Meine Armbanduhr tickte beruhigend und ließ mich in einen leichten Schlaf fallen.
Neben meinem Bett stand ein Eimer, falls ich nochmal spucken musste. Meine braunen Haare hatte ich zu einem hohen Zopf gebunden, meine Klamotten waren frisch gewechselt. Ich trug ein schwarzes T-shirt und eine Schlafanzugshose mit aufgedruckten Sternen. Ziemlich kindlich aber es war mir egal.
Plötzlich blinkte mein Handybildschirm auf, ich versuchte es zu greifen und tippte auf ihm herum, es war eine Nachricht von Luke Orion. Auf ihn hatte ich gerade keine Lust. Und trotzdem las ich seine Nachricht.
Hey! Stehe vor deiner tür mach auf!
Vor meiner Tür? Ich stand auf und schlich die Treppe herunter, zur Tür. So leise es ging öffnete ich die Haustür und starrte in die Nacht hinein.
"Hey... Eden!"
"Luke Orion?"
Er trat aus dem Gebüsch und winkte mir lächelnd.
"Schön disch zu seheeeen!"
"Bist du betrunken?!"
"Ich?! Neeeeein!"
"Geh nach Hause! Ich habe echt keine Lust auf dein Geschwafel!"
"Ediii! Bitte, isch kann nischt nach Haus!"
"Shh!" Ich legte meinen Finger auf den Mund und zog ihn ins Haus.
"Sei still!", flüstere ich und zog ihn die Treppen hoch. Er stolperte und hickste, lallte einige Fragen, auf die ich nicht antwortete, bis wir mein Zimmer erreichten.
Er stürzte hinein und drehte sich um seine eigene Achse.
"Wooow!", rief er und wollte noch etwas hinzufügen, doch ich schlug ihm meine Hand vor den Mund.
"Aua!" Luke Orion stolperte und fiel mit einem Donnern zu Boden.
"Still jetzt!", schimpfte ich und zeigte auf seine Füße.
"Zieh die Schuhe aus."
Er versuchte die Schleifen zu öffnen, doch je länger er an den Enden zog, desto schwerer ging die Schleife zu öffnen.
Ich bückte mich herunter und öffnete die Schleifen, Luke Orion blinzelte mich an und nickte dann zufrieden.
"Sanke dir!"
"Jaja."
Er rappelte sich auf und ich zeigte auf mein Sofa.
"Da kannst du schlafen."
"Yayyy!"
Er legte sich auf die Couch und ich reichte ihm eine Wolldecke, die er sich über seinen Körper legte.
Da kam mir eine Idee. Luke Orion war betrunken, das heißt, dass er mir alles erzählen würde, oder? So hatte ich es in Filmen gesehen.
"Also sag mal Luke, was war denn heute Mittag mit dir los?"
"War schleeeeecht trauf."
"Und... wieso?"
Er machte ein nachdenkliches Gesicht. Es machte mir Angst nicht zu wissen, was er antworten würde. Es war dasselbe Gefühl wie als ich nach dem Grund für Lukes... Tod gefragt hatte.
Mein Herz zog sich bei diesem Gedanken zusammen, Luke Orion ein äußerlich gesunder, 17 jähriger Typ würde sterben... und ich wusste es!
"Weil... eeeees mirrrr schlescht geeht. Isch bin nischt sauer aaauf d-disch."
Mein Herz setzte einen Schlag aus, schlug dann aber weiter.
Ich ging zu meinem Bett und zog mir die Decke bis zum Kinn.
"Wieso dachtest du, dass ich sauer wäre?"
"Weil duuu so wiiiirkteeest."
"Ach ja?"
"Ich haaab gehört wie duuu geweinnnt hascht."
"Was?! Ich habe doch nicht geweint!"
Meinen Wangen wurden rot und ich musste mir die Decke über den Kopf ziehen.
"Dosch! Isch bin zurüüück gekooommen um misch zu entschuldigen, aber daaaann haaabe isch disch schluchzeeeen gehört."
"Aha."
Mehr bekam ich nicht heraus. Bevor ich Luke Orion kennengelernt hatte, war ich kalt und alleine, wollte niemanden haben, der mich verstand. Aber jetzt waren Luke Orion und Ahna Mercet in mein Leben getreten und, obwohl ich versuchte niemanden an mich heran zu lassen, hatten sie es geschafft mich zu verändern. Vielleicht konnte ich mich nicht sofort ändern, aber wenn ich mit kleinen Schritten anfangen würde, dann könnte ich sicherlich auch Luke Orion helfen. Ich konnte ihn nicht retten, aber vielleicht konnte ich ihm helfen.
"Seit ich dich kenne, habe ich mich so viel besser gefühlt. Ich glaube ich kann dir wirklich helfen, als deine beste Freundin! Lass uns beste Freunde werden, ja?"
Ich horchte auf Luke Orions Antwort, doch es kam keine.
"Luke Orion?"
Wieder keine Antwort. Ich seufzte und musste lachen.
Ich bin ja so dumm!
"Gute Nacht."Die Sonne warf ihre Strahlen in mein Zimmer, ich drehte mich zur Wand und murmelte in mein Kissen.
