräuseln und einen Schmollmund zu ziehen, während sich auf ihrer Stirn Falten bildeten. „Zieh nicht so ein Gesicht." Gab ich immer noch schmunzelnd von mir und strich ihre Stirn glatt, ehe ich mit meinen Fingern über ihre rosigen Lippen fuhr. „Es gibt keinen Grund traurig zu sein." Doch wieder schüttelte sie den Kopf. „Bitte sag mir, dass du nicht schon die ganze Zeit so fühlst." Sie richtete ihren Blick wieder auf mich und sah beleidigt aus, während ich den Kopf hin und her schwenkte. „Ich will dich nicht belügen. Aber sagen wir es so .. es gab aufs und abs." Ich zuckte mit den Schultern und fuhr über ihre Wangen, welche einen rosigen Ton annahmen als sie plötzlich die Hände vors Gesicht legte. „Das alles tut mir fürchterlich leid. Ich würde am liebsten im Erdboden versinken."

Wieder musste ich lachen, während ich sie in eine feste Umarmung zog. „Es ist doch alles gut oder etwa nicht? Wir haben genug Zeit, um drüber zu sprechen und uns mit der Situation zu arrangieren, findest du nicht?" Sie nickte mit dem Kopf, zog aber immer noch einen Schmollmund. „Sag mir, dass du nicht böse bist. Ich wusste ja nicht, dass .. na ja, du weißt schon." Sie zuckte mit den Schultern. „Hey, sieh mich nicht so an. Dir muss weder etwas leidtun, noch musst du dich für irgendwas schämen. Ich bin einfach nur froh, dass du das Gleiche empfindest, wie ich oder es zu mindestens besser verstehst als noch vor wenigen Tagen." Ich nahm ihre Hände in die meinen und setzte jeweils einen Kuss drauf, ehe mich ein Räuspern zum Umdrehen brachte. „Ich finde es ja wirklich herzzerreißend, wie ihr gerade zueinander findet aber wäre es möglich das woanders zu machen? Es ist schon ziemlich spät und ich werde zuhause erwartet." Olivia riss die Augen auf, während sich ihr Mund zu einem „O" formte. Ich hob sie also von der Liege herunter und stellte sie auf den Boden, während wir uns zeitgleich von Atlas verabschiedeten und schmunzeln mussten. „Dann nachhause?" Ich sah sie abwartend an und hielt ihr die Hand hin. „Nachhause." Sie ergriff meine Hand und gemeinsam liefen wir aus dem Rudelhaus in Richtung Haus. Oder sollte ich lieber Zuhause sagen? Denn seit sie hier ist, fühlt es sich endlich, wie eines an. Außerdem könnte ich gerade nicht glücklicher sein als mit meiner Gefährtin, Hand in Hand nachhause zu laufen.

Olivia

Ich hatte das erste Mal in meinem Leben das Gefühl, dass ich zuhause war. Dass ich überhaupt eins hatte. Ich meine, die unzähligen Häuser und Wohnungen, in denen ich mit meiner sogenannten Mutter gelebt hatte, waren nie mehr als eine Unterkunft. Sie waren ein Dach über dem Kopf. Ein Ort, an dem man schlafen oder essen konnte. Aber das hier. Dieser Ort. Dieses Rudel. Mitten im Wald. Es fühlte sich richtig an. Als wäre ich endlich angekommen. Als hätte ich eine Heimat gefunden. Einen Ort, an dem ich sein konnte, wer ich wollte. Egal, wer ich war. Egal, wie ich war. Einfach ich, mit allem, was mich ausmacht. Vielleicht war auch Xavier ein großer Faktor dafür, dass ich mich wohl fühlte. Dass ich mich heimisch fühlte. Aber trotz dieser Empfindungen, überkam mich ein Gefühl von Ungewissheit. Die Frage nach dem Unbekannten. Ich meine, ich verstand, was wir waren. Ich fühlte es mehr denn je aber wie sollte das von nun an ablaufen? Waren wir jetzt so etwas wie ein Paar? Ging er davon aus, dass wir von jetzt an in einer Beziehung waren? Oder waren wir weiterhin nur zwei Fremde, welche durch das Paarungsband aneinander gebunden wurden? Waren wir Freunde? Partner? Liebende? Ich hatte keine Ahnung und noch weniger wusste ich, wie ich das Ansprechen könnte. „Was ist los? Du wirkst nachdenklich." Ich drehte mich zu ihm und sah ihn skeptisch an. „Woher willst du das wissen? Ich habe doch gar nichts gesagt oder gemacht." Er lächelte breit. „Genau deswegen. Und vielleicht weil ich es spüre."

