Das Leben geht weiter

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19. Das Leben geht weiter

Juna

Vor über einer Woche ist Jamie abgereist und vor ein paar Tagen habe ich eine Nachricht von ihm bekommen, die mir endgültig bewiesen hat, dass ich es hinter mir lassen muss. Er und Millie werden einen Neustart versuchen. Die Mädchen freuen sich sehr dass ihre Mutter wieder da ist und auch er empfindet es als Erleichterung. Ihm ist klar, dass es noch Zeit braucht, bis alles beim Alten ist, aber sie wollen es versuchen. Er ist mir dankbar für Alles und ich werde immer einen festen Platz in seinem Herzen haben.
Ich seufze, denn ich denke, mehr wird nicht mehr kommen. Ich habe ihm alles Gute gewünscht und gesagt, dass ich mich sehr für sie alle freue. Ich denke, das wars. Und es ist besser so. Manchmal muss man Menschen ziehen lassen, auch wenn es weh tut.

Mein Leben hat in den Alltag zurückgefunden und so langsam komme ich wieder im Leben an. Natürlich fehlt mir Jamie, vor allem wenn ich abends allein im Bett liege, aber es muss eben weitergehen.
Aber er ist nach wie vor präsent. Bei jeglichen Dingen, die ich mache, eine Strecke, die ich lang fahre. Immer wieder schleicht er sich in meine Erinnerung. Das wird vermutlich immer so bleiben. Nicht ständig, aber er hat eben einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Eine kleine Narbe in meinem Herzen wird immer bleiben.
Das Klingeln an der Haustür reißt mich aus meinen Gedanken und ich frage mich, wer das sein könnte. Becki ist arbeiten. Elli bellt aufgeregt, also kennt die den Besucher nicht.
Als ich die Haustür öffne, bleibt mein Mund offen stehen. „Mike…“ „Hallo Juna“, sagt mein Ex-Mann und ich stehe perplex da, brauche einen Moment. „Was willst du hier?“ frage ich überrascht. Seit 4 Jahren herrscht Funkstille zwischen uns. „Ich….“ stammelt er und knibbelt an seinen Fingern herum. „Ich wollte gern Levi sehen“, sagt er dann und ich ziehe wütend die Augenbrauen zusammen. „Ihr Name ist Liva!“ erinnere ich ihn. „Ja, tut mir leid. Ich weiß. Ich war ein Idiot…. Ich… will es wieder gut machen. Ich möchte Teil im Leben meines Kindes sein“, entschuldigt er sich und ich seufze. Ich würde ihm am liebsten die Tür für den Kopf zufallen, aber Liva sollte das entscheiden. Ich lasse ihn rein und rufe nach meiner Tochter.
„Papa!“ ruft sie aufgeregt und kommt die Treppe heruntergelaufen, fällt ihrem Vater in die Arme. So sehr ich ihm auch in den Hintern treten möchte, weil er sich wie ein Arsch benommen hat, so habe ich nie ein schlechtes Wort in Livas Gegenwart über ihn gesagt. Sie sollte sich immer ihr eigenes Urteil bilden.  Angelogen habe ich sie jedoch nie.
Mike schließt seine Tochter in die Arme und wir gehen rüber ins Esszimmer. Ich koche Kaffee und Tee, stelle Kekse auf den Tisch. Liva und Mike reden viel und ich bin schon bald überflüssig. Wenn es ihm Ernst ist mit Liva, werde ich mich nicht dagegen stellen. Liva hat ein Recht, ihren Vater zu sehen und umgekehrt genauso. Solange er ihr nicht das Herz bricht. Dann werde ich ihm sämtliche Gliedmaßen brechen und die Eingeweide ausreißen!
Selbst am Abend ist Liva noch aufgeregt und freut sich auf Samstag. Da will ihr Vater etwas mit ihr übernehmen. Nur sie beide. Ich hoffe, es geht gut und er enttäuscht sie nicht. Das geht nur, wenn er sie akzeptiert so wie sie ist. Ich hoffe, er hat endlich eingesehen, dass er keinen Sohn mehr hat, sondern eine Tochter. Eine ganz wundervolle noch dazu.
Liva braucht lange, bis sie eingeschlafen ist und auch ich brauche etwas, um runter zu fahren. Ich versuche etwas zu lesen, aber mein Hirn verarbeitet die Buchstaben nicht. Ich lege das Buch beiseite und schalte den Fernseher an, der an der gegenüberliegenden Wand meines Bettes hängt. Ich zappe herum und fluche. „Dein Ernst?“ schimpfe ich dem TV entgegen, als ich sehe wie Jamie als Christian Grey gerade der unschuldigen Ana Steele den Hintern versohlt. Ich will weiterzappen, aber irgendetwas hindert mich daran. Es sind die hypnotisierenden blauen Augen, die mich aus den Fernseher ansehen. Verdammt, warum muss er ausgerechnet jetzt überall auftauchen. Ich habe genug von der Qual und schalte den Fernseher aus, mache ein Hörspiel auf meinem Handy an. Die drei ??? gehen immer.
Irgendwann während der dritten oder vierten Episode finde ich Schlaf. Allerdings keinen besonders Erholsamen. Ich träume von Jamie, versohlte Hintern, verbundene Augen und Mike. Eine bunte verwirrende Mischung und als ich aufwache ist es noch mitten in der Nacht. Ich ärgere mich über mich selbst, weil ich nicht schlafen kann und darüber, dass mich mein Ex und eine Szene aus einem Film so aus der Fassung bringen können.
Ich stehe auf, gehe aufs Klo und gehe dann runter in die Küche, mache mir einen Tee. Wie gerne würde ich jetzt eine Nachricht an Jamie schreiben, so wie ich es sonst getan habe, wenn ich keine Ruhe finde konnte. Aber das kann ich jetzt nicht mehr. Vielleicht sollte ich eine Nachricht an eine x-beliebige Nummer schicken und hoffen, dass sich daraus ein Gespräch entwickelt, doch mir ist durchaus klar, dass sich so etwas nicht wiederholen wird. Das mit Jamie war etwas Besonderes. Etwas Einzigartiges.
Wie soll ich es jemals schaffen, ihn aus meinen Gedanken zu streichen? Wird das immer so weitergehen? Das mich alles an ihn erinnert? Das es mich jedesmal aus der Bahn wirft, wenn ich ihn im Fernsehen sehe? Ich seufze und leere meinen Tee, begebe mich wieder ins Schlafzimmer. Ich bin müde und will schlafen. Ich muss, schließlich muss ich morgen Arbeiten.
Diesmal gelingt es mir ohne komische Träume und als mein Wecker geht, verfluche ich diesen.
Ich gehe duschen und wecke anschließend meine Tochter, mache uns dann Frühstück.  Mein Kaffee darf heute extrastark sein und als ich den ersten Schluck davon nehme, seufze ich wohlig auf. Ich liebe Kaffee. Ich mag auch gern Tee, aber Kaffee ist das beste am Morgen. Das und guter Sex.
Ich schiebe den Gedanken beiseite und unterhalte mich mit Liva, die in die Küche kommt.
Wir frühstücken gemeinsam, dann schicke ich sie zum Busbahnhof. Ich ziehe meine Arbeitsklamotten an und mache mich auch auf den Weg.

Jamie

Die Mädchen sind außer sich, dass ihre Mutter wieder da ist. Nur Bertie sieht sie manchmal an, als sei sie eine Fremde. Sie hängt an mir, wie eine Klette und lässt sich nicht von ihrer Mama ins Bett bringen. Es stresst meine Kleine total und das tut mir unglaublich leid. Auch für Millie. Sie gibt sich so viel Mühe.
Es tut gut, sie im Haus zu haben, nicht mehr alles allein entscheiden zu müssen, aber manchmal treibt es mich in den Wahnsinn, wenn sie etwas durcheinander bringt, was sich im letzten Jahr bei uns eingebürgert hat. Wir haben geredet. Immer wieder.

Die Mädchen schlafen und Millie und ich schauen gemeinsam einen Film. Sie hat sich an meine Seite geschmiegt und ihre Hand liegt auf meinem Bauch. Ich konzentriere mich auf den Film, als sie beginnt, ihre Finger zu bewegen. Sie kriechen unter mein Shirt, kraulen meinen Bauch. Ich schließe die Augen, gebe mich der Zärtlichkeit hin. Ich spüre ihre Lippen an meinen Hals, ihre Finger an meinem Bauch. Es ist ein schönes Gefühl, doch meine Gedanken sind falsch. Es ist nicht Millie, an die ich denke. Und als ihre Finger unter den Bund meiner Jogginghose fahren, halte ich sie auf. „Ich kann nicht“, entschuldige ich mich und stehe auf, lasse sie allein im Wohnzimmer. Ich raufe mir die Haare und würde am liebsten gegen die Wand treten, laut fluchen, aber das hilft mir nicht weiter.
Ich höre Alberta weinen und gehe hoch zu ihr. Ich lege mich zu ihr ins Bett und augenblicklich ist sie ruhig, kuschelt sich an mich und schläft weiter. Ich kann nicht ins Schlafzimmer gehen. Kann nicht mit Millie in einem Bett schlafen, wenn meine Gedanken bei einer ganz anderen Frau sind. Ich kann nicht aufhören, an Juna zu denken. Ich liebe Millie, will es wirklich versuchen, aber ich kann Juna nicht vergessen. Sie schleicht sich immer wieder in meine Gedanken. Ich liege wach neben meinem kleinen Babygirl und verspüre den Drang, Juna zu schreiben. Sie hat es immer geschafft, mich runterzubringen. Doch es ist nicht richtig. Ich kann sie doch nicht mit sowas belasten. Nicht nach allem, was zwischen uns war. Sie fehlt mir. Als Mensch, als Freundin… und als Liebhaberin. Ich wünsche sie in meine Arme, wünschte, ich könnte mich mit ihr unterhalten. Die ganze Nacht. Ich will sie halten, sie küssen… sie lieben. Ich schnaufe und konzentriere mich auf die Atmung meines kleinen Mädchens. Mein wunderbares kleines Mädchen.
Ich habe den Rat von Juna beherzigt und habe mit einem Kinderarzt darüber gesprochen, dass sie so schlecht spricht. Amelia und ich waren mit ihr bei einem Audiologen, der sich auf Kinder spezialisiert hat und hat unsere Tochter eingehend untersucht. Sie hört ausgezeichnet. Er würde entweder auf Faulheit oder ein Trauma tippen… Tja, die Abwesenheit ihrer Mutter ist auch an meinem Baby nicht spurlos vorüber gegangen.
Aber das sage ich ihm und auch Millie nicht. Millie weiß es auch so. Sie macht sich Vorwürfe. Vielleicht sogar zurecht.
Ich mache ihr auch welche. Die ganze Zeit über, aber ich spreche sie nicht aus. Ich will es nicht verkacken. Es geht doch um unsere Familie. Das bin ich doch meinen Mädchen schuldig, oder nicht?

Der Morgen kommt viel zu früh und meine alten Knochen danken es mir schmerzlich, in diesem winzigen Bett geschlafen zu haben. Meine Hüften schmerzt und ich habe mir mal wieder einen verdammten Nerv im Nacken eingeklemmt.
Ich stehe auf, lasse meine Mädchen noch etwas Schlafen und gehe unter die Dusche. Das warme Wasser in meinem Nacken ist angenehm und ich massiere dem schmerzenden Punkt. Wie sehr wünsche ich mir Junas heilenden Hände. Meine Gedanken schweifen unweigerlich ab. Sie und ich in der Dusche. Ihr nackter Körper an meinen gepresst. Ihre Hände, ihre Lippen. Ohne zu überlegen, lege ich Hand an mir an und bearbeite mich, während ich die ganze Zeit über an Juna denke. Juna in meinen Armen, Juans Beine um mich geschlungen. Junas heiße Mitte um mich herum. Juna, Juna, JUNA! Ich komme laut stöhnend und als ich die Augen öffne, steht Millie da und starrt mich an. Scheiße.... Scheiße, Scheiße, Scheiße!!! Ich kann nur hoffen, dass ich den Namen nur so laut gedacht habe und dass er nicht meine Lippen verlassen hat. Als ich das Wasser abstelle und zum Handtuch greife, dreht sich Millie um und verschwindet aus dem Bad.

Wenn das Leben dir Zitronen gibtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt