Bertie hat mich gefunden

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22. Bertie hat mich gefunden

Juna

Becki hat recht. London zur Weihnachtszeit ist einfach zauberhaft. Ich kann mich gar nicht satt sehen, an den bunten Lichtern und Häusern, während wir von der U-Bahn Station zum Hotel laufen, in dem wir die nächsten drei Nächte schlafen werden. Es ist ein kleines, gemütliches Hotel, nein eigentlich eher ein Bed & Breakfast, und unser Zimmer ist ebenso gemütlich und heimlich eingerichtet.
Wir machen uns nur kurz frisch, packen aus und machen uns gleich wieder auf den Weg, die Stadt erkunden. Wir wollen Weihnachtsmärte sehen. Wir nehmen die U-Bahn zum Leicester Square, wo wir nur wenige Minuten laufen müssen, bis uns Weihnachtsmusik begrüßt. Der Duft von gebrannten Mandeln und Glühwein steigt mir in die Nase und gemeinsam mit den bunten Lichtern überall, bekomme ich das erste mal in diesem Jahr einen kleinen Anflug von Vorfreude auf Weihnachten.
Liva und ich haben Weihnachten immer geliebt. Sogar letztes Jahr, das erste mal ohne Papa, war schön und gemütlich. Papa hätte es sich so gewünscht. Als lebenfroher Mensch, der er einst gewesen war, hat er sich immer gewünscht, dass wir so weiter machen, wie bisher. Das haben wir beherzigt. Und das wird auch dieses Jahr wieder so sein, das kann auch die Sehnsucht nach einem bestimmten Menschen nicht ändern. Ich darf gar nicht zulassen, dass er so einen Einfluss auf mein Leben hat. Das würde Jamie schließlich auch gar nicht wollen, das weiß ich. Ich schiebe den Gedanken an ihn beiseite und lasse mich von Becki an den ersten Glühweinstand ziehen. Wir lassen uns den warmen Gewürzwein schmecken und sogleich durchströmt mich eine innere Wärme.
Wir bummeln durch die Gänge, schauen uns die in liebevoller Handarbeit gemachten Dinge an und kaufen hier und da was.
Dann möchte ich etwas essen und kaufe mir eine Tüte mit Weihnachtlichem Gebäck, was wir gleich knabbern. Als wir den Markt zweimal durchkreuzt haben, fahren wir weiter zum Hyde Park. Dort soll es ein riesiges Winter Wunderland geben. Und wir werden nicht enttäuscht. Der gesamte Park scheint sich vollends in ein winterliches Dorf verwandelt zu haben. Und passend dazu, beginnt es an zu schneien, kaum, dass wir das Dorf betreten haben.
Wir werden beinahe überrannt von Süßigkeiten-, Snack- und Getränkeständen. An einem dieser kaufe ich mir und Becki ein Glas Eggnog. Serviert mit Sahne, ein paar bunten Streuseln und einem Strohhalm. Papa hat den besten Eggnog aller Zeiten gemacht, aber dieser hier ist auch nicht von schlechten Eltern. Er ist mit Whisky gemacht, so wie ich es am liebsten mag. Die Variante mit Rum ist auch ok, die mit Weinbrand hingegen mag ich nicht wirklich.

Wir gehen weiter und entdecken eine Eisbahn. Becki will mich überreden, doch ich habe Angst, mir die Gräten zu brechen.
„Juna!“ höre ich eine quierliche Stimme meinen Namen rufen und kaum habe ich mich umgedreht, springt mir ein kleines Mädchen auf die Arme. „Bertie, Spatz. Was machst du denn hier?“ begrüße ich sie verwundert und drücke sie an mich, als sie ihre kleinen Ärmchen um mich legt.
„Alberta!“ höre ich eine Frau rufen und stelle Bertie wieder auf die Füße. „Süße, du darfst doch nicht einfach so weglaufen", sagt die Frau, die ich als Amelia erkenne, und ergreift ihre Hand. „Hi“, sagt sie und lächelt leicht. „Hallo“, erwidere ich und schlucke. Verdammt, kaum bin ich hier, begegne ich der happy Family. „Juna!!!“ höre ich nun Elva und sie und Dulcie kommen auf mich zu gelaufen, dick eingepackt und mit Schlittschuhen in der Hand. „Hey, ihr Beiden“, begrüße ich sie lächelnd und lege meine Arme um sie, als mich beide drücken. „Sie sind also Juna“, sagt Millie freundlich und reicht mir ihre Hand. „Äh, ja. Und das ist meine beste Freundin Becki. Ist… Jamie auch hier?“, frage ich und Amelia sieht mich fragend an. „Nein… Ich hätte eher gedacht, er ist mit ihnen hier“, meint sie. Mit mir? „Warum sollte er?“ frage ich verwirrt und Amelia lächelt. Schüttelt den Kopf. „Typisch Jamie… er hat sie also nicht angerufen“, meint sie und ich bin noch verwirrter als zuvor. „Mich angerufen…?“ frage ich verwirrt und Amelia streicht sich eine Haarsträhne hinters Ohr und ich sehe, dass sie keinen Ehering trägt. Oder trägt sie ihn rechts? Nein. Auch am ihrer rechten Hand ist kein Ring zu sehen. „Jamie und ich haben uns getrennt“, erklärt sie. „Aber… warum?“ frage ich noch immer durcheinander. Ich verstehe die Welt nicht mehr. „Wir haben es versucht, aber ich bin zu spät gekommen“, meint sie und ich verstehe kein Wort. „Ich hatte meine Chance, aber ich habe sie verpasst. Es hat sich längst jemand andere in sein Herz geschlichen“, sagt sie und lächelt mich sanft an. Ich blinzle verwirrt und sie legt ihre Hand auf meine. „Sie sollten zu ihm fahren. Ich wette, er wird sich sehr freuen“, schlägt sie vor. „Aber… Ich weiß doch gar nicht, wo er wohnt“, stammle ich und Millie kramt etwas aus ihrer Tasche, kitzelt etwas in einen kleinen Block uns reicht mir die Seite, die sie herausreißt. „Das ist seine Adresse. Richten Sie ihm schöne Grüße aus“, zwinkert sie und sammelt ihre Töchter wieder ein. Sie winken mir zu und rufen ein „bis Bald“.

Wenn das Leben dir Zitronen gibtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt