Was zum Teufel mach ich hier eigentlich?

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Juna

Das Handy in meinen Händen klingelt. Mein Herz klopft mir bis zum Hals. Warum bin ich so aufgeregt? Bevor es aufhört zu klingeln, gehe ich ran und halte mir das Telefon ans Ohr. „Hi“, sage ich schüchtern und höre Jamie schmunzeln. „Hi“, sagt auch er. „Wie geht’s?“ fragt er. „Ganz gut“, antworte ich und muss kichern. „Klingt schön“, sagt er und ich schlucke. „Was?“ frage ich und wieder lacht er leise. „Dein Kichern. Deine Stimme. Ich weiß gar nicht was du hast“, meint er und das schmeichelt mir. „Danke. Ich finde nur immer, dass sich meine Stimme viel zu tief anhört“, plappere ich. „Überhaupt nicht. Ich finde sie sehr angenehm. Nicht so quietschend“, meint er und bringt mich damit zum lachen. „Danke, das kann ich nur zurückgeben“, sage ich und er lacht ebenfalls. „Wie geht es der Mutter deiner Freundin? Ist hoffentlich nichts schlimmes mit ihr“, erkundigt er sich höflich. „Nein. Es ist irgendwas technisches, was nicht warten kann. Wir gehen ein anderes Mal ins Kino“, winke ich ab. „Dann ist ja gut. Was wolltet ihr schauen?“ „Irgendeine deutsche Komödie.“ „Ah ok. Damit kenne ich mich nicht aus“, meint er amüsiert und ich schmunzle. „Wie geht es dir und deinen Mädchen?“ will ich nun wissen. „So langsam sind wir alle wieder durch. Die beiden Kleinen sind seit gestern wieder topfit. Dulcie war heute morgen noch nicht so gut drauf, deswegen hat meine Schwester Bertie und Elva zu sich genommen“, erzählt er. „Das ist lieb. Und was ist mir dir?“ hake ich nach. „Halb so wild. Du weißt doch wie das ist. Man kann sich nicht leisten, krank zu sein, wenn man Kinder hat. Nicht mal, wenn man kurz vorm Sterben ist.“ „Was bei euch Männern ja so gut wie immer der Fall ist“, scherze ich. „Hey!“ empört er sich und schnauft. „So schlimm ist es auch wieder nicht. Sagen wir… Jedes zweite Mal“, sagt er und wir lachen. „Aber ich gebe dir recht. Wenn man Kinder hat, vor allem, wenn man allein ist, stellt man sich immer hinten an“, stimme ich zu. „So ist es.“ Einen Moment herrscht Stille zwischen uns. „Erzähl mal von dir. Was machst du so, wenn du nicht gerade Arbeitest, oder dich um deine Tochter kümmerst“, möchte er schließlich wissen. Seine Stimme ist wirklich angenehm. Sie hat etwas Beruhigendes. „Naja, nicht so viel. Ich liebe lange Spaziergänge, lese gern, gehe schwimmen“, zähle ich auf. „So kann man den Tag rumkriegen. Hört sich gut an. Machst du Sport?“ will er wissen. „Ungern“, gebe ich zu und er lacht. „Du?“ will ich nun wissen. „Es ist schwer mich ruhig zu halten“, schmunzelt er. „Früher hab ich Rugby gespielt. Später Fußball, aber mein Knie macht mir Ärger. Ich gehe golfen“, erzählt er. „Golfen? Ernsthaft? Machen das nicht alte Männer?“ frage ich kichernd. „Ha Ha“, macht er. „Bist du wenigstens gut darin?“ frage ich und nun lacht er wieder. „Nicht wirklich. Aber es macht mir einfach Spaß.“ „Und das ist die Hauptsache. Und neben dem Golfen und der Kinder?“ „Spaziergänge, lesen, schwimmen“ wiederholt er meine Aufzählung und schmunzelt. „Ach sieh mal an. Was liest du denn so?“ frage ich. „Verschiedenes. Wonach mir grad ist. Romane, Historisches, Krimis, Fantasy, Thriller…“ zählt er auf. „Und dein Repertoire?“ möchte er wissen. „Ähnlich. Hin und wieder lese ich auch gern schnulzige Liebesromane“, gebe ich mit einem kichern zu. „Es gibt wohl kaum eine Frau, die nicht gern Liebesromane mag“, vermutet er. „Vermutlich“, gebe ich ihm recht und mache es mir auf dem Sofa bequemer. Auch bei ihm höre ich es Rascheln, dann ein „umpf“. „Alles okay?“ frage ich. „Ja, Lenny hat sich nur grad auf mich draufgeschmissen“ sagt er und ich kichere wieder. „Ihr habt also auch einen Sofahund“, stelle ich fest. „Er ist ein Familienmitglied. Klar, darf er dann aufs Sofa.“ „Sehe ich auch so“, stimme ich ihm zu. „Nur ins Bett darf sie nicht. Auch wenn Liva sie ständig mit ins Bett nimmt.“ „Nein, ins Bett darf unser Dicker auch nicht. Wie alt ist Liva nochmal?“ fragt er nach. „12.“ „Wie siehts bei ihr mit der Pubertät aus? Dulcie wird jetzt 9 und ist schon mittendrin irgendwie. Ich habe da Gefühl, dass es recht früh ist“, fragt er mich. „Bei Liva ist das ein bisschen anders. Sie bekommt weibliche Hormone, damit die männlichen unterdrückt werden“, erzähle ich. „Ach stimmt. Entschuldige, dass habe ich vergessen“, bittet er um Verzeihung. „Schon okay. Ich vergesse selbst oft, dass sie geschlechtlich ja eigentlich ein Junge ist“ winke ich ab. „Aber ich denke, wenn Dulcie jetzt schon und er Pubertät ist, ist das nichts Ungewöhnliches. Manche sind eben ein bisschen früher dran. Wie war es denn bei ihrer Mutter “, frage ich nach. „Das weiß ich nicht. Darüber haben wir nie geredet. Als sie ging, war DD noch nicht so weit. Und wenn sie nach mir kommt, kommt sie frühestens in 6 Jahren in die Pubertät. Ich sah mit 15 noch aus wie 10“, lacht er. „Das war bei mir ähnlich, dennoch habe ich schon sehr früh meine Periode bekommen. Ich war gerade 10“, sage ich. Normalerweise würde ich niemals mit einem fremden Mann darüber reden, aber er hat Töchter. Und wenn schon die Mutter nicht da ist, gebe ich gern Rat. „Ach du liebe Güte. Bitte nicht. Dann geht sie mir ja ganz flöten“, befürchtet er. „Ich denke nicht, dass das so kommen wird. Du bist für sie da. Und auch wenn es nicht den Anschein hat, sie liebt dich. Es verändert sich grad viel bei ihr. Da muss sie erstmal drauf klar kommen. Das ging uns doch alle so.“ „Hm… stimmt wohl. Ich bewundere, was Dad geschafft hat. Ich bezweifle, dass ich das kann“, gibt er zu bedenken. „Du schaffst das ganz sicher, Jamie. Allein schon, weil du keine andere Wahl hast. Wir Eltern geben immer alles“, sage ich und er seufzt. „Ja, du hast recht. Aber allein ist das Schwerstarbeit.“ „Ja ist es. Aber man lernt es. Wie lange ist deine Frau nun weg?“ frage ich nach. „Seit knapp einem Jahr. Die erste Zeit war die Schlimmste, mittlerweile habe ich meinen Trott gefunden. Auch dank meiner Schwestern. Dennoch habe ich manchmal das Gefühl, dass mir alles zu viel wird“, gibt er zu und ich kann ihn gut verstehen. „Manchmal möchte ich gern alles stehen und liegen lassen, meine Mädchen schnappen und einfach irgendwo hinfahren. Nichts sehen und nichts hören“, fügt er hinzu. „Komm doch einfach mal her. Schnapp dir deine Mädchen und komm uns besuchen. Wir haben hier so viel Platz.“ Ich frage mich, ob ich ihm das allen Ernstes angeboten habe… Ich kenne ihn doch überhaupt nicht.  Ich bin vermutlich geistesgestört, aber ein Teil von mir möchte wirklich gern, dass er herkommen würde.
„Das hast du jetzt nur so daher gesagt, oder?“ fragt er ein wenig geschockt. „Äh… Nein. Ich meine es Ernst. Wenn ihr Ferien braucht, kommt her.“

Jamie

Das kann sie unmöglich ernst gemeint haben. Wir kennen uns im Grunde gar nicht und sie lädt mich ein? Die Vorstellung, irgendwo auf dem Land mitten im Nirgendwo zu sein. Dort, wo mich niemand kennt… das klingt zu verlockend. „Danke“, sage ich, nicht wissend, was genau ich dazu sagen soll. „Ich weiß, es klingt verrückt. Wir kennen uns ja kaum, aber…“ meint sie nun und klingt etwas unsicher. „Das kann man ja ändern“, sage ich. Ja, ich will sie kennenlernen. Ich weiß, es wäre irrsinnig. Sie weiß nicht, wer ich bin. Was wenn sie mich erkennt, wenn ich vor ihrer Tür stehe und sie gleich zig Reporter anruft? Tja, dann gehe ich halt wieder. Und wenn ich ihr reinen Wein einschenke? Ihr sage, wer ich bin? Vielleicht hat sie auch keine Ahnung, wer ich bin. Verdammt. Ich verfluche mich über meine Zweifel. Genau da ist immer mein Problem. Ich weiß nie, wie ich mit Fremden umgehen soll, inwieweit weit ich Vertrauen kann. Es ist zum Haare raufen. „Jamie…?“ reißt sie mich aus meinen Gedanken. Wieviel Zeit ist vergangen? „Ja. Ja, ich bin noch dran…“ sage ich. „Hör zu. Vergiss was ich gesagt habe. Es ist bescheuert“, will sie das Ruder rumreißen. „Nein. Ich meine, ja. Es ist verrückt. Aber ich würde dich gern kennenlernen“, gebe ich nun zu. „Aber…? Das klingt irgendwie nach Einem“, erkennt sie. „Es… ist nicht einfach für mich jemandem zu vertrauen“, gebe ich zu. „Wegen Amelia?“ vermutet sie. „Nein. Das ist eher zweitrangig. Im Allgemeinen. Wenn…“ Ach verdammt, wie erkläre ich ihr das? „Ich bin nicht irgendwer…“ sage ich und in Gedanken schlage ich meinen Kopf gegen die Wand. „Wie meinst du das?“ will sie wissen. Fuck, wie soll ich aus der Nummer wieder rauskommen. Ich bringe es nicht über mich, ihr zu sagen, wer ich bin. Und wenn sie es selbst heraus findet? „Finds heraus…“ fordere ich sie heraus. „Wie...?“ fragt sie unsicher. „Du hast ein paar Informationen über mich. Nutze sie.“ Sie seufzt. „Jamie….“ „Ich möchte wirklich, dass du weißt, wen du zu dir nach Hause einlädst. Und ich bitte dich, sei ehrlich zu mir“, bitte ich. „Werde ich“, versichert sie mir. „Danke….“ murmle ich. „Hast du Angst?“ fragt sie mich und ich bin verblüfft, über ihre Empathie. „Ja…“ gebe ich zu. „Wovor?“ „Davor, dass ich dem falschen Menschen mein Vertrauen schenke. Dass du mir schaden würdest.“ „Könnte ich es denn?“ will sie wissen. „Ja, du weißt schon viel zu viel über mich“, gebe ich zu. Ich hätte es bei der Unbekanntheit lassen sollen, aber nun ist es zu spät. Und ich möchte gern, dass sie weiß wer ich bin. „Ich habe nicht vor, dir zu schaden oder sich zu enttäuschen“, sagt sie sanft und ich möchte ihr gern glauben. „Das hoffe ich…“ murmle ich. Was zum Teufel mache ich hier eigentlich?

Wenn das Leben dir Zitronen gibtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt