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Ich riss die Tür auf und warf die Zettel in den Raum.
"Was soll das sein?!", keifte ich mit starrem, tränennassen Blick auf Granny. Sie saß weinend auf dem Bett und hob nur langsam den alten, mit grauen Haaren bedeckten, Kopf. "Eden... Setzt dich, bitte", flehte Grandma Hendriks und ich gewährte ihr die verzweifelte Bitte und setzte mich neben sie, auf das Bett. Granny nahm meine Hand, drückte sie und küsste sie, bis ich sie ihr entzog.
"Granny... was ist los?"
"Ich bin alt...", begann sie, stoppte aber, ich bemerkte, dass ihr der Mut schwand und drängte sie weiter.
"Erzähl es mir. Ich... schaffe das."
"Ich habe Krebs."
Mein Blut schoss mir in die Ohren, machte es mir schwer zuzuhören und alles Blut begann zu hämmern. Mir wurde erst kalt, dann warm und dann fühlte es sich an, als müsste ich mich übergeben.
Grandma hatte was?!
"K-krebs?", stotterte ich und starrte auf meine Hände.
"Brustkrebs. Es ist ein bösartiger, jedoch kann man ihn gut behandeln", Granny Hendriks wirkte gefasst und atmete ruhig, aber ihre Augen waren wieder nass geworden.
"Ich liebe dich und das weißt du, aber... nachdem... nachdem uns unsere Liebsten weggestorben sind, wollte ich dich nicht wieder verletzen."
"Ich bin ein Wrack, Grandma", fauchte ich, dann wurde meine Stimme sanfter, "du kannst mir alles sagen und du solltest wissen, dass ich es jetzt noch schwerer habe. Ich liebe dich und ich will dich nicht verlieren, da hast du recht und dennoch möchte ich sowas erfahren."
"Ich weiß", flüsterte sie und auf einmal fühlte ich mich wie eine Mutter, die ein Kind gerügt hatte.
"Ich liebe dich", sagte ich und küsste sie auf die runzelige Stirn.
"Ich dich auch", murmelte Granny.

Manchmal braucht das Herz mehr Zeit etwas zu akzeptieren, was der Kopf schon lange weiß.
Mein Herz klopfte mir am Morgen bis zum Hals und mein Kopf pochte, als hätte ich ihn mir irgendwo gestoßen. Ich lag in Grannys Bett, als ich meinen Kopf wandte, sah ich die Abdrücke von Granny, die neben mir gelegen hatte.
"Granny?", ich schlich die Treppe herunter. Wobei mir auffiel, dass ich noch meine feuchte und zerknitterte Schuluniform trug. Schnell rannte ich hoch, zog mir die Sachen aus und meinen Morgenmantel an.
"Morgen", Granny streichelte mir über die Haare und ich drückte ihre Hand.
"Ich habe Pfannkuchen gemacht. Komm setzten wir uns, dann kann ich dir deine Fragen beantworten."
Wir setzten uns an den Küchentisch, an dem wir zusammen geweint hatten, als Mom und Dad starben. An dem wir zusammen gelacht hatten, an Weihnachten und Ostern.
Es fühlte sich an, als würden durch das Holz, alle Erinnerungen in mich hineinfließen. Ich musste meine Augen kurz schließen um dieses schwindelerregende Gefühl loszuwerden.
"Eden... wir werden das schaffen", Granny küsste meinen Handrücken und stand wieder auf um mir einen Stapel von fünf Pfannkuchen auf einen Teller zu hiefen und mit Ahornsirup zu benetzen.
Obwohl ich vermutlich keinen Hunger haben sollte und den Teller gleich von mir stoßen sollte, zog ich ihn gierig zu mir und schnitt mir mehrere Stücke ab die ich blitzschnell verschlang.

Nachdem ich fertig gegessen hatte, stand ich auf und brachte den Teller in die Spülmaschine. Dann setzte ich mich neben Granny und drückte ihre Hand.
"Granny, wir schaffen das, bestimmt. Wir haben schon so viel durchgemacht. Ja? Ich liebe dich."
"Ich liebe dich auch."
"Aber Granny..."
"Ja Ed?"
"Lass mich ab jetzt immer mit kommen, wenn du ins Krankenhaus musst, ja?"
"Liebes ich weiß nicht ob das so eine gute Idee ist, immerhin-"
"Granny! Das ist mir egal. Ich will einfach bei dir sein, wenn du Entscheidungen triffst."
"Du meinst wenn ich sterbe?"
"Nein, das meine ich nicht. Ich weiß, dass du zu stark bist, um zu sterben."
Granny lachte und streichelte mir über die Stirn.
"Ich bin alt", grinste sie. Wir unterhielten uns noch ein bisschen, bis ich mich erhob und sagte, dass ich noch einen Aufsatz für Bio schreiben musste, welches der Wahrheit entsprach.
Nachdem ich mich oben an meinen Schreibtisch gesetzt hatte, begann ich den Aufsatz über die Mendelschen Gesetze zu schreiben.

Nach einem Patronenwechsel und zwei Seiten geschriebenem Blatt, lehnte ich mich zurück und blickte stolz auf mein Werk herunter.
Mein PC fiel mir in den Blick und auf einmal juckten meine Finger, weil sie unbedingt wieder mit Henry_214 schreiben wollten. Nach einiger Überlegung krallte ich mir meinen PC, schaltete ihn an und betrat das Forum.
Henry_214 war online. Ich klickte auf sein Profil und bemerkte einige Änderungen, sein Profilbild war neu, es zeigte mir eine muskulösen Oberkörper, den ich irgendwo schon gesehen hatte.
Komisch... woher kenne ich...!
Und auf einmal wurde alles klar. Die Erkenntnisse überrollten mich und drückten meinen Körper tief in meinen Stuhl. Es war so klar gewesen!
Wieso hatte ich das nie in Betracht gezogen?
Mein Herz setzte einen Schlag aus, mit rasendem Herzen sprang ich auf und rannte aus dem Zimmer, die Treppe herunter und nahm mir meine Jacke und schlüpfte in meine roten Gummistiefel. Granny kam aus dem Wohnzimmer und legte den Kopf schief, als sie mich sah.
"Wo willst du denn hin?"
Meine Aufmachung war wohl wirklich chaotisch, aber das war mir in einem dieser Momenten egal.
"Ich bin gleich wieder da, Granny", ich gab ihr einen federleichten Kuss auf die Stirn und rannte heraus. Die Sonne schien zwar, aber es regnete heftig und ließ mir die Kälte durch Mark und Bein kriechen. Drei Minuten später klingelte ich an der grauen Haustür, dahinter bellte ein Hund. Plötzlich hörte ich Rufe und der Hund verstummte.
Bitte lass ihn da sein! Bitte lass ihn da sein! Bitte lass -...
Er machte die Tür auf und strich sich verwirrt die Haare aus dem Gesicht.
"Ach Eden!", höhnte er, als er sich gefangen hatte.
"Ich weiß es!", keuchte ich und stemmte meine Hände auf meine Knie.
"Ach ja? Was weißt du?"
"Du warst sauer weil du Ed-dark7.12 gefunden hast, richtig?"
Seine Augen weiteten sich und er zog mich kurzerhand ins Haus, knallte die Tür zu und stemmte seine harten Hände gegen die Tür.
"Ach jetzt erst verstanden?"
"Ja, Henry_214, oder sollte ich besser Manny Willings zu dir sagen?"
"Du klingst ja wie eine Detektivin, die den Mörder endlich gefunden hat!"
Ich konnte mir das Schmunzeln nicht verkneifen.
"Grins nicht!", fauchte er und schützend hob ich meine Hände.
"Entschuldigung. Es ist nur...", ich presste meine Lippen zusammen um nicht noch einmal loszukichern, "Wie kann ich so doof sein und all die Anzeichen übersehen?"
"Was für Anzeichen!", ich spürte die Kraft seiner Hände auf die Tür, jetzt wurde es mir doch unangenehm.
"Du bist in... in Luke verliebt nicht wahr?"
Mannys Augen wurden groß, dann verengten sie sich zu kleinen Schlitzen, um dann wieder zur normalen Größe zurückzukehren. Der Druck, der auf seinen Händen gelasstet hatte, sackte weg und sein Kopf landete auf meiner Schulter.
Erschrocken fuhr ich zusammen.
"Bemerkt man es denn so sehr?", flüsterte er mit merkwürdiger hohlen Stimme.
"Nein", versicherte ich ihm und legte meine Hand auf seinem Rücken. "Aber ich habe eins und eins zusammengezählt und da kamst du als Antwort heraus."
Er musterte mich lange, seufzte dann und fragte ob ich nicht noch einen Tee mit ihm trinken wolle. Ich nickte, bat ihn aber, alles so kurz zu halten wie nur irgendwie möglich. Wir setzten uns in den angenehm warmen Wintergarten und schlürften unseren türkischen Tee.
Manny fragte mich wieso ich es so eilig hatte und ich musterte ihn argwöhnisch von oben bis unten.
Konnte man ihm trauen?
"Du musst mir versprechen, dass du es nicht verrätst. Niemals. Und schon gar nicht Luke, verstanden?"
"Ich wusste gar nicht, dass du ihn jetzt auch Luke nennst, bisher hieß es doch immer Orion. Aber nun gut, ich verspreche feierlich, dass ich Manny Willings, nichts von deinen Geheimnissen preisgeben werde!", dabei legte er theatralisch seine Hand aufs Herz.
"Wenn nicht, erzähle ich allen, dass du homosexuell bist", drohte ich mit meiner sanften Stimme, trotzdem zuckte kurz etwas wie Sorge in seinen Augen.
Ich vertraute ihm, genauso wie ich Ahna vertraute, mit dem Unterschied, dass Ahna etwas an sich hatte, dass mich fragen über sie anstellen ließ, welche ich bei Manny nicht hatte.
Nachdem ich tief Luft geholt hatte und kurz die Augen schloss, begann ich ihm von dem Krebs meiner Granny zu erzählen, aber weil ich gerade so im Reden steckte, konnte ich nicht anders und erzählte auch von meinen Eltern und deren Unfall. Von einfach allem.
Obwohl ich am Ende der Erzählung dieser Tragödie, die sich mein Leben nannte, Tränenschlieren auf den Wangen trug und ein verschnieftes Taschentuch in meiner Faust hielt, ging es mir besser. Es beruhigte mich, zu wissen, dass jemand anderes meine Geheimnisse und verletzlichen Erinnerungen kannte und ich sie mit ihm teilen konnte.
Manny saß reglos im Stuhl und wippte auf und ab, wie um sicj zu beruhigen. Dann schaute er auf und schaute mir lange in die Augen.
"Es begann vor einem Jahr. Ich hatte bemerkt, dass Luke immer wieder Blicke nach hinten warf. Zuerst dachte ich er würde nur überprüfen ob Ahna uns auch nicht folgen würde, aber von Zeit zu Zeit, änderte sich etwas in seinem Blick, er sah jetzt verträumt und sehnsüchtig aus. Als wäre er verliebt.
Ich glaube, das war der Moment, in dem ich mich in ihn verliebte. Natürlich sagte ich ihm das nicht, aber ich machte Anspielungen, kleine, so, dass niemand sie erkennen konnte, niemand außer mir. Und Ed-dark7.12. Also dir. Du hast mir immer geholfen, aber naja, als ich dann herausgefunden hatte, dass du das warst, war ich sauer.
Weil ich, naja, dachte du würdest mir Luke wegschnappen, obwohl ich mich dir anvertraut habe. Ich war einfach wütend."
Langsam blickte er von seiner leeren Tasse auf und kratzte sich am Nacken.
"Wie hast du herausgefunden, dass ich es war?", fragte ich trocken, weil mir sonst nichts einfiel, was ich zu ihm sagen könnte.
"Dein Name endet mit 7.12, ich hatte nie irgendwie daran gedacht, dass das ein Datum sein könnte, aber aus Langeweile habe ich den 7 Dezember gegoogelt und da kam, der Unfall deiner Eltern bei raus.
Zuerst war ich geschockt und dann, wie schon gesagt, unglaublich wütend."
Ich nickte und lächelte ihn dann an.
"Und liebst du Luke immer noch?", Manny sah mich kurz unverbindlich an und schüttelte dann den Kopf. "Nein, ich habe da jemand anderen."
"Und? Wer ist es?"
"Das sage ich dir doch jetzt nicht! Ich weiß ja noch nicht einmal ob es was ernstes wird!", schimpfte Manny und wurde rot wie ein Rotfink. Schmunzelnd redeten wir noch eine Zeitlang.
Als ich nach Hause, zu meiner Grandma Hendriks ging, war es schon Nacht und mein Herz um 2 Kilo leichter.
Wie ich Manny doch mochte!
Aber das würde ich ihm sicherlich nicht gestehen!

Ich klopfte an der Tür und Granny machte sie mit rosigen Wangen auf, draußen war es, ohne die Sonne, kalt. Und Granny ließ mich in das Haus eintreten. Mir wehte der Duft von Gebackenem entgegen.
Granny geht es gut.
Stellte ich erleichtert fest und streifte meine Jacke ab.
Und mir auch.

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Hey, meine lieben Leseratten! Es tut mir leid, dass ihr so lange warten musstest, aber ich habe mir einen Finger geprellt und kann deshalb nur sehr langsam schreiben. ♥♡♥♡

Für Immer Bei DirWo Geschichten leben. Entdecke jetzt