Ich muss hier raus

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Jamie

„Daddy, was wollte der Mann von mir?“ fragt Dulcie, als ich sie ein paar Tage später am Abend ins Bett bringe. Ich seufze und setze mich zu ihr an den Bettrand. „Ist es wegen Mommy?“ will sie wissen. Ich habe es bis heute geschafft, die Mädchen zu schützen. Doch heute nach dem Sportunterricht haben die Reporter meine Tochter abgefangen. Zum Glück war gleich ihr Lehrer anwesend und hat sie beschützt. Er hat mich angerufen und ich habe sie und auch Elva umgehend abgeholt. Ich habe mit der Schulleitung gesprochen, und die meinen, ich solle die Mädchen ein paar Tage aus der Schule nehmen. Sie könnten online am Unterricht teilnehmen. Was wird mir anderes übrig bleiben?
Ich ergreife DDs Hand und streichle mit dem Daumen über ihren Handrücken. „Sie wollen wissen, warum deine Mama weg ist“, verrate ich ihr. „Warum ist sie denn weg?“ will sie wissen. „Sie….“ Beginne ich, doch ich will sie nicht belügen. „Ich weiß es nicht, Spatz. Sie hat entschieden, ohne mich zu leben“, sage ich sanft. „Sie kommt nicht wieder oder? Will sie auch ohne uns leben?“ fragt sie. „Sie liebt euch sehr, aber... Ich weiß es nicht“, gebe ich zu. „Nein, sie kommt nicht wieder“, sagt sie. „Sie hat uns versprochen, dass sie sich unsere neuen Zimmer ansieht, aber sie war noch nie hier. Sie sagt es immer nur, um uns zu vertrösten.“ Mir zerreißt es das Herz, sie diese Aussage sagen zu hören. Sie sieht der Wahrheit klar ins Auge. „Ich weiß es schon lange, aber Elvi und Bertie freuen sich doch immer, wenn Mama anruft“, fügt sie hinzu zu und eine Tränen verirrt sich in ihren Augenwinkeln. Ich ziehe sie zu mir und sie klammert sich an mich. „Du bleibst doch bei uns, oder? Bitte geh nicht weg“, fleht sie und ich schlucke hart. „Niemals“, sage ich ich. „Ich werde euch nie, niemals alleine lassen. Ich bleibe, wo ich bin. Ich bleibe immer bei euch“, verspreche ich ihr und während sie weint, wiege ich sie sanft hin und her. Woekönnte ich meine Kinder jemals im Stich lassen?
Es dauert eine Weile, bis sie eingeschlafen ist, und erst als ich mir sicher bin, dass sie schläft, erhebe ich mich. Sie hat mich darum gebeten, bei ihr zu bleiben.  
Ich habe eine Einstweilige Verfügung gegen den Reporter beantragt, der die Frechheit besaß, meine Tochter zu belästigen, aber ich weiß, es wird nicht der letzte Sein. Ich kann sie nicht vor allem schützen. Ich kann nicht mehr. Ich weiß nicht, wie ich meine Mädchen vor allem beschützen soll. Ich muss hier raus und mir fällt nur ein Ort ein, wo ich meine Ruhe haben könnte. Ich setze mich aufs Sofa, ignoriere die hundert Mails, die jeden Tag bei mir eintrudeln und rufe umgehend bei Juna an.