An meinen Bettenden waren Bücherregale aufgestellt, die randvoll waren. Und über meinem Bett hatte ich ein wieteres Regal angebaut, auf diesem stand eine Lampe, meine Lieblingsbücher und Bilder von Mom, Dad und Granny.
Ich wickelte mich in meine Decke ein und schlug meine Augen auf, die weiße Wand sprang mir entgegen. Ich rieb mir die Augen und versteckte mein Gähnen in meiner Decke.
"Guten Morgen", erschreckte mich eine raue Stimme. Sie klang als wäre die Person erst eben aufgestanden.
Verwirrt drehte ich mich auf die Seite, die sich zu meinem Zimmer erstreckte. Luke Orion lag in meine geblümte Wolldecke eingewickelt auf meiner Couch, seine langen Beine ragten hervor.
"Hallo?", es klang eher wie eine Frage als eine Begrüßung. Doch da fielen mir wieder die Geschehnisse von gestern ein.
"Ich sollte wohl gehen!", er wollte aufstehen, doch ich war schneller als er und sprang aus meinem Bett und drückte ihn auf das Sofa.
"Du kannst nicht mit leerem Magen aus dem Haus gehen!"
"Ach nein?"
Luke Orion zog die Augenbrauen hoch und ich überlegte kurz, bis ich eine gute Antwort hatte.
"Das ist eine Entschuldigung wegen gestern.", schlug ich vor und Luke prustete los.
"Dabei sollte ich mich wohl eher entschuldigen!"
Doch auf einmal hielt er sich seinen Kopf und biss die Zähne zusammen.
Ich musterte ihn und er schaute mich aus neugierigen Augen an.
"Kein 'alles gut'?"
"Wieso?"
"Weil man das normalerweise so macht."
"Oh."
Luke runzelte die Stirn und räusperte sich dann.
"Hast du zufällig Kopfschmerztabletten für mich?"
"Ja warte kurz."
Ich schnappte mir meinen Morgenmantel, trat aus der Tür und stieg die Treppe hinunter, zur Küche. Granny saß am Tisch und trank einen Tee. Als sie mich hörte drehte sie sich um und lächelte mich müde an.
"Na meine Kleine?"
"Alles gut?"
"Alles fabulös!", aber als sie das sagte schwang etwas in ihrer Stimme mit. Etwas Unheilvolles.
"Granny, geht es dir wirklich gut?"
"Ich bin einfach müde, sonst ist alles gut."
"Da ist doch noch was."
"Lass es gut sein meine Kleine."
"Aber-"
"Bitte", fügte sie hinzu und rieb sich die Falten an der Stirn. Ihre runzligen Hände ruhten an der warmen Tasse Tee.
"Ich mache mir auch mal Tee", murmelte ich nach einer kurzen Zeit des Schweigens und holte verstohlen zwei Becher aus einem Küchenschrank, füllte sie mit heißem Wasser und legte Teebeutel herein. Hastig holte ich dann auch noch ein Blister mit Schmerztabletten heraus.
So gut es ging versuchte ich die Becher vor Granny zu verstecken, aber sie schaute sowieso nicht hoch.
Ich hatte keine Ahnung was in ihr vorging, aber ich würde sie nochmal fragen, wenn ich Luke Orion irgendwie aus dem Haus geschaffen hatte.
"Ah! Eden, ich habe dich lieb."
Verwirrt drehte ich mich um, lächelte dann aber.
"Ich habe dich auch lieb."
Sie kniff glücklich die Augen zu und warf mir einen Kussmund zu.
Lächelnd stieg ich die Treppe empor. Irgendwas an ihrem Lächeln hatte aufgesetzt gewirkt.
Aber als ich in mein Zimmer eintrat, waren alle meine Sorgen wegen Granny vergessen. Luke Orion hatte seinen Kopf über den Eimer an meinem Bett gelehnt und er machte würgende Geräusche.
"Hey!"
Ich stellte schnell die Tassen ab, kniete mich neben ihn und legte meine Hand auf seinen muskulösen Rücken. Aber er hob seine freie Hand und versuchte mich wegzuschieben, doch ich packte seine Hand und drückte seinen Daumen, so doll es ging.
"Au!", würgte er, um dann weiterzuspuken.
Aber irgendwann ließ ich ihn los und seine Hand rutschte an sein Kragen, um ihn hochzuhalten. Ich kniete mich hinter ihn und hielt seinen Kragen am Rücken fest.
"Du kannst loslassen."
Nach ein paar Momenten ließ seine Hand ab und legte sie an den Rand des Eimers.Endlich hatte er aufgehört zu kotzen, ich hatte ihm einen kühlen Waschlappen auf den Nacken gelegt und das Zimmer wurde von der kalten Luft, die aus den offenen Fenstern strömte, eingehüllt.
"Wie viel hast du denn getrunken?", murmelte ich und Luke Orion murmelte etwas Unverständliches.
"Wie bitte?"
"Ich sagte acht Bier oder so."
"Na toll...", flüsterte ich, anscheinend hatte er es nicht gehört. Gut so.
Aber eine Frage brannte mir auf der Zunge: Wieso ?
Doch meine Angst hielt mich davon ab, Luke Orion hatte das letzte Mal als ich einen Kommentar zu seiner Gesundheit abgegeben hatte, mich böse angeschrien. Das wollte ich nicht nochmal riskieren.
"Ich gehe dann mal", er trank den letzten Schluck Tee aus seiner Tasse und reichte sie mir. Ich nahm sie an und trank auch meinen Rest vom Tee aus. Luke Orion und ich erhebten uns, schlichen uns aus meinem Zimmer und die Treppe herunter."Ihr seid 17 Jahre alt und benehmt euch wie Kleinkinder."
Luke zuckte auf und stolperte über eine Stufe, fing sich aber noch. Ich starrte zu Granny, die unten an der Treppe stand und grinsend zu Luke Orion und mir hochschaute.
"Granny..."
"Wenn ich mich vorstellen darf, Miranda Hendriks."
Wir stiegen die Treppe herunter und Granny reichte Luke Orion ihre Hand, er nahm sie zögerlich und schüttelte sie.
"Wieso konntest du mir das nicht einfach sagen, Edi?"
So hatte sie mich zuletzt in der Grundschule genannt. Ich wurde natürlich puderrot.
"Ähm... naja-"
"Ich wollte nicht, dass jemand anderes als Eden von meiner Sauforgie erfährt", stoppte Luke mein Gestammel und lächelte Granny an, diese grinste charmant zurück.
"Ist das einer deiner Vielleicht-Freunde?"
Ich wusste gar nicht, dass ein Mensch die Farbe von rotem Backstein annehmen konnte, aber ich tat es gerade.
"Vielleicht-Freunde?"
Luke drehte sich zu mir um und stemmte die Hände in die Hüften. Dann wendete er sich Granny zu und erklärte ihr: "Miranda, wenn ich Sie denn so nennen darf, ich bin Luke Orion und Eden und ich sind beste Freunde!"
"Achso?", Granny hatte eine verschwörerische Mine aufgesetzt, ich nickte zaghaft.
"Das sind wir wohl", fügte ich hinzu.Nachdem Luke gegangen war, hatte Granny ein glücklichen Gesichtsausdruck, den ich schon lange nicht mehr gesehen hatte, aufgesetzt. Eigentlich hatte ich sie seitdem ihre Tochter, meine Mutter und Daddy gestorben sind, nicht mehr so lächeln gesehen.
"Wann hast du es bemerkt?", Granny schaute von ihrem Teller mit dem Salat auf und lächelte.
"So wie er die Treppe hochgepoltert ist, konnte man ihn nicht überhören."
Ich grinste schief und nickte.
"Er hatte so viel getrunken?"
"Ja ziemlich viel."
Ich stopfte mir eine Tomate und Salat in den Mund.
"Ich mag ihn!", sagte Granny so unvermittelt, dass ich fast meine Cola, an der ich gerade nippte, ausgespuckt hätte. Aber ich konnte mich kontrollieren.
Das mulmige Gefühl kam wieder in Wellen zu meinem Herzen und drang tief ein. Ich musste die Gabel weglegen.
Am liebsten hätte ich Granny die Wahrheit über ihn gesagt, aber ich hatte ihm versprochen, nichts zu sagen.
Granny, Luke Orion stirbt bald. Er wird wegen eines Atriumseptumdefektes sterben. Er ist ein Todgeweihter.
Aber das würde ich niemals über die Lippen bringen. Also sagte ich ihr die Wahrheit.
Es fühlte sich komisch an, als die Wörter über meine Zunge schlichen. Aber irgendwie fühlte es sich auch ganz richtig an. Ich verheimlichte Granny kaum etwas, außer es ging um ihren Geburtstag oder Weihnachten und selbst das hielt ich nicht sehr lange aus.
Die Worte hatten einen süßen Geschmack, aber der Nachgeschmack war so bitter wie eine regnerische Nacht. Dieser Nachgeschmack erinnerte mich an das nahende Ende Luke Orions.
Ich wusste nicht wann er sterben würde, aber dass er sterben würde. Es zermürbte mich. Tränen stiegen in meine Augen und ließen sie schimmern.
Diese Ungewissheit plagte mich, ich wusste nichts über Luke und ich hatte keine Ahnung ob ich mich durch diesen Panzer, den er angelegt hatte, zwängen konnte oder gar ihn zerbrechen konnte.
Alles was mir blieb, waren Fragen, auf die ich keine Antwort bekam und diese Ungewissheit. Und dieses strahlende, kindliche Lachen von Luke, was mich an den Sommer und Süßigkeiten erinnerte."Ja, ich mag ihn auch, er ist mein bester Freund."
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Für Immer Bei Dir
RomanceIch räusperte mich. "Gehört das dir?" Er wirkte ehrlich geschockt, doch dann entspannte sich sein Gesichtsausdruck. Seine Mundwinkel gingen leicht nach oben, doch seine Augen sagten etwas anderes als sein Lächeln. Es war erschreckend. Das Lächeln wi...