Rotwein

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Y/n's Sicht:

Der blonde junge saß halb liegend auf dem Boden, an der Holzmauer der Busstation angelehnt. Sein Kopf war nach unten gesenkt, sodass ich sein Gesicht nicht sehen konnte. Ich ging die zwei hölzernen Stufen zu ihm hinauf und hockte mich ein wenig vor ihn, da er mich anscheinend nicht bemerkte. 

„Y/n?", raunte Travis. Er hob seinen Kopf ein wenig, aber sah mich nicht an. Ich antwortete ihm mit einem „Ja". Er fuhr mit seiner linken Hand über sein Gesicht und murmelte irgendwas, doch ich konnte ihn nicht verstehen. Außerdem hatte im Moment die Flasche, die er in seiner rechten Hand hielt meine Aufmerksamkeit. 

Es war ein 1986 Savoia Aosta Tenuta del Borro, ein Rotwein. Ich erkannte die Flasche sofort und ein Flashback stürzte über mich her.


Eine Woche nach meinem 13. Geburtstag kam ich vom spielen mit meinen Freunden zurück in unser Haus. Ich hatte einen kleinen dunkelblauen Käfer gefunden und wollte ihn unbedingt meinem Vater zeigen. Wie stolz ich auf ihn war... Also lief ich ins Wohnzimmer wo mein Vater gerade Fernsehen sieht. „PAPA, PAPA SCHAU MAL!", rief ich schon am Weg dorthin und flog im Flur fast über einen der Teppiche. Als ich den alten Sofasessel erreicht hatte sagte er noch immer nichts. Ich tippte ihn an, doch er sah mich nicht an. „Schau doch Mal, der Käfer-" Ich konnte nicht ausreden. „Ich habe keine Zeit dafür jetzt", seine Stimme schwankte und seine Bewegungen waren ungenau. In dem Moment fielen mir auch die ganzen leeren Flaschen auf dem Sofatisch auf. „Aber-" „Zeig ihn deiner Mutter", bekam ich als Antwort. Ich verstand nicht. Wie sollte ich ihn ihr zeigen? „Aber Mama ist tot...", sagte ich langsam und vorsichtig. Mein Vater gefriert in seiner Position. Den Käfer immer noch in der Hand haltend, wich ich ein Stück zurück. Plötzlich schmetterte mein Vater die halbvolle Falsche die er bis jetzt in seinen Händen hielt auf den Boden. Ich erschrak und ließ den Käfer fallen. Der auslaufende Rotwein bespritzte und tränkte den Boden in ein dunkles Rot. Nur das Etikett war zwischen den braunen Scherben zerrissen und nass zu lesen. 1986 Savoia Aosta Tenuta del Borro.


Ich schob die schmerzhafte Erinnerung beiseite. Travis brauchte mich. Jetzt. 

Ich nahm ihm die Weinflasche am Flaschenhals aus der Hand nur um festzustellen, dass sie bereits leer war. Ich stellte sie beiseite und hob Travis Kinn an um ihm in die Augen sehen zu können. Er kniff seine Augen zusammen, wahrscheinlich erkannte er mich nicht Mal wirklich. Er lallte irgendwas vor sich hin, was sich so anhörte wie „Gott sei Dank", aber da war ich mir nicht sicher. 

„Was ist passiert ?", fragte ich ihn, trotzdem wissend, dass er womöglich nicht einmal einen vollständigen Satz hinbekommen würde. Er sagte nichts, ein paar seiner Strähnen waren in sein Gesicht gefallen. Ich seufzte, ich konnte ihn hier nicht komplett betrunken liegen lassen. 

„Du kommst mit zu mir", entschied ich und half ihm hoch. Ich legte seinen Arm um mich um ihn besser stützen zu können, was gar nicht so leicht war bei seiner Größe. Er murmelte unverständlich: 

„Ich liebe dich", und als ich ihm einen verwirrten Seitenblick zu warf wurde er lauter: „NICHT SO, meine Güte als beste Freundin", gab er von sich und lehnte sich auf mich, wobei wir beide fast umflogen.

Masken (Sally x reader)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt