Juna
Ich habe seit vier Tagen nichts von Jamie gehört, also gehe ich davon aus, dass er keine Lust mehr hat mit mir zu schreiben. Schade, aber es ist ok. Er hat sein Leben und ich habe Meins. Es ist Wochenende und das Wetter ist angenehm mild. Ich nutze es für einen ausgedehnten Spaziergang mit Elli im Wald. Liva hat keine Lust. Ich konnte sie nicht überreden, aber ich gehe auch gern allein spazieren. Elli schnüffeln neugierig den Waldboden ab, läuft ein paar Meter vor und wartet dann auf mich. Oder sie kommt zu mir, holt sich hier und da ein Leckerchen ab. Ich liebe meine kleine Maus. Na gut, so klein ist sie nicht, aber sie ist mein Sonnenschein. Sie weiß immer, wie es mir geht und weiß genau, wie sie mich aufmuntern kann, wenn es mir mal nicht so gut geht. Ihre Art ist einfach einzigartig und witzig auf ihre Art. Sie mach immer irgendwelche Dummheiten und freut sich dann einen Keks, wenn sie erwischt wird. Ich liebe es, ihr zuzusehen, wenn sie draußen oder im Haus etwas gefunden hat, womit sie spielen kann, oder wie eine verrückte den Vögeln oder den Blättern hinterher jagt. Wenn sie im Haus mit ihrem geliebten Golfball spielt, der so schön springt, wenn sie ihn aus dem Maul fallen lässt. Sie liebt es, zu rennen, zu toben aber genauso liebt sie es auch, mit mir auf dem Sofa zu kuscheln. Ständig denkt sie, sie ist ein Schoßhund.
Das Vibrieren meines Handys reißt mich aus meinen Gedanken und ich vermute, es ist Liva, die fragt, ob ich ihr mehr Handyzeit geben kann oder sonstwas. Doch zu meiner Überraschung ist es Jamie. Neugierig öffne ich die Nachricht. „Hi. Tschuldige, dass ich mich erst jetzt melde, aber uns alle hat die Magen Darm Grippe dahingerafft. Zum Glück wohnt meine Schwester ganz in der Nähe. Wie ist es dir ergangen? Noch alle gesund? Liebe Grüße aus dem Krankenlager, J.“ Ich lächle und bleibe stehen, um eine Antwort zu tippen. „Hallo Jamie. Schön, von Dir zu hören. Ich dachte schön, ich wäre dir zu langweilig geworden. Ich hoffe, ech geht’s wieder einigermaßen gut. Grüße vom Waldspaziergang mit der ungeduldugen Elli“, tippe ich und mache noch ein Foto von meiner Hündin, die gerade in meine Richtung schaut und mich wartend ansieht und einmal bellt. „Ich komme ja schon“, lache ich und gehe weiter.
Wir haben eine gute Runde gedreht und komme mit kalten Fingern wieder zuhause an. Die Tage werden kürzer und wenn es dunkel ist, wird es verdammt kalt. Ich mache den Kaminofen an und koche einen Tee. Mit der Tasse bewaffnet setzte ich mich auf die Couch zu Elli, die schon dort liegt, seit wir das Haus wieder betreten haben. Ich schiebe meine kalten Füße unter ihren warmen Körper und nippe an meinem Tee, nehme mir dann wieder mein Handy zur Hand.
„Langweilig? Ganz im Gegenteil. Ich finde es erfrischend, mit dir zu schreiben. Es lenkt von dem ganzen Wahnsinn ab, der um mich herum passiert. Deine Elli ist ne Süße“, hat er geschrieben und ein Foto von seinem Hund dabei geschickt. Seine Antwort lässt mich lächeln und ich tippe gleich eine Antwort. „Danke. Dein Lenny ist aber auch ein Hübscher. Wahnsinn also… so schlimm? Aber wer sagt, dass ich nicht auch verrückt bin?“
„Verrückt und wahnsinnig sind zwei völlig verschiedene Dinge. Gegen das verrückt sein habe ich nichts einzuwenden. Normal kann ja jeder. Ich habe mir sagen lassen, ich hab sie auch nicht mehr alle“, antwortet er nur wenige Minuten später. Ich kichere. „Gilt das nicht für alle Iren? Hört man doch immer wieder“, schreibe ich.
