Chapter 26 - meine Vergangenheit

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"Gestern ging es mir nicht gut wegen diesem Brief." beginnt sie zu erzählen.
"Von meinem Vater" fügt sie hinzu. In mir macht sich eine leise Vorahnung breit, was jetzt kommen wird.
"Er hat mir geschrieben, weil ich bei ihm nicht ans Telefon rangehe. Und ich habe ein bisschen Angst. Woher hat er denn meine Adresse?" Ihre Stimme wird hektischer. Ich kann deutlich sehen, wie Angst in ihr aufsteigt. "Er sollte nicht mal wissen an welcher Uni ich studiere!"
Ich bleibe stehen und drehe mich zu ihr. Ich lege meine Hand auf ihren Oberarm. "Alles gut. Du bist hier mit mir. Du musst nicht weiter erzählen."
Sie atmet tief durch. "Ich habe mich so gefreut aufs Studieren. Nicht nur des Studiums wegen. Auch um von zu Hause wegzukommen."
Ihr Blick ist wieder abwesend. Als würde sie in Gedanken ihrer Vergangenheit versinken.
"Es war so schlimm. Er war so schlimm!" sagt sie.
Mein Atem stockt. Ich wusste dass das kommen wird. Du musst dich jetzt auf sie konzentieren. Vergiss einmal was dich beschäftigt ermahne ich mich.
Ich hebe meine Hand um sie an ihre Wange zu legen, doch mir fällt ein, dass das eventuell nicht die beste Geste in diesem Moment ist.
"Im Endeffekt kann ich nur froh sein, keine Geschwister zu haben, die durch diese Scheiße gehen müssen. Die ich im Stich gelassen hätte. Oder wegen denen ich geblieben wäre. Ich weiß nicht was schlimmer wäre." Sie macht eine Pause. Ich greife nach ihrer Hand und halte ihr fest, um ihr möglichst ein bisschen Halt im hier und jetzt geben zu können.
"Eigentlich ist es vielleicht besser so. Indem er mich geschlagen hat, habe ich vielleicht das ein oder andere Mal meine Mutter davor beschützt."
Bei dem Wort geschlagen zieht sich alles in mir zusammen. "Nein." sage ich entschlossen. "Das darfst du nicht denken. Das ist falsch." Ich versuche die richtigen Worte zu finden.
"Du bist nicht dafür verantwortlich. Deine Mutter hätte dich beschützen müssen. Und für deinen Vater bist du erst recht nicht verantwortlich."
"Er ist nicht mein Vater." kommt abprubt entgegen.
"Okay. Tut mir leid. Dann vergiss das, aber der Rest von dem was ich gesagt habe ist wichtig."
Sie nickt. Sie sieht plötzlich völlig erschöpft aus.
"Willst du nach Hause gehen?"
"Nein. Hier ist schon gut. Ich brauche gerade diesen Raum hier."
Ich nicke verständnisvoll.
"Aber wenn er jetzt weiß wo ich wohne? Was wenn er herkommt?"
Plötzlich ergibt alles Sinn. Deshalb hat sie vermutlich ihr Handy gegen die Wand geworfen. Deshalb wollte sie gestern bei mir schlafen.
"Ich würde dir gerne sagen, dass du weiterhin bei mir schlafen kannst. Aber ich glaube das ist auf Dauer keine Lösung."
Sie nickt niedergeschlagen.
"Vielleicht kannst du dein Zimmer wechseln?" schlage ich dann vor.
"Dafür müsste ich meine Situation erklären." Dieses Mal nicke ich.
"Wie wäre es, wenn wir dann zuerstmal den Brief zurücksenden? Einfach ohne Absender? Damit es so aussieht als hätte er damit niemanden erreicht."
"Hm. Okay."
Ich bin erleichtert wenigstens einen Vorschlag machen zu können. Ihr vielleicht ein bisschen zu helfen.
"Wenn du ein komisches Gefühl hast, dann ruf mich einfach an. Und wenn was sein sollte oder auch wenn nichts sein sollte, komme ich rüber und bleibe bei dir oder du kommst mit zu mir." Ich fühle mich trotzdem hilflos.
"Danke" sagt sie und bleibt wieder stehen. Ich drehe mich wieder zu ihr und sie umarmt mich. Trotzdessen, dass mich ihre Berührung eigentlich gut fühlen lassen sollte, fühle ich mich in diesem Moment einfach nur schlecht. Ich mache mir Sorgen um sie. Und dann ist da noch diese andere Sache.. Die Sache, die ich ihr an diesem Punkt eigentlich schuldig wäre zu erklären. Die Sache, die die letzte ist, die ich ihr in diesem Moment anvertrauen würde.

Its time to let goWo Geschichten leben. Entdecke jetzt