Juna

Ich eile zu meinem Telefon, als es klingelt und bin überrascht, dass Jamie anruft. „Hey“, melde ich mich atemlos. „Hi. Warum so außer Atem?“ fragt er irritiert und ich kichere. „Bin die Treppe runtergerannt“, erkläre ich und lasse mich aufs Sofa sinken. „Alles gut?“ frage ich sogleich. Die Presse ist immer noch verrückt danach, etwas herauszubekommen. „Nicht wirklich. Einer der Reporter hat Dulcie heute abgefangen“, erzählt er. Scheiße. „Oh Gott, ich hoffe, ihr geht es gut.“ Er seufzt. „Sie weiß, dass ihre Mama nicht wiederkommen wird. Zumindest nicht alsbald…“ Er klingt wirklich geknickt. „Hat sie das der Presse erzählt?“ frage ich vorsichtig. „Nein, der Lehrer konnte sie wegbringen, bevor er wirklich mit ihr reden konnte“, erzählt er und ich atme auf. „Gott sei Dank.“ „Die Schulleitung meint, ich solle die Mädchen eine Zeit lang aus der Schule nehmen. Klar, wollen sie auch die anderen Kinder schützen….“ Oh man. „Also seid ihr quasi Zuhause eingesperrt?“ vermute ich. „Jain… noch wissen sie nicht, wo wir wohnen, aber das ist nur eine Frage der Zeit“, seufzt er und ich wünschte, ich könnte etwas tun. „Also…“ beginne ich, doch ich werde unterbrochen. „Steht dein Angebot noch?“ fragt er. „Du lebst ja am Arsch der Welt und… das könnte uns gut tun.“ Ich muss lachen. „Natürlich Jamie. Ich habe es dir angeboten. Das mache ich nicht, wenn ich es nicht ernst meine. Das haben wir doch schon durchgekaut“, sage ich amüsiert und auch er scheint zu lachen. „Ich weiß. Ich bin ein Idiot“, meint er und da muss ich ihm widersprechen. „Du hast manchmal ne ziemlich schlechte Meinung von dir“, stelle ich fest. „Naja…  meine Frau ist ohne ein Wort abgehauen. Da muss ich wohl ein Arsch sein“, murmelt er. „Jamie…“ sage ich sanft. „Ich weiß nicht, was sie dazu bewegt hat, zu gehen. Aber sicher nicht weil du ein Arsch bist. Denn das bist du ganz sicher nicht“, versuche ich ihm klar zu machen. „Gib dir nicht an allem die Schuld.“ Wieder seufzt er. „Danke“, meint er, klingt aber nicht überzeugt. „Ich denke, hier zu sein, wird euch gut tun“, sage ich schließlich. „Das hoffe ich.“ „Hast du eine Idee, wann ihr kommen wollt?“ frage ich. „Am liebsten vor einer Woche“, schnauft er und ich schmunzle. „Ich weiß nicht. Wann passt es dir?“, will er wissen. „Ich muss morgen noch Arbeiten, dann kann ich mit meiner Cheffin fragen, ob ich kurzfristig Urlaub bekomme. Du kannst ja schauen, wann ihr Flüge bekommt“, schlage ich vor. „Okay. Welcher Flughafen wäre denn von dir aus am nächsten?“ fragt er. „Münster. Allerdings hat er keine Direktflüge nach England. Ich würde Hamburg, Hannover oder Düsseldorf probieren. Vielleicht noch Köln“, sage ich und höre ihn tippen. „Flüge könnte ich direkt schon heute Abend oder morgen, bekommen. Ich würde mich aber nach dir richten. Sag mir, ab wann es dir passt und ich buche direkt“, meint er. „In Ordnung. Ich kann meine Cheffin auch noch versuchen zu erreichen. Vielleicht kann sie mir schon was dazu sagen.“ „Du bist ein Schatz. Ehrlich, ich bin dir unglaublich dankbar.“ „Ehrensache, Jamie. Wenn ein Freund in Nöten steckt, helfe ich gern“, versichere ich ihm. Wir verabschieden uns und ich rufe umgehend Angela, meine Cheffin an. Sie schaut in ihren Kalender und kann mir ab nächster Woche Urlaub geben. Maximal zwei Wochen könnte sie einrichten. Ich schreibe Jamie. „Ich habe ab Montag zwei Wochen Urlaub. Morgen muss ich nochmal Arbeiten, aber dann habe ich Wochenende. Also ich kann euch ab morgen Abend empfangen“, teile ich ihm mit. „Perfekt. Ich checke mal die Flüge“, Es dauert ein Weile, bis er antwortet. „Also ich könnte morgen Abend gegen 8 Uhr in Düsseldorf landen. Oder Freitag gegen Mittag in Hannover“, schreibt er. „Du musst jeweils an die zwei Stunden Autofahrt dazurechnen. Was ist dir lieber. Wäre dir das morgen Abend nicht zu spät für deine Mäuse?“ Ich bekomme eine Sprachnachricht. „Du hast Recht. Vermutlich es zu spät, vor allem mit dem Kennenlernen und alles. Da kommt Bertie nicht zur Ruhe. Okay, dann buche ich die Flüge für Freitag.“ „Soll ich euch abholen?“ frage ich. „Nein, nicht nötig. Ich werde einen Leihwagen reservieren. Vielleicht kann ich ja ein paar Unternehmungen mit meinen Mädchen machen“, antwortet er. „Klar. Hier gibt es einiges zu sehen, auch wenn man immer ein Stückchen fahren muss. In Ordnung, ich schicke dir meinen Standort. Wenn ich dir die Adresse gebe, könnte das Navi dich möglicherweise einen halben Kilometer weiter schicken“, sage ich kichernd und schicke ihm meinen Standort zu. „Du wohnst ja wirklich mitten in der Pampa“, stellt er fest. „Sag ich doch“, antworte ich lachend.

Wenn das Leben dir Zitronen gibtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt