Jamie
Wir haben gerade den ersten Tequila angesetzt, da ruft Dulcie nach mir. Ich seufze uns stelle das Gals ab, gehe hoch und frage, was los ist. „Elva hört nicht auf zu plappern“, beschwert sie sich. Ich gehe ins Zimmer, wo Elva putzmunter auf dem Bett sitzt und in einem Buch blättert. „Du sollst schlafen, junge Dame“, mahne ich sie. „Aber es ist langweilig“, erklärt sie. „Langweilig? Mäuschen, das ist mir herzlich egal. Du solltest ja auch schlafen. Leg das Buch weg und Licht aus!“ mahne ich und sie stöhnt genervt, legt das Buch zur Seite. „Gute Nacht“, wünsche ich und schließe die Tür. Doch sobald ich die Treppe betrete, höre ich schon wieder Dulcie schimpfen. „Hör auf!“ schimpft sie ihre kleine Schwester. Ich öffne abermals die Tür. „Elva, komm her“, sage ich und sie steht auf, nimmt das Buch mit. „Leg das Buch zur Seite!“ herrsche ich. Ich nehme sie an der Hand und schließe Tür. „Darf ich ausbleiben?“ fragt sie mich allen Ernstes. Ich hocke mich auf Augenhöre zu ihr „Nein, ganz sicher nicht. Schau mal auf die Uhr. Es ist nach 10 Uhr am Abend. Ich bringe dich jetzt in mein Bett und ich will keinen Mucks mehr von dir hören. Wenn du Bertie weckst, kriegen wir beide mächtig Ärger, haben wir uns verstanden?“ frage ich sie und sie seufzt. „Okeeee“, murmelt sie. Ich erhebe mich, bringe sie in mein Bett und Decke sie zu, drücke ihr noch einen Kuss an die Stirn. „Ich hab dich lieb, kleine Kröte“, sage ich sanft. „Ich hab dich auch lieb, Daddy“, erwidert sie. „So und jetzt schlaf“. „Ich kann aber nicht“, erwidert sie. „Keinen Laut mehr. Schließe deine Augen und denk an was schönes, was du morgen machen willst“, sage ich und gehe zur Tür. „Aber…“ „Pscht. Gute Nacht.“ Damit ist die Diskussion beendet und ich höre tatsächlich keinen Mucks mehr von ihr. Das wird heute Nacht eng im Bett. Aber wenigstens hält sie so Liva und DD nicht vom Schlafen ab.
Ich geselle mich wieder zu Juna, die gnädiger weise mit dem Tequila auf mich gewartet hat. Wir versuchen es ein Zweites Mal, stoßen an und ich kippe den Tequila hinunter, und beiße in die Zitrone. Ich schüttle mich. „Das der erste immer so widerlich sein muss“, murmle ich und Juna kichert. „Nach dem Dritten wird erst richtig eklig“, lacht sie und da muss ich ihr recht geben. Ich habe mir mehr als einmal mit Tequila die Kante gegeben. „Danke, einer reicht“, winke ich ab. Schließlich sind die Kinder da. „Lieber noch ein Glas Wein?“ bietet sie mir stattdessen an. „Ja, eins ist noch okay“, gebe ich nach und schiebe ihr mein Glas hin.
„Elternsein ist nicht einfach, was?“ meint sie sanft lächelnd und ich seufze. „Ich liebe die Drei mehr als alles andere, aber manchmal…“ „…möchte man sie auf dem Flohmarkt verkaufen“, kichert sie und ich lache. „Ja. Manchmal schon. Aber dann sind sie nur ein Tag nicht da und man vermisst man sie schon“, widerspreche ich. „Allerdings.“ Ich reibe mir müde übers Gesicht. „Elva und Alberta sind immer so aufgedreht, wenn Amelia anruft. Ich kann sie noch so oft bitten, sich früher zu melden. Sie macht es einfach nicht…“ „Wer weiß, was für Gründe sie dafür hat…“ „Tja, sie könnte einfach den Mund aufmachen und mit mir reden, aber das ist ihr die letzten Jahre schon schwer gefallen. Früher haben wir über alles geredet. Sie war nicht nur die Frau, die ich geliebt habe, sondern auch meine beste Freundin.“ Ich seufze zum keine Ahnung wievielten Male an diesem Abend. „Sie fehlt dir“, stellt sie fest. „Ja, und wie“, gebe ich zu. „Liebst du sie noch?“ will Juna wissen und ich überlege. „Ich weiß es nicht. Auf einer gewissen Art bestimmt. Aber ich glaube nicht, dass es jemals wieder so sein könnte, wie es mal war. Sie nervt mich im Moment einfach unglaublich.“ „Das glaube ich dir. Es ist nicht einfach in deiner Haut zu stecken. Wann fing das denn an, dass sie nicht mehr mit dir geredet hat?“ Ich überlege. „Ich nehme an, es fing an, als wir dank der Pandemie alle zuhause feststeckten. Ich habe die Zeit mit meiner Familie genossen, aber ich glaube für Amelia war es zu viel. Sie war immer ein Mensch, der viel unternommen hat. War öfter mal am Wochenende mit ihren Mädels aus. Für mich war das okay. Ich bin gern zuhause bei den Kindern geblieben. Sie hat sich vermutlich eingeengt gefühlt“, überlege ich und zucke mit den Achseln. „Die Zeit war für niemanden einfach. Papa war zu dem Zeitpunkt schon krank und es war eine Qual, wenn er mal wieder im Krankenhaus gelegen hat. Niemand durfte ihn besuchen.“, erinnert sie sich und sieht traurig aus. „Das ist heftig. Ist er dort gestorben?“ traue ich mich zu fragen. „Nein. Er hat sich nach der Lungenentzündung wieder weitgehend erholt und danach haben wir alles getan, damit er nicht wieder ins Krankenhaus muss, nachdem uns klar war, dass er nicht wieder gesund werden würde. Es war seine größte Angst, allein im Krankenhaus zu sterben“, erzählt sie und nun ist es an ihr zu Seufzen. Dann bildet sich ein sanftes, trauriges Lächeln auf ihre Lippen. „Er starb zuhause, in seinem Bett, in meinen Armen. Es war ganz friedlich…“ Ich lege meine Hand auf ihre und streiche sanft darüber. „Wie war es bei deinem Vater?“ fragt sie schließlich. Ich atme tief durch und trinke einen Schuck von meinem Wein. „Er… starb im Krankenhaus. Samina war bei ihm…“ „In Belfast?“ fragt sie und ich nicke. „Meine Schwestern sind gleich hin. Und ich hing am anderen Ende der Welt in einem gottverdammten Hotelzimmer fest“, schnaufe ich und greife nach der Flasche Tequila. Wenn ich weiter darüber reden muss, schaffe ich es nicht ohne. Juna schiebt mir auch ihr Glas hin. Wir stoßen an und ich stürze den Tequila hinunter. Auf die Zitrone verzichte ich. Die macht es auch nicht viel besser. „Warum?“ hakt Juna nach und ich zögere einen Moment. Ich vermeide es, darüber zu sprechen, aber vielleicht muss es einfach mal raus. „Ich hatte diesen Dreh. In Australien. Dort gab es so gut wie keine Corona Infektionen und damit das so blieb, musste ich in Quarantäne. Für zwei Wochen…. Ich konnte nicht weg. So gern ich es wollte. Aber mir waren die Hände gebunden. Es war nicht möglich den Dreh zu schieben. Meine Familie meinte, es wäre okay, also blieb ich in Australien, drehte fünf Monate lang. Ich verpasste die Beisetzung und die Trauerfeier…“, erzähle ich schließlich. „Das ist furchtbar. Warst du ganz allein?“ „Nein. Amelia und die Mädchen waren bei mir. Wenn ich sie nicht gehabt hätte, dann wäre ich vermutlich durchgedreht.“ „Kann ich mir vorstellen…“ murmelt sie. „Warst du anschließend da? Bei seinem Grab meine ich?“ will sie wissen und ich seufze erneut, schüttle den Kopf. „Gar nicht?“ fragt sie nochmal. „Nein…“ gebe ich flüstern zu. „Jamie… warst du denn seitdem noch nicht wieder in Belfast?“ „Doch. Sicher.“ „Aber?“ hakt sie nach. „Ich kann einfach nicht“, gebe ich zu. Ich weiß es ist dämlich. Es würde nichts ändern, aber dann hat es für mich diese Endgültigkeit. Und ich weiß nicht, ob ich damit klar komme. Jedenfalls noch nicht jetzt. „Oh, Jamie“, sagt Juna sanft und nun ist sie es, die ihre Hand auf meine legt.Juna
Armer Jamie. Ich sehe, wie er leidet. Und ich kann ihn so gut verstehen. Mir fällt es noch immer sehr schwer, an Papas Grab zu gehen und wenn ich mich nicht darum kümmern müsste, würde ich es vermutlich auch noch immer vor mir herschieben. „Ich hoffe, du findest dafür irgendwann die Kraft. Ich weiß, wie du dich fühlst aber igendwann musst du es mal hinter dich bringen“, sage ich sanft und er sieht mich an. „Ich weiß“, sagt er und drückt meine Hand. Er sieht unglaublich traurig aus und ich stehe automatisch auf und er scheint den gleichen Gedanken zu haben. Denn auch er erhebt sich. Wir stehen einen winzigen Moment voreinander und schließen uns dann in die Arme. Ich dachte, ich würde ihn trösten, doch stattdessen zerre ich selbst so viel Trost aus dieser Geste. Wir halten uns und geben uns unserer Trauer hin. Niemand sagt ein Wort und das ist auch gar nicht nötig. Es ist ein schönes Gefühl, gehalten zu werden. Von einem Menschen, dem es genauso geht wie mir. Jemand der genau weiß, wie ich fühle.
