•~ 4 ~•

155 15 7
                                    

Seit gefühlten 2 Stunden starrte ich die Schrift auf dem Collegeblock an, langsam wummerte mir der Kopf vom ganzen Nachdenken. Lernen musste ich auch noch für eine Arbeit morgen, aber eigentlich verstand ich das Thema ganz gut, also was solls! Es klopfte an der Tür und Granny kam herein.
"Hallo Eden! Wie geht es dir?", fragte sie und ließ sich auf meinem Bett nieder.
Ich stand auf und trottete zu ihr herüber. "Ganz gut eigentlich."
Für eine kurze Weile blieb es still, bis ich in das Schweigen herein fragte: "Was würdest du tun, wenn du wüsstest dass du helfen kannst, aber Angst hast über deinen Tellerrand zu schauen?"
Granny hob die Augenbrauen und strich mir durchs Haar.
"Wie oft habe ich es dir schon gesagt Eden? Es war nicht deine Schuld! Gott hat dich auf eine Probe gestellt, aber du hast sie gemeistert."
Jetzt begann Granny wieder mit Gott, seit dem Unfall betrachtete sie Gott als Helfer und sprach eigentlich immer zu ihm.
"Ich rede aber nicht von Mom und Dad", fügte ich hinzu und Granny schaute mich verwirrt an.
"Dann solltest du über deinen Tellerrand gucken. Es wird dir nicht schaden, auch mal einen Blick nach außen zu werfen. Und wer weiß, vielleicht findest du etwas vor, was du nie erwartet hättest."
Sie lächelte und strich über meinen Rücken. "Könntest du vielleicht Kartoffeln und Pfeffer kaufen, wir haben keinen mehr?", ich nickte und stand auf, Granny folgte mir aus meinem Zimmer und brachte mir meine Jacke während ich meine Schuhe anzog.
"Danke."

Die Kälte überwältigte mich und ich schlang meinen Schal etwas fester um meinen Hals herum. Der Supermarkt war nicht weit entfernt und so dauerte es nicht lange bis das Licht der Neonlampen und das Gebäude vor mir auftauchte.
Mir schlug eine Wärmewand entgegen als ich eintrat und so schnell es ging lief ich durch die Regalreihen und nahm den Pfeffer und einen Beutel voller Kartoffeln, bezahlte sie und stand wieder in der Kälte, typisches Frühlingswetter war anders, aber mich interessierte das kaum. Ich lief so schnell es ging nach Hause, die meiste Zeit über ging ich an kleinen Vorgärten vorbei. Meine Granny wohnte in einem kleinen idyllischen Teil der Stadt und es gefiel mir irgendwie, naja, mal abgesehen davon, dass jeder in diesem Teil der Stadt alles von allen wusste. Hier gab es kaum Privatsphäre.
Ich lief an einem der wenigen Kirchen vorbei und musste anhalten. Die letzten Sonnenstrahlen vermischten sich mit den Licht des Mondes und brachen durch die bunten Fenster der Kirche. Es sah wirklich magisch aus, wie in einem Film. Ich konnte mich nicht beherrschen, langsam trat ich an das Fenster heran und stand in dem bunten Licht, das das Fenster auf das Gras warf.
Gefühlvoll breitete ich meine Arme aus und begann zu summen, das Summen schwoll an zu einem leisen Gesang, bei dem ich es beließ. Der Pastor musste nun wirklich nicht mitbekommen, dass ich hier draußen stand und einem Fenster meinen Gesang aufdrückte.
Ich sang mein Lieblingslied, Until the last falling star. Ich hatte es kurz vor der Beerdigung meiner Eltern gehört und war davon mitgerissen worden.
"Say a line
Could be anything
Just stay with me tonight

So tell me the secret
is there a way into your heart?
'Cause I want to believe it
Oh will I be wishing
I'll keep on wishing
Until the last falling star", meine Augen blieben für den Moment geschlossen, bis ich mich traute wenigstens ein Auge zu öffnen und danach das Zweite. Niemand war da, ich zog mein Handy aus meiner Jackentasche, schoss schnell ein Foto von dem Fenster und verschwand dann wieder Richtung Vorgärten.

Nach dem Abendessen erklärte ich mich bereit den Abwasch zu machen. Granny saß im Wohnzimmer und guckte irgendeinen Film, einige Geräusche drangten in die Küche. Draußen war es schon dunkel geworden, ich konnte mein Gesicht im Fenster sehen und betrachtete meine braunen Augen. Meine braunen Haare standen verzaust in alle Richtungen ab, dabei waren sie ziemlich lang!
"Eden! Komm setz dich zu mir!", rief Granny durch das Wohnzimmer und ich antwortete: "Geht nicht! Ich muss noch für eine Arbeit lernen!" Und so ging ich nach oben in mein Zimmer.

Mein Wecker klingelte und ich schlug auf ihn drauf, Stille. Nach ein paar Minuten, in denen ich die Stille und den Geruch, der von unten kam, genoss, sprang ich auf und duschte mich, band meine Haare zu einem strengen Pferdeschwanz und zog meine Uniform an. Wie immer ließen sich meine Haare trotz Zopf nicht bändigen, einige Strähnen standen nach rechts und links ab. Nachdem ich einen Blick auf meine Armbanduhr geworfen hatte, trabte ich die Treppe herunter und setzte mich an den Tisch. Es gab Rührei und Brötchen. Ich belegte mir mein Brötchen mit Käse und Schinken und Granny setzte sich zu mir. "Du hattest gestern noch gesagt, dass du lernen musst. Was schreibt ihr denn?" Ich blickte auf und zuckte mit den Schultern "Englisch."
Nach dem Frühstück machte ich mich fertig, nahm mein Fahrrad und radelte los.

Als ich die Schule erreichte, stieg mir der Geruch von Putzmitteln in die Nase. Ich öffnete meinen Spint und schob meinen Schal herein. "Hey! Hendriks, du sollst zum Lehrer!", rief jemand durch den Flur. Ich knallte meinen Spint zu und ging zum Lehrerzimmer. Wie eigentlich immer wurde ich angerempelt und fiel fast hin. Aber ich kam trotzdem heil beim Lehrerzimmer an. "Hallo Hendriks! Es tut mir leid, Ihnen das noch aufzudrücken, aber könnten Sie heute nochmal den Putzdienst übernehmen?", der Lehrer lächelte schief und ich nickte nur. Er bedankte sich um die fünfmal bevor ich gehen konnte. Wer wollte es wohl dieses Mal nicht machen? Ich wurde eigentlich immer gefragt wenn niemand anderes es machen wollte. Ich war für die Lehrer nicht mehr als ein Ersatz, genauso wie ich für meine Mitschüler ein Fußabtreter war. Seufzend ging ich zum Biologieraum, als ich da war ließ ich mich auf einen der hinteren Plätze fallen und nicht lange danach klingelte es zum Unterricht.

"Epigenetik ist ein sehr komplexes Thema!", sagte der Lehrer und zeigte auf die Tafel. So schnell es ging zog ich einen Collegeblock aus meiner Tasche, schlug ihn irgendwo auf und schrieb los. Doch meine Konzentration hielt nicht lange an, denn es war der Collegeblock aus der Bibliothek auf dem ich gerade schrieb. Ich stützte meinen Kopf auf meine Hand und dachte über die Begegnung gestern nach.
Anscheinend hatte er es niemandem gesagt, aber das hieß noch lange nichts. Ich hatte Angst, davor ihm in die Augen zu schauen. Und vor allem hatte ich Angst jemanden nach dem Block und diesem Schnipsel zu fragen. Ich weiß nicht ob wirklich der Typ aus der Bibliothek diesen Schnipsel beschrieb, doch ich hatte da so ein Gefühl. Jedoch hatte ich in letzter Zeit viele komische Gefühle.
Aber hatten sich meine Gefühle jemals getäuscht? Diese Stunde war für mich gelaufen, also lehnte ich mich zurück und horchte den Lauten des Lehrers und schaute nach draußen. Die Blätter erhielten langsam wieder ihre saftig grüne Farbe. Alles sah so idyllisch aus, dass ich ganz vergass im langweiligen Biologieunterricht bei Mr. Rossin zusitzen.
Es klingelte und ich blickte auf, alle räumten ihre Sachen zusammen und Geplapper brach über mich ein. Ich räumte den Collegeblock ordentlich in meine Tasche und trat in den Flur.

Dieser Schultag war wirklich schrecklich gewesen. Ich konnte mich auf nichts als den Collegeblock konzentrieren, ich war selber von mir genervt. Die Klingel ertönte und die Schüler sprangen auf, natürlich, heute war Freitag. Das hieß saufen, Party machen und miteinander schlafen.
"Hendriks und Orion! Sie haben Putzdienst!", der Lehrer warf mir einen entschuldigenden Blick zu. Ich schüttelte unmerklich den Kopf und wandte mich der Tür zu.
Ich holte den Eimer, Besen, Handfeger und füllte in den Eimer warmes Wasser, warf einen Lappen hinein und ging in den Klassenraum.
Zu meiner Überraschung war Luke noch da. An einen Tisch gelehnt stand Luke mit verschränkten Armen da. Er blickte auf und warf mir einen kühlen Blick zu. Nachdem er sich vom Tisch gelöst hatte, kam er auf mich zu und nahm mir den Eimer ab. Luke ging zu den Fenstern und begann die Fensterbänke abzuwischen, ich nahm den Besen in die Hand und begann in Schweigen gehüllt den Boden zu fegen.

"Sag mal, wieso redest du nie?", ich zuckte unter seiner tiefen Stimme zusammen, bis eben herrschte völlige Stille. Ich zuckte die Schultern und ließ meinen Kopf hängen. Auf einmal packte Lukes Hand mein Kinn und zerrte mein Kinn nach oben.
"Wieso? Wieso versteckst du dich?", er starrte mich an und ließ dann mein Kinn los. Auf seine Hand stand etwas geschrieben, es war ein Datum. Der 5. April, was war an dem Tag so besonders? Und da erkannte ich etwas. Das d war eckig, genauso eckig wie die auf dem Schnippsel oder dem Collegeblock.
Konnte das wahr sein?!
Vielleicht stand die Person, die ich die ganze Zeit gesucht habe gerade genau vor mir.
Ich nahm meinen ganzen Mut zusammen und richtete meinen Blick auf ihn.
"K-kann es sein... dass du s-s-st-stirbst?", meine Stimme klang eher wie ein Krächzen, ich hatte an diesem heutigen Tag nur meine Grandma gegrüßt, sonst hatte ich wie immer keinen Laut gegeben. Meine Frage war harsch und bestimmt würde er jetzt darüber lachen und mich beleidigen, diese Frag war einfach zu blöd formuliert gewesen, als dass man mit 'Ja' antworten konnte.
Luke riss seinen Kopf hoch, seine Augen waren weit aufgerissen, er war erschrocken.
Was?
"Woher-", ich stoppte ihn, indem ich hektisch den Schnippsel und den Collegeblock aus meiner Tasche zog.
Ich räusperte mich, meine Wangen waren heiß. "Gehört das dir?"
Luke wirkte ehrlich geschockt, doch dann entspannte sich sein Gesichtsausdruck. Seine Mundwinkel gingen leicht nach oben und ließen weiße Zähne blicken.
Doch seine Augen sagten etwas anderes als sein Lächeln. Luke hatte die Augenbrauen etwas zusammengezogen, leichte Falten bildeten sich auf seiner Stirn, seine Augen wirkten traurig, nein, noch viel mehr als traurig. Mir fiel kein Wort für den Blick in seinen haselnussbraunen Augen ein. Es war erschreckend.
Das Lächeln wirkte verkniffen, er atmete tief ein und nickte dann. Sein Blick hielt meinen fest in seinen Schlingen.
"Ja. Ich werde sterben."

Für Immer Bei DirWo Geschichten leben. Entdecke jetzt