Ich zog eine Augenbraue hoch. „Du spürst es? Wie willst du das spüren? Nur weil ich nichts sage oder mich still verhalte? Vertrau mir, das tue ich öfter. Beispielsweise, wenn ich konzentriert bin, ich schlafe oder sauer auf dich bin." Wieder lacht er und zieht mich näher an sich ran. „Wenn du sauer bist, bist du alles andere als still. Du bist dabei sogar ziemlich laut. Auch wenn nichts aus deinem Mund kommt aber nein, das meine ich nicht. Ich spüre es hier, tief in mir drinnen." Er deutete auf seine Brust und zeigte dann auf meine. „Auch du kannst spüren, wie ich es mir geht. Wir sind Gefährten und aneinander gebunden. Das ist ein Vorteil davon. Ich spüre, wenn es dir schlecht geht und andersherum. So wissen wir immer, wie es dem anderen geht und müssen uns nicht unnötig Sorgen machen und können gegebenenfalls schneller handeln." Ich blickte ihn leicht irritiert an. „Das bedeutet, wenn ich traurig oder sauer bin, kannst du das fühlen?" Er nickte mir zu. „Aber wie? Ich meine, das ist unmöglich. Sowas gibt es nicht, das, wie .." Ich war sowohl sprachlos als auch völlig überwältigt von dieser Information. „Das weiß niemand so richtig. Es ist einfach so. Ein Geschenk der Mondgöttin. Genauso wie du." Er streicht mir liebevoll über die Wange und küsst meine Stirn. „Die Mondgöttin?" Frage ich dennoch noch einmal nach. „Selene, ja. Sie hat uns erschaffen und als Ausgleich unserer bestialischen Natur gab sie uns einen Seelenpartner. Jemand, der den anderen ergänzt, ihn vollständig macht. Für den es sich lohnt zu leben ... und zu sterben."

Die letzten Wörter waren der Hauch eines Flüstern, was mich merklich schlucken ließ. „Du würdest für mich sterben?" Er nickte und wirkte plötzlich traurig. „Ich würde alles für dich tun, sogar für dich sterben .. aber nicht, bevor ich alles getan habe, um am Leben zu bleiben. Denn es gibt keinen größeren Schmerz als seinen Gefährten zu verlieren." Ich drückte seine Hand fester. „Was passiert, wenn .. der eine stirbt?" Meine Stimme ist so leise, dass ich sie selbst kaum höre. „Es fühlt sich an, als würdest du einen Teil deiner Selbst verlieren. Mit der Markierung überträgst du nicht nur deinen Geruch oder dein Mal. Du überlässt dem anderen auch einen Teil deiner Seele. Doch wenn einer von beiden stirbt, stirbt auch dieser Teil, tief in dir drinnen. Es gibt nichts und niemanden der ihn füllen kann. Also entweder, du lernst damit zu leben und akzeptierst dein Schicksal oder du entscheidest dich dagegen." Er lässt eine Pause und blickt in den Nachthimmel. „Und was, wenn man sich dagegen entscheidet?" Er zuckt mit den Mundwinkeln. „Dann gibt du dein Leben auf, um bei deinem Seelenpartner zu sein." Ich blickte ihn panisch an, was ihn meine Wangen streicheln lässt. „Mach dir darüber keine Gedanken oder hast du vergessen, dass ich der stärkste Wolf dieses Rudels bin? Ich sollte mir viel mehr Sorgen um dich machen. Denn ich werde dich nicht immer beschützen können, auch wenn ich alles dafür geben würde. Aber wir wissen beide, dass du ein Sturkopf bist und nicht beschützt werden willst."

Xavier

Sie sieht mich entschuldigend an. „Vielleicht lasse ich mir das ja nochmal durch den Kopf gehen und überrasche dich mit einer völlig neuen Seite an mir." Ich musste lächeln. „Auch wenn ich es anfangs nicht verstehen wollte, warum Selene uns miteinander verpaart hat, so sehe ich jetzt klarer." Ich führe meine Hand zu ihrem Gesicht, greife mir eine Haarsträhne und zwirble sie in meinen Fingern, ehe ich sie ihr hinter das Ohr stecke. „Wir sollten rein gehen, es ist schon spät." Sie nickt mir zu, während wir die Stufen der Veranda überqueren und ich ihr die Tür öffne, woraufhin zu eintritt. Als wir beide im Flur stehen, fällt mir ein weiteres Problem ein, welches angesprochen werden sollte. „Vielleicht sollten wir noch über unsere Schlafsituation reden." Sie sucht meinen Blick und sieht mich fragend an. „Was hat unsere Schlafsituation mit dem Ganzen zu tun?" Wieder musste ich lächeln, aufgrund ihrer Ahnungslosigkeit. „Wir sind offiziell und unwiderruflich miteinander verpaart. Das bedeutet, wir brauchen die Nähe des anderen mehr denn je. Besonders in der Nacht. Also sollten wir uns überlegen die Nacht zusammen zu verbringen." Sie nickt mir leicht zu, obwohl ich mir sicher bin, dass sie nicht weiß, worauf ich hinaus möchte. „Also in einem Zimmer?" Ich schüttle den Kopf. „Noch näher." Sie beißt sich auf die Unterlippe. „In einem Bett?" Ich nicke und versuche ihren Blick zu lesen. „Wenn dir das zu viel ist, können wir auch eine Kissenmauer bauen." Diese Idee lässt sie schmunzeln, während wir unser Schlafzimmer betreten.

Der Hass meiner Gefährtin Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt