Olivia
Nachdem ich fertig geduscht habe, zog ich mir passende Kleidung für den heutigen Arbeitstag an, ehe ich in meine Küche lief, welche direkt an das Wohnzimmer angrenzte. Dort bereitete ich mir einen Kaffee zu und schob zwei Brotscheiben in den Toaster, welche ich mir mit Butter und Erdbeermarmelade bestrich. Ich liebe Erdbeermarmelade, dachte ich mir, als ich genüsslich in mein Brot biss und den Geschmack auf meiner Zunge zergehen ließ. Zu schade, dass es Erdbeeren im Winter fast nie zu kriegen gibt und wenn, dann sind sie zumeist wenig geschmackvoll. Ich seufzte bei dem Gedanken daran. Nachdem ich auch den letzten Bissen verputzt hatte, stellte ich das benutzte Geschirr in die Spüle, um mir meine Schuhe anzuziehen. Ich blickte auf die Uhr, ehe ich mir schnell meine Jacke und Tasche schnappte und meine Wohnung abschloss. Ich bin etwas spät dran, dachte ich mir, als die Zeiger meiner Uhr bereits halb neun zeigten. Ich rannte daher die Treppen herunter, bis ich die kalte Winterluft einatmete, welche mich sogleich umhüllte. Ich zog die Jacke fester um mich, da ich schon immer eine Frostbeule war, aber erstaunlicherweise war mir alles andere als kalt. Mir war sogar fast, ich mag es kaum auSprechen .. warm? Ich runzelte die Stirn, als ich meinen Weg fortsetzte und versuchte meine Wölfin zu kontaktieren. Ich hatte noch so viele Fragen und auf Arbeit werde ich keine Zeit dafür haben, mich mit diesen auseinanderzusetzten. „Ophelia? Bist du da?"
Doch ich bekam keine Antwort. Also versuchte ich es noch ein paar Mal, gab dann aber enttäuscht auf. Was hat sie denn nun schon wieder? Fragte ich sichtlich genervt nach, weil ich sie einfach nicht verstand. Dennoch blieb mir nichts anderes übrig als durch die Straßen von Mullingar zu laufen, auf direktem Weg zum Blumenladen. Nach ungefähr zwanzig Minuten sah ich bereits die grünen Türen und das mit Sonnenblumen umrahmte Schild, sodass ich lächeln musste. Ich arbeite hier wirklich gerne, musste ich feststellen, als ich durch die Eingangstür ging und mich die kleinen Glocken an der Tür ankündigten. An der Theke stand bereits Kelly, welche den ersten Blumenstrauß für eine Kundin zusammenstellte. Ich begrüßte sie kurz und ging dann hinter den Tresen, um mich im Mitarbeiterraum arbeitsfertig zu machen. Da ich die meiste Zeit in den Gewächshäusern oder im Lager verbrachte, besteht meine Arbeitskleidung aus einer grünen Schürze mit Sonnenblumen bestickt und gleichfarbigen Handschuhen. Nachdem ich angezogen war, warf ich einen erneuten Blick auf meine Uhr. Leicht entsetzt und skeptisch musste ich feststellen, dass ich heute fast zehn Minuten schneller gewesen war. Sonst benötige ich eine knappe halbe Stunde für den Weg, doch heute waren es gerade einmal 20 Minuten. Ich zog die Augenbrauen zusammen und tippte auf meine Uhr. Ist sie vielleicht stehen geblieben? Doch Kelly unterbrach mich bei meiner Tätigkeit. „Was machst du denn da?" Ich räusperte mich, ehe ich versuchte mein Verhalten zu erklären. „Ich glaube meine Uhr ist kaputt. Kannst du mir sagen, wie spät es ist?"
Sie wank mit einer Hand ab und meinte nur. „Das passiert mir auch ständig. Es ist fünf vor neun." Damit verschwand sie aus dem Mitarbeiterraum, um einen weiteren Kunden zu begrüßen und zu bedienen. Komisch, dachte ich mir, doch bevor ich weiter darüber nachdenken konnte, meldete sich ein immer noch ungebetener Gast in meinem Kopf zu Wort. >Ich sagte doch: Das Werwolf Dasein hat auch seine Vorteile.< Sie grinste breit, wobei sich ihre Zähne zeigten, was mich nur den Kopf schütteln ließ. „Super. Dann werde ich jetzt also nie wieder zu spät kommen?" Ich lachte bei dem Gedanken daran. Das ist natürlich ein großer Pluspunkt. Vielleicht sogar meine neue Superkraft. Ich lief nach hinten in das Lager, um die heute ankommenden Bestellungen entgegenzunehmen. Zum Glück war heute Freitag, weswegen wenige Lieferungen ankommen werden. Ich schnappte mir also die Liste und öffnete die Hintertür, an der bereits der erste Lieferant wartete. Zusammen luden wir die sechs Kartons aus, ehe er auf den Papieren unterzeichnete und sich wieder auf den Weg machte. >Dünger und Kalk.< Gab Ophelia von sich, was mich aufschrecken ließ. „Was hast du gesagt?" >Dünger und Kalk.< In meinem Kopf bildeten sich Fragezeichen. „Was meinst du?" Sie rollte mit den Augen. >In den Kartons. Dünger und Pflanzenkalk.< Jetzt schüttelte ich den Kopf und riss den ersten Karton auf, in dem sich Pflanzendünger befand. Ich zog eine Augenbraue hoch. „Gut geraten." Gab ich nur von mir und wollte nicht weiter auf sie eingehen.
Sie knurrte. >Von wegen geraten.< Ich rollte mit den Augen und riss das nächste Paket auf. Kalk. „Willst du mir sagen, dass du jetzt auch noch vorhersagen kannst?" Ich lachte über meine Aussage und packte den zweiten Karton aus. „Woher wusstet du das?" Fragte ich sie und wartete eine Antwort ab. >Nein, kann ich nicht. Aber wie ich dir bereits gesagt habe. Es hat auch Vorteile ein Werwolf zu sein.< Ich rollte wieder mit den Augen. „Hellsehen und Pünktlichkeit. Super." Ich riss den dritten Karton auf und lud den Dünger in die Regale. >Nein! Im Gegensatz zu dir, habe ich die Fähigkeit meine Sinne zu schärfen. Dementsprechend kann ich alles in einer Umgebung von einem Kilometer besser sehen, riechen und hören.< Ich hielt in meiner Bewegung inne, ehe ich mir den nächsten Karton vornahm. „Na klar. Dann sag mir doch, was Kelly gerade macht." Ich schnalzte mit der Zunge. „Ich würde eine Kombination aus Geranien, Chrysanthemen und Nelken empfehlen. Wahlweise in den Farben Rosa und weiß, da sie ihn für ihre Frau haben möchten." Ich rümpfte die Nase und zog die Augenbrauen hoch. „Das ist doch Blödsinn. Das hast du dir ausgedacht." Doch Ophelia knurrte wieder nur. >Dann sie doch nach und überzeuge dich vom Gegenteil.< Widerwillig lief ich Richtung Verkaufsraum, in dem Kelly einen großen Blumenstrauß aus gerade genannten Blumen band. „Wie ist das .. wie hast du das gemacht?" Fragte ich überrascht und schockiert zugleich, doch Ophelia lachte nur. >Tja, meine Liebe. Unterschätze niemals deine innere Wölfin.<
Xavier
Ich konnte nicht glauben, was ich da gerade vor mir sah. Das war sie. Das musste sie sein. Xenon schnurrte, heulte und knurrte gleichzeitig in meinem Kopf, während er mir zurief, ich solle ihr folgen. Doch ich stand immer noch wie angewurzelt an Ort und Stelle. Ich kann ihr doch jetzt nicht folgen, rief ich ihm zu. Wie sähe das aus? Und außerdem, was ist, wenn sie mich bemerkt? Wie soll ich reagieren? Wie wird sie reagieren? Was soll ich überhaupt sagen? Scheiße. Ich war planlos in diese Situation gegangen. Ich hatte mir über alles Gedanken gemacht, nur nicht darüber, was wäre, wenn ich sie tatsächlich finde. Damit hatte ich ja nicht einmal gerechnet. Wie hoch war schon die Wahrscheinlichkeit, dass ich sie am ersten Tag, in der ersten Stadt fand, welche ich durchsuchen wollte. Hör auf dir darüber Gedanken zu machen! Wir müssen ihr jetzt folgen, bevor wir sie aus den Augen verlieren. Schrie mich mein Wolf an und ließ mich wie ferngesteuert die Beine bewegen. Verdammt, Xenon. Ich kann selber laufen. Knurrte ich ihn an. Dann beweg dich! Knurrte er zurück und so nahm ich die .. Verfolgung auf? Das klingt völlig bescheuert und strafbar noch dazu aber im Grunde genommen war es genau das. Ich verfolgte sie. Wohin auch immer. Woher soll ich schon wissen, was sie um diese Uhrzeit macht. Es ist ja nicht so, dass wir uns die letzten Monate gesehen haben. Aber den Umständen entsprechend würde es Sinn machen, wenn sie zur Arbeit geht. Doch das werde ich wohl erst herausfinden, wenn wir an ihrem Ziel angekommen sind.
Und so liefen wir die engen und breiten Straßen von Mullingar entlang. Vorbei an kleinen Geschäften, Cafés und Boutiquen, ehe sie langsamer wurde und zielstrebig auf ein Geschäft mit grünen Türen zulief. Ich versuchte den zwischen uns herrschenden Abstand einzuhalten, aber mein Wolf machte mir die Sache nicht wirklich einfach. Wir müssen verdammt nochmal hierbleiben, rief ich ihm zu. Doch er war wie in Trance und sah nur sie. Wir müssen zu ihr. Wir brauchen sie. Sie gehört uns. Dieser Liebeskranke Sack voller Flöhe war unzurechnungsfähig, solange wir in ihrer Nähe waren. Also entschied ich mich in einem nahegelegenen Café Platz zu nehmen und zu warten, bis sie Feierabend machte. Heeh! Was machst du da? Geh zurück und beanspruche sie für uns! Sie ist unsere Gefährtin. Doch ich konnte nur den Kopf schütteln, bei seinen Worten. Wie stellst du dir das vor? Sobald ich den Laden betrete und sie mich sieht, wird sie davon stürmen und wir haben nichts gekonnt. Wir müssen das schlau anstellen. Sie überrumpeln. Es darf keinen Ausweg geben, sodass sie gezwungen ist sich mit uns zu befassen. Und um genau das zu erreichen, müssen wir uns einen Plan überlegen. Sonst geht die ganze Suchaktion nach hinten los und der Aufwand war umsonst. Xenon knurrte laut und lief wild umher, doch letztendlich musste er sich eingestehen, dass ich Recht hatte und wir jetzt mit unserem Verstand arbeiten mussten. Er könnte es nicht verkraften, sie noch einmal zu verlieren.
Olivia
Ich war baff. Geschockt. Irritiert. Fassungslos. Begeistert. Euphorisch und enthusiastisch. Ich empfand so viele Emotionen auf einmal und fühlte mich, als würde ich zeitgleich das erste Mal Farben sehen, Geräusche hören und Gerüche wahrnehmen. Die letzten sechs Stunden hatte mir Ophelia alles erzählt und gezeigt. Zumindestens was es heißt, ein Werwolf zu sein. Oder den Teil mit den Sinnen. Sie konnte alles riechen, hören und sehen. Das kleinste Insekt am anderen Ende des Gewächshauses. Das Tropfen vom Wasserhahn in den Badezimmern sowie die Unterscheidungen aller Gerüche im gesamten Objekt. Jede noch so kleine Blume konnte sie wahrnehmen, wenn sie sich darauf konzentrierte. Seit drei Stunden waren wir mittlerweile dabei, das Gleiche bei mir zu versuchen. Ophelia teilte mir mit, dass ich, mit ein wenig Übung, von ihren Fähigkeiten profitieren konnte und sie irgendwann genauso anwenden kann, wie sie es tut. Doch ich musste bereits nach der ersten Stunde feststellen, das das einfacher gesagt als getan war. Sich nur auf einen Sinn zu konzentrieren und die anderen auszublenden, war beinahe unmöglich. Geschweige denn sich auf etwas zu konzentrieren, was mehrere Meter entfernt war und von dem man nicht wusste, dass es da war. Wie beispielsweise das Wachsen der Pflanzen. Oder der Geruch von dem Dünger am anderen Ende des Gewächshauses. Doch ich hatte ein Ziel vor den Augen und ich würde nicht aufgeben, bis ich es erreicht hatte.
Immerhin war ich jetzt ein Werwolf. Ein Monster, welches sich in ein Tier verwandeln und andere Menschen oder Wesen verletzten oder sogar töten konnte. Ophelia räusperte sich. Aber .. ich ließ eine kurze Pause. Ich muss lernen damit umzugehen. Also warum nicht damit anfangen, die Vorteile für mich zu nutzen und davon zu profitieren. >Na siehst du. Mit der richtigen Einstellung wird das was mit dir. Und außerdem, wie ich dir bereits schon mehrmals gesagt habe, wir bringen niemanden um.< Ich rollte leicht mit den Augen. „Aber ihr wärt dazu in der Lage." Gab ich leicht zickig von mir. >Menschen töten sich auch gegenseitig, wo liegt also der Unterschied?< Ich seufzte und ließ die Schultern hängen. Das war ihr einziges Argument, was sie bringen konnte. Und auch wenn sie einerseits Recht hatte, ist das irgendwie nicht das Gleiche. Aber egal ob Mensch gegen Mensch, Mensch gegen Werwolf oder Werwolf gegen Werwolf. Fakt ist, dass beides verwerflich ist. Ich lief auf meinen Spint zu, während ich mich meiner Arbeitskleidung entledigte. >Dann wäre das ja geklärt.< Ich trat in den Verkaufsraum, schaltete das Licht aus und schloss die Eingangstür ab, ehe ich über den Hinterausgang das Geschäft verließ. >Komm, noch einmal. Konzentrier dich. Fokussiere dich auf deine Nase und schalte alle anderen Gedanken aus.< Ich tat wie mir gesagt wurde und versuchte mich nur auf meinen Geruchssinn zu konzentrieren. Ich versuchte einen markanten Geruch in meiner Umgebung auszumachen. Doch das, was ich roch, brachte mein Herz zum Stolpern. Weihrauch und Kardamom.
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Der Hass meiner Gefährtin
WerewolfIn einer Welt, in der Menschen neben Werwölfen koexistieren, führt Olivia mit ihrer Mutter ein bescheidenes Leben, abseits der Zivilisation. Doch als sie plötzlich umziehen müssen, gerät sie in das Visier eines Alphas, welcher in ihr endlich seine G...