„Da dürftest du sogar Recht haben. Ich kenne da so ein paar, und die haben eindeutig nicht mehr alle Tassen im Schrank“, schreibt er und bringt mich damit zum lachen. „Ich melde mich später wieder. Ich muss Abendessen für meine Mädchen organisieren“, schickt er noch hinterher. Ich sehe, dass sich das Profilbild geändert hat und nicht mehr mein Papa zu sehen ist. Ich tippe drauf und das Bild vergrößert sich. Ich lächle. Welch ein schönes Bild. Das ist sicher er mit seinen Töchtern. Sie sitzen nebeneinander, wobei er die Kleinste auf seinem Schoß sitzen hat. Es scheint Sommer zu sein, denn sie tragen kurze Kleidchen oder kurze Hosen. Ich denke, das Foto ist schon ein oder zwei Jahre alt, denn das Mädchen auf seinem Schoß ist deutlich jünger als drei. Ich kann die Gesichter nicht wirklich erkennen. Die Kleine auf seinem Schoß schaut ihren Fuß an, das Mädchen zu seiner Rechten lacht herzlich und schaut dabei zu ihrem Papa. Das Mädchen links hat seine Stirn an die seines Vaters gelehnt, der sich zu ihr runterbeugt und beide ziehen eine Grimasse. Ich kichere. Ein Mann mit Humor, bestätigt mir auch dieses Bild. Er ist sich nicht zu fein dafür, Faxen mit seinen Töchtern zu machen. So wie es eigentlich alle Eltern sollten. Leider sieht man viel zu oft das Gegenteil. Alles ist schickimicki. Die Kinder dürfen sich nicht dreckig machen. Das ist schade. Wie er schon sagte, alles Wahnsinn um einen drum herum. Meine Familie und ich sind auch oft als nicht normal betitelt worden. Früher hat mich das geärgert, heute bin ich froh darüber. Ich ziehe das Bild noch etwas größer, um ein Blick auf sein Gesicht zu werfen. Man kann nicht wirklich viel erkennen, dank der Grimasse und des Seitenprofils, doch ich würde sagen, man kann ihn durchaus als attraktiv betiteln. Er trägt einen Vollbart und an den Seiten sind seine Haare kurz, oben etwas länger und lockig. Die Haarfarbe scheint ein dunkles Blond zu haben, oder ein helles Braun.
„Normal sein, ist auch nichts für mich. Meine Familie war auch immer ein bisschen verrückt. Ob es daran liegt, dass ich zur Hälfte Schottin bin? Das ist dem irischen ja gar nicht so unähnlich. Und das mit dem Wahnsinn, dich glaube ich weiß was du meinst. Da bin ich froh, mich einfach von der Masse ein wenig abzuheben. Lasst es euch schmecken. Ich denke ich gönne mir und Liva heute etwas vom Lieferservice. Guten Hunger“, wünsche ich und leere meinen Tee, stehe dann auf , um nach Liva zu rufen. Sie kommt Augenblicklich aus ihrem Zimmer. „Ja, Mama?“ fragt sie. „Was möchtest du heute Abend essen? Ich bestelle uns was“, frage ich sie und da leuchten ihre Augen. „Oh, chinesisch bitte“, entscheidet sie. „Ja, gern. So wie immer?“ „Nein, ich komm gleich runter und suche mir was aus“, meint sie und verschwindet wieder in ihr Zimmer. Ich nicke und gehe ins Esszimmer, suche schon mal den Flyer raus und suche mir etwas aus.
Eine Stunde später machen wir uns über die Leckereien her und Liva fragt mich, ob sie morgen bei Michelle übernachten dürfte. „Wenn ihre Eltern nichts dagegen haben, gern“, antworte ich und Liva freut sich. Ein Abend nur für mich. Was könnte ich machen? Vielleicht meine Freundin anrufen, mit ihr ins Kino gehen? Nach dem Essen frage ich Becki, ob sie Lust hat, was zu unternehmen und schlage Kino vor.
Wir verabreden und für den nächsten Abend um 18 Uhr. Ich werde sie agilen und wir werden vorher noch etwas essen.
Ich verkrümle mich aufs Sofa und mache den Fernseher an, lese aber zunächst Jamies Antwort. "Oh ja. Die Schotten haben ja auch so ihre Eigenarten. Ich mag die Schotten", schreibt er.
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Wenn das Leben dir Zitronen gibt
RomanceJamie und Juna. Zwei Menschen aus verschiedenen Welten. Juna schreibt eigentlich nur eine Nachricht an ihren verstorbenen Vater, die jedoch an Jamie geleitet wird. Sie kommen in Gespräch und zwischen ihnen entsteht eine besondere Freundschaft. Oder...