Irgendwann lacht Jamie. „Was sind wir bloß für Jammerlappen“, sagt er und löst sich sanft von mir, wischt sich tatsächlich eine kleine Träne aus den Augenwinkeln. Auch aus meinen Augen haben sich kleine Tränen verirrt, die ich nun lachend wegwische. „Das kannst du laut sagen. Noch einen Tequila?“ frage ich und er setzt sich wieder. „Unbedingt“, sagt er und schiebt sein Glas hin. Auch ich setzte mich wieder, diesmal direkt neben ihn und gieße uns ein. Diesmal trinken wir den Tequila wieder traditionell mit Salz und Zitrone.
„Ist das da dein Dad?“ fragt er, als er den Blick durch den Raum schweifen lässt und das Foto von Paps und Liva entdeckt. „Ja, richtig“, sage ich lächelnd. Auf dem Foto lacht Papa wie immer verschmitzt. Er hat ständig Unfug gemacht. „Es wirkt, als sei er ein sehr lustiger Mensch gewesen“, bemerkt er und ich lache. „Oh ja. Er war ein richtiger Schelm“, schmunzle ich. „Ähnlich wie du“, wird mir bewusst. „Du alberst auch ständig mit deinen Mädchen rum. Das ist schön. Es erinnert mich sehr an meinen eigenen Vater. Er war perfekt für mich. Er hat alles für mich gemacht und später auch für Liva. Wir drei waren ein absolutes Dreamteam“, erinnere ich mich lächelnd. „Hätte ihn gern kennengelernt“, meint Jamie lächelnd. „Ich wette, ihr hättet euch blendend verstanden.“Wir trinken noch einen weiteren Tequila und mehr Wein, reden über Gott und die Welt. Es ist herrlich mit Jamie. Er bringt mich immer wieder zum Lachen und mir wird bewusst, wie sehr mir das gefehlt hat. Jemanden um mich zu haben. Am Abend, mit einem Glas Wein. Einfach nur reden und lachen. „Ist schön…“ murmle ich, merke bereits den Alkohol und sehe ihn an. Er lächelt, hebt seine Hand und nimmt eine meiner Haarsträhne, reibt sie sanft zwischen seinen Fingern und streicht sie mir dann hinters Ohr. Diese Geste hat etwas unglaublich intimes und ich muss schlucken „Ja, stimmt“, sagt er sanft und kommt mir kaum merklich näher. Mein Atem beschleunigt sich und ich kann seinen Atem auf meiner Haut fühlen. Mein Herz schlägt mir bis zum Hals, als er mit dem Daumen über meine Wange streift. Küss mich, denke ich und schließe bereits meine Augen. Sein Bart kitzelt mich und dann fühle ich seine Lippen hauchzart auf meine. Ich spitze meine Lippen und er drückt seine auf meine. Gott, fühlt sich das fantastisch an. Sein Geruch, das Gefühl seiner Lippen… Dann öffnet er sanft seinen Mund. Ich tue es ihm gleich und als ich seine Zunge spüre, tobt in mir ein Wirbelsturm. Ich bin berauscht. Von seinem Geruch, von seinem Geschmack. Er schmeckt nach Tequila, Wein und etwas unbeschreiblich Köstlichem. Ich fahre mit meiner Hand in seine Locken und er legt seine in meinen Nacken. Der Kuss wird leidenschaftlich und ich kann nicht genug von ihm bekommen, kann nicht klar denken. Weiß nur, dass ich mehr von ihm will. Er presst seinen Körper an meinen und ich kann seine Hand fühlen, die er an meinen unteren Rücken legt und mich an sich drückt. Ich lege meine Hand an seine Brust und kann seinen Herzschlag unter meiner Handfläche spüren. Atemlos lösen wir den Kuss und er lehnt seine Stirn an meine. Er öffnet den Mud, um etwas zu sagen, doch das Rufen seiner Tochter reißt uns in die Realität zurück. „Tut mir leid“, sagt er sanft und geht nach oben. „Scheiße“, fluche ich, denn ich weiß, er kommt nicht wieder. Dieser Kuss war nicht richtig. Egal wie wunderbar er sich angefühlt hat.
DU LIEST GERADE
Wenn das Leben dir Zitronen gibt
RomanceJamie und Juna. Zwei Menschen aus verschiedenen Welten. Juna schreibt eigentlich nur eine Nachricht an ihren verstorbenen Vater, die jedoch an Jamie geleitet wird. Sie kommen in Gespräch und zwischen ihnen entsteht eine besondere Freundschaft. Oder...