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Die Geräusche des Krankenwagen kamen von ganz fern, oder nicht?
Ein Mann quetschte sich an mir vorbei und kniete sich vor mir hin.
"Geht es Ihnen gut?"
"Ja."
"Wirklich? Sind Sie verletzt?"
"Nein! Er hatte einen Herzanfall."
"Wie heißt er?", der Mann klang so ruhig und unerschrocken, dass es mich schon fast wütend machte.
"Luke Orion. Ich habe seinen Vater schon benachrichtigt", ich konnte nicht verhindern, dass ein scharfer Unterton über meine Lippen huschte. Der Mann zog die Augenbrauen hoch, mein Ton war ihm nicht entgangen.

"Gut, dann kümmern wir uns mal um deinen Freund", er wandte sich ab und begann zielsicher seinem Partner im schaukelnden Krankenwagen, zu assistieren.

Mein Herz hörte nicht auf gegen meinen Oberkörper zu donnern, es war schon fast schmerzhaft. ich krümmte mich und legte meinen Kopf zwischen meine Knie und atmete so wie Mom und Dad, es mir einst beigebracht hatten.
Früher hatte ich Angstattacken bekommen, weil ich dachte etwas sei bei mir im Zimmer. Das was Kinder eigentlich immer denken, harmlos. Doch ich hatte als Kind wirklich höllische Angst vor diesen Monstern oder Geistern, was auch immer es war. Irgendwann haben Mom und Dad mir dann erklärt, dass es nicht schlimm sei Angst zu haben, ich müsste sie nur bekämpfen können. Sie erzählten mir, dass wenn ich fest auf mein Herz drückte und an die schönen Momente dachte und dabei von hundert herunterzählen würde, alles wieder besser werde würde. Und damals klappte es wirklich. Ich hatte das seit Mom und Dads Tod schon nicht mehr gemacht.

Es funktionierte dieses Mal nicht. Meine Atmung stockte immernoch und musste mich an das grässliche Geräusch von Lukes Herzen erinnern.
Die Notärzte schwirrten um mich herum, ohne mich auch nur zu streifen. Ich bewunderte sie für ihre Ruhe. Während ich fast einen Zusammenbruch erleidete, blieben sie ganz cool und machten ihre Arbeit.
Ob ich auch so werden könnte?
Hoffentlich nicht.

Der Krankenwagen hielt abrupt und ich wurde nach vorne gerissen. Ich könnte mich noch an etwas Warmen festklammern. Die Wagentüren schwangen auf.
Ich blickte hoch, meine Hände hatten sich an Lukes Bein festgehalten. Erschüttert riss ich meine Hand los und wurde urplötzlich von jemandem aus dem Wagen gehieft.
"Alles wird gut. Können Sie mir ihren Namen sagen?", die Dame klang genauso ruhig wie die Notärzte.
"Eden Hendriks. Ich bin eine Freundin von ihm", schnell deutete ich hinter mich, wo ich Luke vermutete.
"Hast du schon jemanden kontaktiert? Deine Eltern, oder...?"
"Ich habe den Vater von ihm kontaktiert. Meine Großmutter rufe ich jetzt an."
Die Dame wirkte befriedigt und führte mich herein. Ich sah die Trage an mir vorbeirauschen und konnte einen kurzen Blick auf Lukes Gesicht erhaschen. Er war so blass.
"Eden!", Lukes Vater kam auf mich zugestürmt, legte mir die Hände auf die Schultern und starrte mich an. Als er überzeugt war, dass es mir gut ging ließ er von mir ab und lief seinem Sohn und den Ärzten hinterher.
Ich blieb alleine zurück, setzte mich auf eine Bank, die an der Wand verankert war und zog mein Handy heraus. Mit zittrigen Fingern wählte ich die Nummer meiner Granny und hielt mir das Telefon ans Ohr.
"Hallo? Eden bist du das?!"
"Granny...", mir kamen die Tränen.
"Was ist denn los?"
Ich erzählte ihr alles haarklein, Grannys Stimme beruhigte mich und je mehr sie auf mich einredete, desto ruhiger wurde ich.
"Du solltest zu ihm gehen. Immerhin ist er dein bester Freund!"
"Ja ich gehe gleich los."
"Ich werde auf dich warten, mein Liebes."
Vermutlich sollte ich Nein sagen, aber ich wollte einfach nach Hause kommen und mich in die Arme meiner Granny fallen lassen.
"Danke. Liebe dich, bis später."
"Tschüss, Ed. Ich liebe dich auch."

Ein paar Minuten nach dem Telefonat, saß ich noch steif da, richtete mich aber auf und fragte eine Schwester nach dem Zimmer von Luke Orion. Der Gänge rochen alle nach Desinfektionsmitteln und hatten diesen typischen Krankenhausgeruch. Je näher ich zu Lukes Zimmer kam, desto hibeliger wurde ich und ich musste mich zusammenzureißen um nicht von jetzt auf gleich zu rennen.
Als ich das Zimmer erreichte, lag einen erdrückende Stille über dem Raum.
Tief ein- und ausatmen.
Ich klopfte.
"Ja?", drang es gedänpft aus dem Raum heraus. Zögerlich öffnete ich die Tür und steckte meinen Kopf herein.
"Ach! Eden. Komm doch herein", Lukes Vater saß neben seinem Sohn und blickte mich an.
"Mr. Orion."
"Setz dich", er wies auf einen Stuhl gegenüber von seinem, auf der anderen Seite des Krankenbettes.
"Es tut mir leid, Mr. Orion", presste ich hervor und krallte meine Finger in meine Hose.
"Was sollte dir denn leid tun?"
"Naja..."
"Hör mir mal genau zu Eden. Falls du bei meinem Sohn bleiben solltest und ihm den Rücken stützen solltest, wenn ich es nicht kann, dann solltest du dich auf solche Anfälle gefasst machen. Er hat das immer wieder.
Das heißt aber nicht, dass es weniger erschreckend ist, ich zittere bei jedem seiner Anfälle und bete für ihn, aber irgendwann weiß man was man tun muss, wenn so etwas passiert.
Du kannst nichts dafür, immerhin liegt das an seinem Herzen. Und ich kann mir nicht vorstellen, dass du dich an seiner Geburt in den Kreissaal geschliechen hast und ihm die Herzscheidewand durchbohrt hast!", er grinste, beugte sich über das Bett und tätschelte mir den Arm.
"Und bitte, nenn' mich doch Andy."
"Okay, Mr. Andy."
"Nein! Versuche es ohne Mister!"
"Ja...A-andy."
"So ist es brav."
Es herrschte Stille zwischen uns, bis er sich auf einmal erhob und mich anlächelte.
"Ich muss mich noch um ein paar Dinge hier kümmern, bleibst du bitte bei ihm? Oder musst du nach Hause?"
"Nein, nein! Alles gut, ich kann bleiben!", erwiderte ich und nickte heftig.
"Gut", Andy lächelte und verschwand im Flur. Lukes Brust hob und senkte sich, ruhig und kein komisches Geräusch störte den kleinen Frieden. Luke drehte sich auf meine Seite und machte ein schmatzendes Geräusch.
Süß!
Auf einmal schnellte seine Hand aus der Decke hervor und klammerte sich an mein Bein.
Er zuckte im Schlaf auf und jauelte leicht.
Ein Alptraum?
"Hey Luke! Wach auf."
Seine Augenlider zuckten, bis er seine Augen einen splatbreit öffnete.
"Eden", flüsterte er glücklich mit einem dünnen Lächeln auf den Lippen und schloss die Augen wieder.
"Hey."
"Selber Hey."
"Wie geht's dir?", seine Augen klappten wieder auf und er betrachtete mich glücklich.
"Ganz gut. Aber ich habe dich schreien hören. Hätte nicht gedacht, dass du so laut sein kannst", ein Grinsen zeichnete sich auf seinen Lippen ab.
"Jaja."
Stille legte sich über uns. Sein Gesicht war zwar noch blass, aber er sah besser aus als vorher. Seine Augen wirkten matt, aber auf seinen Wangen erschien schon wieder die rosige Farbe, die seine Haut normalerweise trug.
"Hey, Eden. Sag mir was du denkst", sagte er nach einiger Zeit. Er rollte sich auf den Rücken und klopfte neben sich auf die Decke. Ich stand auf und setzte mich neben ihn.
"Was hast du gedacht, als ich umgekippt bin?"
Ich wog meine Worte ab und schwieg wieder ein paar Momente.
"Ich habe gedacht, dass ich dich nicht verlieren will und dass wir alles was an dich erinnert, in Bildern festhalten sollten."
Er lächelte und drückte meinen Arm sacht.
"Meine Spezialität", krächzte er.
"Deine Spezialität?"
Er nickte und zog an meinem Arm.
"Leg dich mal hin."
Zögerlich legte ich mich neben ihn. Er hob einen Arm und zeichnete in die Luft.
"Ich fotografiere als Hobby. Und zeichnen tue ich auch."
Ich wurde rot und lächelte, dass hätte ich niemals erwartet.
"Wow", ich staunte und er grinste matt.
"Ich muss bestimmt länger bleiben. Besuchst du mich morgen?"
"Klar, nach der Schule?"
"Hmmm"
Er döste schon wieder ein, kichernd strich ich ihm die blonden Haare aus dem Gesicht.
Andy trat in den Raum, als ich gerade gehen wollte.
"Ach du gehst schon?"
"Ähm... ja. Luke ist wieder eingeschlafen."
"Das ist gut", er wirkte erleichtert und obwohl ich ihn nicht gefragt hatte begann er zu erzählen:
"Es gab mal eine Zeit in der Luke nach jedem Herzanfall tagelang wach blieb und weinte. Das ist schon lange her, aber ich habe immer noch Angst, dass das nochmal passiert."
Ich senke meinen Kopf und kämpfte mit meinen Gefühlen.
"Na dann, komm gut nach Hause!", er grinste mich frech an und tätschelte mir meinen Arm.
Ich trat auf den leeren Flur heraus. Leise schloss ich die Tür und schlenderte durch die Gänge um den Ausgang zu finden.

Für Immer Bei DirWo Geschichten leben. Entdecke jetzt