Kapitel 47 - Annäherung

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Olivia

Mir war warm. Zum ersten Mal seit ich hier war, war mir nicht kalt, wie in den letzten Nächten während ich im Bett lag. Aber nicht diese Art von Wärme, welche unangenehm war. Nicht diese Hitze, bei der man sich ausziehen wollte, bei der man den Körper abkühlen lassen wollte. Nein. Es war eine angenehme Wärme. Eine mich einehmende Wärme, welche durch meinen ganzen Körper floss. Von den Zehen bis zu meinem Kopf spürte ich sie und entgegen meinen Erwartungen genoss ich sie. Ich genoss das Gefühl, welches durch sie in mir hervorgerufen wurde. Das Gefühl von Geborgenheit. Das Gefühl von Sicherheit. Es fühlte sich nach Heimat an. Als wäre ich endlich angekommen. Also schloss ich wieder meine Augen und versuchte nicht daran zu denken, wo diese Wärme herkam oder welchen Ursprung sie hatte. Ich wollte sie einfach genießen. Den Moment in mir aufsaugen. Mich wohl fühlen. Etwas, was ich seit einer halben Ewigkeit schon nicht mehr tun konnte. Doch als ich einen gleichmäßigen Luftzug in meinem Nacken spürte, schlugen meine Augenlieder erneut auf und ganz plötzlich war das Gefühl von Entspannung wie weggefegt. Das Gefühl von Sicherheit, Geborgenheit war urplötzlich verschwunden und wurde durch die blanke Panik, durch Angst ersetzt. Ich blickte mich in dem Zimmer um, wollte Ausschau halten, ob sich etwas verändert hatte. Während ich mich zeitgleich versuchte zu beruhigen und meine Wölfin zu kontaktieren, doch sie hatte im Gegensatz zu mir anderes im Sinn und ignorierte mich. Erneut. Wieder einmal bin ich auf mich allein gestellt. Was hatte ich auch anderes erwartet.

Ich atmete vorsichtig ein und aus, ehe ich an mir herunterblickte. Die Decke war bis zu meiner Brust gezogen und ich hatte immer noch die Sachen von gestern an. Also alles beim Alten oder nicht? Ich wollte gerade erleichtert durchatmen als ich Bewegungen hinter mir wahrnahm. Ich riss schockiert die Augen auf, als sich zwei Hände um meine Hüfte und meinen Bauch legten und mich enger an etwas hartes zogen. An etwas sehr hartes und warmes. Ich schluckte hörbar und versuchte meinen Puls zu beruhigen. Doch als sich plötzlich noch etwas eng an meinen Nacken- und Schulterbereich schmiegte und einen tiefen Atemzug nahm, verlor ich die Kontrolle. Ich keuchte auf, weil sich auf meinem Körper eine teils angenehme als auch unangenehme Gänsehaut bildete. Ich bewegte die Hände von meinem Körper und rutschte auf die andere Bettseite. Doch zu früh gefreut. Das Bett war bereits zu Ende, weswegen ich mit einem kräftigen Plums auf den Boden knallte. Direkt auf meinem Hintern. „Autsch." Schimpfte ich und rieb mir die linke Pobacke. Doch als meine Augen zurück Richtung Bett wanderten, starrten mich zwei graue, verschlafene Exemplare an. „Was machst du da unten?" Hörte ich Xaviers tiefe, schlaftrunkene Stimme. „Ich genieße die Aussicht." Kommentierte ich seine dümmliche Frage ärgerlich, während er mich weiter anstarrte. Gott. Dieser Mann. Er sah immer noch unbeschreiblich gut aus. Es schien als könnte ihn nichts entstellen. „Und? Ist sie gut?" Fragte er dann und sah mich mit einem schelmischen Grinsen an.

Ich verdrehte nur die Augen. „Könnte besser sein." Ich versuchte mich wieder aufzurichten, doch verfing mich in der Bettdecke, welche ich mit heruntergerissen hatte. Ich stolperte und erwartete bereits den nächsten Aufprall, doch Xavier fing mich auf und hielt mich fest. Ich lag in seinen Armen, während er über mir thronte. Wie klischeehaft, dachte ich mir und rollte erneut mit den Augen. „Danke, aber das wäre nicht nötig gewesen." Ich richtete mich auf und sorgte für etwas Abstand zwischen uns. „Und wie das nötig war. Du hättest dich verletzten können. Es ist meine Pflicht darauf aufzupassen, dass dir nichts passiert." Er sah mich schuldbewusst als auch ein wenig stolz an, was ich mit einem Seufzen quittierte. „Es sollte aber nicht deine PFLICHT sein. So solltest du nicht denken müssen." Ich hob die Decke vom Boden auf als mir auffiel, dass ich gar nicht mehr an das Bett gekettet war. Mein Blick wanderte zu meinem geröteten Handgelenk, welches ich sekundenspäter in Augenschein nahm. Ehe ich wieder meinen Blick auf Xavier richtete, welcher nur mit den Schultern zuckte. „Du hast letzte Nacht so sehr daran gezerrt, dass ich Angst hatte, du könntest dich selbst verletzten. Also habe ich sie geöffnet." Ich sah ihn weiterhin skeptisch an. „Und du hattest keine Angst, dass ich abhaue?" Er zog eine Augenbraue hoch. „Nein, eigentlich nicht. Das wäre auch gar nicht möglich gewesen. Du hast dich die letzte Nacht so sehr an mich gekuschelte, dass ich mir darum keine Sorgen machen brauchte." Jetzt grinste er wieder wie ein Schuljunge und sah mich stolz an.

„Von wegen." Gab ich eingeschnappt von mir und lief an ihm vorbei. „Glaub es oder nicht. Fakt ist, du hast getan." Er folgte mir, bis wir vor der Badezimmertür standen. „Was soll das werden." Kommentierte ich sein Verhalten und drehte mich zu ihm um. „Wo willst du hin?" Er ist schwer von Begriff, oder? Ich deutete auf die Tür vor uns. „Ins Bad. Wenn ich schon einmal den Luxus habe nicht an das Bett gekettet zu sein, will ich das auch ausnutzen. Was so viel bedeutet wie, ich gehe duschen." Das habe ich schon viel zu lange nicht mehr gemacht, dachte ich mir innerlich. Er zog eine Augenbraue hoch. „Ist es noch zu früh, wenn ich frage ob ich mitdarf?" Ich öffnete empört den Mund. „Verschwinde Xavier!" Und mit diesen Worten knallte ich ihm die Tür vor der Nase zu. „Wage es ja nicht hereinzukommen!" Rief ich ihm noch zu, bevor ich das Wasser aufdrehte, mich meiner Kleidung entledigte und unter die Regenwalddusche stieg. Es dauerte eine ganze Weile, bis ich mich wieder bewegte und anfing mich einzuseifen. Das Gefühl von dem warmen Wasser auf meiner Haut tat einfach zu gut, als dass man es nicht hätte genießen können. Ich entschied mich für eines der Fläschchen, welches in einer Auslassung der Dusche stand und träufelte die gelbe Flüssigkeit auf meine Handfläche. Ich vernahm den Geruch von Moschus und Weihrauch. Es war der unverkennbare Geruch von Xavier, welcher mich umhüllte, als ich mich mit ihm im Wald getroffen hatte. Ich seufzte schließlich und schäumte meinen Körper ein.

Xavier

Auch wenn sie mir die Tür vor der Nase zugeschlagen hatte, so machten wir dennoch Fortschritte. Sie hat mich gestern Abend eingeladen neben ihr zu schlafen. Sie hat sich in der Nacht an mich geschmiegt, meine Nähe gesucht und auch wenn sie heute Morgen wieder gefühlskalt war, so konnte ich mir das Grinsen nicht mehr verkneifen. Es ging vorwärts und nur das zählte. Selbst wenn sie mich den ganzen Tag ignorieren oder beschimpfen würde. Allein der Gedanke daran, dass wir die Nacht zusammen verbracht haben und sie heute morgen keinen negativen Kommentar darüber verloren hat, erfüllten mich mit Stolz und purer Ekstase. Ich lief also die Treppen nach unten, nachdem ich mir etwas bequemeres angezogen hatte und versuchte mich in der Küche an Spiegeleiern und Bacon. Nebenbei schob ich mehrere Brotscheiben in den Toaster als ich jemanden die Treppe herunterkommen hörte. Ich lehnte an der Theke und konzentrierte mich voll und ganz auf sie als meine Augen zu leuchten begannen. „Vergiss es. Hör auf dir etwas darauf einzubilden. Ich hatte oben nichts anderes gefunden, also fahr einen Gang runter." Sie blickte mich eiskalt an, doch nichts könnte diesen Tag noch besser machen. „Meine Lippen sind versiegelt." Ich deutete einen Schlüssel an, welcher meinen Mund verriegelte ehe ich mich an die Theke setzte und ihr andeutete, gegenüber von mir Platz zu nehmen.

Sie folgte meinen stillen Anweisungen und ließ sich auf den Platz mir gegenüber plumpsen. „Mal was anderes." Kommentierte sie den Inhalt ihres Tellers und fing an sich um die Eier und den Bacon zu kümmern. Ich beobachtete jede ihrer Bewegungen und genoss diesen seltenen Anblick. Ihre Anwesenheit, die Tatsache, dass sie mir gegenübersaß und das Essen aß, welches ich für sie zubereitet hatte. Diese Eindrücke ließen mein Herz in die Höhe springen. „Lass mich raten." Sie legte den Kopf leicht schief und schob den Teller von sich. „Du denkst, nur weil du in der Nacht neben mir schlafen durftest, mich von meinen Ketten befreit hast und mir Essen machst, dass ich vor dir auf die Knie gehe und anfange mich auf dich einzulassen, richtig?" Sie sah mich skeptisch an und faltete ihre Hände. „Nein. Wieso sollte ich? Du bist wesentlich komplizierter als das." Sie nickte mich zögernd an. „Du wirst wesentlich mehr tun müssen als das." Ich nickte ihr zu. „Ich weiß. Aber ich bin bereit alles zu geben, um dich davon zu überzeugen hier zu bleiben. Um dich von mir zu überzeugen." Ich sah sie mit einem ernsten Gesichtsausdruck an, um ihr zu verdeutlichen, wie wichtig mir das alles war. „Puuuh." Sie stieß einen langen Atem aus. „Wenn du dich da mal nicht verrennst, Wolfi." Sie stand von dem Stuhl auf und wollte wieder die Treppen nach oben als ich sie aufhielt. „Mach dich fertig. In dreißig Minuten will ich los." Sie drehte sich zu mir um und warf mir einen fragend Blick zu. Doch ich lächelte nur. „Heute wirst du dein neues Zuhause kennenlernen."

Sie schüttelte den Kopf und drehte sich wieder um. „Neues Zuhause, von wegen. Einen Scheiß. Das hier wird niemals mein Zuhause." Natürlich wusste ich, dass sie nicht mit mir gesprochen hatte aber das zeigte mir wieder nur, wie sehr ich mich anstrengen musste. Sie scheint sich so sicher zu sein, dass ich keinen Einfluss auf sie habe, doch da irrt sie sich. Ich bin davon überzeugt, dass sie sich früher oder später auf mich einlassen wird. Es gab schon zu viele Momente in denen sie die Kontrolle abgegeben hatte und auch ihre Wölfin scheint nicht die gleiche Meinung wie sie zu teilen. Spätestens in ein paar Wochen wird sie ihre Ansichten noch einmal überdenken. Dessen bin ich mir sicher. Ich machte mich also auf den Weg in Richtung Schlafzimmer, um mir etwas passendes für den heutigen Tag anzuziehen. Ich hatte vor ihr eine kleine Führung zu geben. Von meinem Rudel und allem, was dazu gehörte. Wir waren eine kleine Gemeinschaft, welche seit Jahrhunderten in Frieden lebte. Zu mindestens so lange, bis mein Vater die Macht an sich riss und fast einen Krieg angezettelt hätte. Er war machthungrig und scherte sich einen Dreck um die Mitglieder dieses Rudels. Doch seit ich an der Macht war, kehrte wieder Ruhe und Frieden ein. Auch wenn andere Rudel in mir das Blut meines Vaters fließen sahen, so war ich doch ganz anders als er. Für mich bedeuteten die Menschen etwas, die Wölfe in meinem Rudel waren meine Familie und ich hatte die Aufgabe sie zu beschützen. Genauso wie ich SIE beschützen musste. Meine Gefährtin und die zukünftige Luna.

Der Hass meiner Gefährtin Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt