Juna
In den letzten drei Wochen ist es irgendwie zu einem Ritual geworden, dass Jamie und ich uns jeden Morgen schreiben. Mal schreiben wir den ganzen Tag über immer wieder mal, oder aber nur guten Morgen und gute Nacht. Hin und wieder telefonieren wir auch, dann kann es durchaus sein, dass plötzlich zwei Stunden vorbei sind.
Aber seit gestern Abend reagiert er auf keine meiner Nachrichten mehr. Ich weiß nicht, was los ist. Wir haben ganz normal geschrieben und plötzlich nichts mehr.
Doch als ich Mittags die Nachrichten sehe, weiß ich plötzlich auch warum. „Dem irischen Schauspieler Jamie Dornan ist die Frau davon gelaufen. Und das scheinbar schon vor fast einem Jahr. Die gemeinsamen drei Töchter leben bei ihm. Verbietet er ihr den Umgang? Mehr erfahren sie nach einer kurzen Pause“, sagt die Dame im Fernsehen. Ach du grüne Neune. Kein Wunder, dass er kein Nerv hat, mit mir zu schreiben. Ich nehme mein Handy und versuche Jamie anzurufen, doch er geht nicht ran. Dann schreibe ich ihm. „Hey. Ich habs gerade in den Nachrichten gehört. Wenn du reden willst, ich bin da“, schreibe ich ihm.
Dass ich keine Antwort bekomme, wundert mich irgendwie nicht, dennoch verletzt es mich. Ich weiß, er hat grad andere Sachen um die Ohren, dennoch hat ein kleiner Teil in mir gehofft, dass ich zumindest eine kleine Antwort wert bin.
Als die Werbeunterbrechung zu Ende ist und der Beitrag beginnt, schalte ich en Fernseher aus. Allein die Aussage vorhin hat mir gereicht und mir bestätigt, dass das meiste gelogen sein wird, oder weit hergeholt. Jamie tut mir leid. Ich kann nur hoffen, dass er wenigstens Zuhause seine Ruhe hat. Obwohl ihm sicher die Fragen seiner Töchter erwarten. Ich seufze und versuche mich abzulenken. Ich fahre mit Liva zum Schwimmen und treffe dort noch eine alte Bekannte, mit der ich ins Gespräche komme. Wir reden über die Schule und den neuesten Tratsch im Dorf. Es interessiert mich nicht wirklich, wer was gesagt oder getan hat. Warum sind alle immer so scharf darauf, über andere Leute zu reden, Spekulationen anzustellen. Frau Schmitt hat bestimmt ihre Gründe gehabt, warum sie ihren Kerl in die Wüste geschickt hat. Aber er war doch so ein feiner Kerl. Man kann den Leuten immer nur vor den Kopf sehen.Jamie
Ich sollte Bertie vom Kindergarten holen, doch der Kindergartenleitung nach stehen ein paar Reporter vor der Tür und hoffen, mich zu erwischen. Ich könnte kotzen. Knapp ein Jahr lang hatten wir Ruhe, jetzt haben sie irgendwie Wind davon bekommen. Ich bitte meine Schwester, meine Kleinste abzuholen und kann nur hoffen, dass zumindest vor der Schule keine Reporter lauern, um meine beiden Großen zu befragen. Die Gefahr jedoch ist mir zu groß, weshalb ich in der Schule Anrufe und die Lehrer bitte, meine Töchter hinten rauszulassen. Dort würde ich auf sie warten.
Ich fahre los und bin froh, dass noch niemand weiß, wo ich wohne. Wer zum Teufel hat der Presse etwas verraten? Mich beschleicht ein Gefühl, dass ich nicht zulassen will. Nein, Juna würde das nicht tun… oder? Scheiße… Ich ignoriere ihre Nachrichten seit gestern. Ich weiß, es ich nicht nett, aber ich bringe es nicht über mich. Was wenn…?Ich fahre zur Schule und wie befürchtet sehe ich auch dort ein paar Fotografen und Reporter, die sich auf die Lauer legen. Ich erreiche unbemerkt von ihnen das Hintere des Schulgebäudes, wo meine Töchter schon vor dem Klingeln zu mir geschickt werden. Sie huschen zu mir ins Auto und Dulcie will gleich wissen, was los ist. „Alles gut, Schatz. Nur eine Vorsichtsmaßnahme“, versichere ich ihr. Noch wissen die Mädchen nichts davon. Und ich möchte, dass es so lange wie möglich auch so bleibt. Ich will sie da nicht mit reinziehen. Ich versuche, mich unbemerkt vom Schulgebäude zu entfernen, doch im letzten Moment hat mich jemand erspäht und nimmt Verfolgung auf. So eine Scheiße! Ich fluche, woraufhin mich Elva rügt. Ja, sie hat recht, ich soll nicht Fluchen. Ich fahre quer durch die Stadt, denn ich will um keinen Preis, dass sie mitbekommen, wo ich wohne. „Daddy, wo fahren wir hin?“ will Dulcie wissen. „Nur ein bisschen durch die Gegend“, schwindle ich und sie sieht mich durch den Spiegel hindurch an. Ihr Blick erdolcht mich regelrecht. Sie ist nicht doof. Sie ist beinahe 9 und weiß sehr wohl, dass etwas im Busch ist. Doch sie sagt nichts, vermutlich um Elva nicht nervös zu machen.
„Ich will nach Hause“, sagt Elva und ich ignoriere es, weil mein Telefon geht. Es ist Jessica, meine Schwester. „Jamie, wo steckst du?“ will sie wissen. „Ich habe die Mädchen abgeholt und fahre mit ihnen ein bisschen durch die Gegend“, sage ich in die Freisprecheinrichtung und hoffe, sie versteht. „Alles okay?“ fragt sie. „Ja, klar. Nur ein kleiner Ausflug.“ „Okay, ich nehme Bertie mit zu mir. Ruf an, wenn du zuhause bist. Oder… Wenn du Hilfe brauchst“, meint sie. „Danke“, sage ich und lege auf. Noch immer ist dieser Wagen hinter mir. Kann nicht einfach mal eine Ampel hinter mir auf Rot springen? Ich würde am liebsten Gas geben. Aber ich will die Mädchen nicht nervös machen. Verdammt, was mach ich jetzt?
Ich fahre weiter durch die Stadt, ziellos, frage meine Mädchen hier und da aus, was sie gerade sehen. „Papa, ich will nach Hause“, sagt Elvi noch einmal und ich sehe Tränen in ihren Augen schimmern. Fuck. „Süße, es ist alles gut. Schau dir die Stadt an. Sie ist doch schön, oder?“ versuche ich sie abzulenken, doch sie weint noch mehr. „Ich will nach Hause. Ich hab Angst“, jammert sie und Dulcie ergreift ihre Hand. „Elvi, du musst keine Angst haben. Daddy hat eine Überraschung für uns, sagt sie und plötzlich leuchten Elvas Augen. Ich danke meinem schlauen, großen Mädchen „Wirklich?“ fragt sie. „Klar. Wir müssen nur ein bisschen zeit rumkriegen“, lächle ich und in meinem Kopf rattert es. Ich muss mir was einfallen lassen. Ich schaue durch die Gegend, hoffe, irgendeine Eingebung zu bekommen. Ich sehe Kinoplakate. Kino… Ich könnte das Kino in Greenwich ansteuern. Ich denke bis dorthin könnte ich die Reporter abhängen. Von der Zeit her passt es, dass vermutlich gleich ein Vorstellung beginnt. Ich gebe ein bisschen Gas und habe das lästige Anhängsel tatsächlich abgehängt, als ich am Kino ankomme. Ich parke ganz hinten und begebe mich schnellen Schrittes mit den Mädchen ins Kino. Erst drinnen kann ich ein bisschen entspannen und schreibe meiner Schwester die Sachlage. Sie versichert mir, sich solange um Alberta zu kümmern. Die Mädchen bekommen Popcorn und Limo und ich bin froh, dass sie im Moment in Sicherheit sind. Ich will nicht, dass man sie auf Schritt und Tritt verfolgt. Ich will, dass man sie in Ruhe lässt. Es reicht, wenn sie mir hinterherlaufen. Lange halte ich das ganze nicht aus. Es ist gruselig.
Während die Minions auf der Leinwand ihr Unwesen treiben, habe ich hauptsächlich die Nase im Handy, um irgendwie Schadensbegrenzung zu betreiben. Normalerweise ist das nicht meine Art, aber reine Agentin Sam überhäuft mich mit Mails und Nachrichten. Außerdem könnte ich mich eh nicht konzentrieren.
Sam rät mir zu einer öffentlichen Stellungname. Das kann sie vergessen. Der Öffentlichkeit geht mein Privatleben einen Scheiß an. Eine weitere Nachricht kommt rein. Ach sie an, Miss Warner scheint nun auch Wind von der Sache bekommen zu haben. „Hallo Jamie. Irgendwer von deinen Leuten kann wohl den Mund nicht halten. Wie soll ich deiner Meinung nach jetzt handeln?“ will meine wehrte Ehefrau wissen und ich schnaufe. Meine Leute? Das waren mal unsere, meine Liebe. „Ich weiß nicht, wer seinen Mund aufgemacht hat. Vielleicht ja auch jemand von DEINEN Leuten! Wie du handeln sollst? Am besten gar nicht. Das konntest du das letzte Jahr doch am besten!“ antworte ich barsch. Ich bin stinksauer. Sie hat mir die Suppe doch erst eingebrockt. Wenn sie keinen Abflug gemacht hätte, würde das nun nicht so ausarten. Sie hätte für den Anfang doch einfach mal mit mir reden können.
Ich muss mich zusammenreißen, nicht gleich wieder zu fluchen. Meine Kinder neben mir lachen und ich denke, es ist das beste, mein Handy wegzupacken und irgendwie versuchen, runterzukommen. Außerdem habe ich keine Lust, mich weiter mit Amelia auseinander zu setzen.Der Film ist vorbei und draußen scheint die Luft rein zu sein. Etwas entspannter fahre ich auch Hause und zumindest Elva schöpft keinen Verdacht mehr, dass etwas faul ist. An Dulcies Blick jedoch erkenne ich haargenau, dass sie mich mit Fragen durchlöchern wird. Ich schätze, ich muss es ihr wenigstens ein bisschen erklären. Später.
Ich hole Bertie ab und fahre schließlich mit meinen Dreien nach Hause.
Die Mädchen spielen im Garten mit Lenny und ich nutze die Zeit für ein paar Telefongespräche. Eigentlich müsste ich eine Runde mit Lenny gehen, doch ich will nichts riskieren. Schon gar nicht mit den Mädchen. Ich rede mit meiner Agentin, meinem Anwalt und meiner Schwester. Sie meint, ich solle wegfahren, bis ein bisschen Gras über die Sache gewachsen ist. Wie gern würde ich das, aber DD und Elva haben Schule. Und wo soll ich hin? In ein Hotel, wo viele Touristen auf mich aufmerksam werden könnten? Am besten wäre es ans Ende der Welt, wo kaum eine Menschenseele wohnt. Ich seufze und sehe mir die Nachrichten der letzten Stunden an. Die von Amelia ignoriere ich. Auch die letzte Nachricht von Juna habe ich bisher ignoriert, doch jetzt lese ich sie. Statt darauf einzugehen, muss ich ihr eine Frage stellen. „Hast du etwas damit zu tun?“ schreibe ich. Ich starre auf das Telefon und warte auf die Antwort, doch bisher hat sie die Nachricht noch nicht gelesen. Ich sehe auf die Uhr und denke, es ist Zeit, das Abendessen zu machen. Ich denke, ich werde Kartoffelfladen machen. Die mögen meine Mädchen alle sehr gern. Und ich sowieso. Ich mag beinahe alles, was mit Kartoffeln zu tun hat. Ich setze die Kartoffeln auf, als mein Handy vibriert. Juna hat geantwortet. „Glaubst du das wirklich?“ will sie wissen und ich seufze. „Ich weiß es nicht“, gebe ich zu. Es folgt eine Sprachnachricht. „Ich verstehe dein Misstrauen, aber ich habe nichts damit zu tun. Was hätte ich denn davon? Außer dass ich unsere Freundschaft zerstören würde? Ich weiß, diese Freundschaft existiert noch nicht lang, aber ich kann dir versichern, dass sie mir schon jetzt so viel bedeutet, dass ich nicht riskieren möchte, sie zu zerstören“, sagt sie, klingt dabei sanft und ich würde ihr so gern glauben. Ich weiß nicht, was ich antworten soll, also lege ich das Handy zur Seite. Während ich den Herd runsterstelle und den Apfelmus aus dem Hauswirtschaftsraum hole, klingelt mein Telefon. Als ich sehe, dass er Juna ist, zögere ich. Dann jedoch gehe ich mit einem Seufzen ab, sage aber nichts. „Hallo Jamie“, sagt Juna. „Hi“, sage ich knapp. „Du scheinst mir nicht zu glauben“, schlussfolgert sie. „Glaub mir, ich weiß gar nichts mehr“, gebe ich zu und Juna seufzt. „Das kann ich verstehen“, sagt sie. „Ist das so?“ frage ich skeptisch. „Ja, Jamie. Mir ist klar, dass du mich verdächtigst und ich muss zugeben, dass mich das ganz schön verletzt“ sagt sie und seufzt. „Ich weiß nicht, was ich tun soll, damit du mir glaubst.“ „Keine Ahnung…“ murmle ich. Nun ist sie es, die seufzt. „Dir geht’s echt beschissen, oder?“ fragt sie. „Mehr als das“, gebe ich zu. Ich will ihr vertrauen. „Dass sie mir auf den Sack gehen, ist ja eine Sache. Dass sie aber meinen Kindern auflauern ist viel schlimmer“, sage ich. Ich sollte das nicht, aber ich will dass sie es weiß. „Wie bitte? Sie lauern deinen Mädchen auf?“, empört sie sich. „Hab ich doch grad gesagt“, blaffe ich und verdrehe die Augen. „Jamie, wenn dir alles zu viel wird, dann… Mein Angebot steht nach wie vor…“ sagt sie. „Na klar, als wenn ich…“ Ich stoppe. Ich bin unfair. Es gibt keine Beweise, dass sie dahinter steckt und im Grund traue ich es ihr nicht zu. „Tut mir leid“, murre ich. „Schon okay“, meint sie und klingt verletzt. Ich gieße nebenbei die Kartoffeln ab und pelle sie, fluche mehrmals, als ich mich verbrenne. „Ich bin ein Arsch. Ich verdächtige dich, dabei könnte es quasi jeder sein, der was erzählt hat“, versuche ich mich zu entschuldigen. „Ich kann es dir nichtmal verübeln, dass du denkst, ich habe geplaudert. Aber glaub mir, ich wüsste nichtmal, wie ich sowas anstellen müsste. Ruft man irgendwo an, oder schreibt man irgendwo einfach was? Bei Facebook oder so? Warum tut man sowas überhaupt?“ schimpft sie. „Na, um Geld zu bekommen….“ murmle ich. „Dafür kann man Geld bekommen? Verdammt, vielleicht hätte ich doch plappern sollen“, meint sie trocken und bringt mich damit tatsächlich zum lachen. Und plötzlich glaube ich ihr. Ich will es einfach. Niemand kann so scheinheilig sein, oder?
„Ich glaube dir“, sage ich nach einer kleinen Weile des Schweigens versöhnlich und entschuldige mich nochmals. Ich bereite den Kartoffelteig zu und packe die Fladen auf ein Ofenblech, schiebe sie in den vorgeheizten Ofen. „Danke Jamie. Das bedeutet mir viel“, sagt sie sanft. Es wird langsam dunkel, also rufe ich die Mädchen ins Haus.
Der Ofen piept und ich verabschiede mich von Juna und entschuldige mich ein weiteres Mal. „Jetzt hör endlich auf, dich zu entschuldigen. Ich bin dir nicht böse“, rügt sie mich. „Okay, gut.“ „Und wenn du reden willst, du kannst mich jederzeit anrufen. Immer, hörst du? Auch nachts. Ich bin da“, versichert sie mir und es bedeutet mir viel. „Danke“, sage ich und mit einem weiteren „Bye“ legen wir auf.
Meine Mädchen haben großen Hunger und hauen ordentlich rein. Schön, dass es ihnen schmeckt. Ich habe nicht wirklich Appetit. Und das soll was heißen….
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Wenn das Leben dir Zitronen gibt
RomanceJamie und Juna. Zwei Menschen aus verschiedenen Welten. Juna schreibt eigentlich nur eine Nachricht an ihren verstorbenen Vater, die jedoch an Jamie geleitet wird. Sie kommen in Gespräch und zwischen ihnen entsteht eine besondere Freundschaft. Oder...