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Luke war bald wieder nach Hause gegangen und sein Vater und er hatten sich vertragen. Andy hat sich bei mir entschuldigt und nannte mir den Termin für Lukes Operation.
   Ich war mit ihnen ins Krankenhaus gefahren und hatte Luke alles Glück der Welt gewünscht, dann habe ich gewartet.
   Meine Finger verflochten sich miteinander und lösten sich wieder, mein Herz verkrampfte sich immer mal wieder und ließ dann locker. Doch die Anspannung hielt mich in ihren langen kalten Fingern.
   Andy saß neben mir und rieb sich über die Arme, er wirkte noch nervöser als ich und hob irgendwann den Kopf und fragte ob ich eine warme Schokolade haben wolle. Zwar bejahte ich, doch bot an selbst hinunter zu gehen.
   Jedes Krankenhaus erinnerte mich an den Tod meiner Eltern.
   Damals hatte ich einen Babysitter, sie war eine Studentin und als man bei uns angerufen wurde, nahm sie mich bei der Hand und stieg mit mir ins Auto. Ich kann mich noch daran erinnern, dass sie gerast ist und ich vor Angst anfing zu weinen und brüllte sie an langsamer zu fahren, doch sie tat es nicht.
   Und als wir da waren, drehte sie - mir fällt partout ihr Name nicht ein - sich zu mir um und nahm mich an der Schulter, sie sagte mir, dass ich jetzt stark sein müsse und dass sie mich lieb habe.
   Danach nahm sie meine Hand und führte mich durch das Krankenhaus.
   Es ist seltsam, wie man manchmal nur keline Details bemerkt und das Große Ganze nicht mehr sehen kann. So sah meine Erinnerung aus, als ich durch die Flure lief um den Kaffee und den Kakao aus der Mensa zu besorgen.
Ich kann mich noch an das kränkliche Gelb erinneren, das die Wände zierte, fast so als wären die Krankheiten der Patienten von den Wänden aufgenommen worden. Und an das ängstlich verzerrte Gesicht von dem Babysitter und an meine innere Ruhe. Ich hatte im Auto zwar geschrien, aber jetzt war ich ganz ruhig, so als wüsste ich schon was passiert ist.
   Vielleicht aber, ist es auch nur mein jetziges Wissen, das diese Erinnerung verändert. Wer weiß?
   Ich drückte auf dem Automaten einen Knopf und wartete das der warme Kaffee aus den Drüsen drang.
   Damals war ich aufgeregt als ich Granny auch im Krankenhaus antraf und freute mich, ich bemerkte noch nicht mal ihre tränennassen Wangen. Sie nahm mich fest in den Arm und drückte mir Küsse auf die Wangen.
   Wenn ich so drüber nachdenke, habe ich Granny nach dem Tod meiner Eltern nicht mehr so erschüttert gesehen, noch nicht mal als sie mir das mit ihrer Krankheit erzählte.
   Ich erinnerte mich nicht mehr, welcher Arzt uns den Tod von Sarah und Marco Hendriks mitteilte, aber ich wusste noch immer, dass er einen Ketchupfleck auf seinem Kittel hatte, genau über der Brust. Damals wie heute wurde mir schlecht als ich daran dachte.
   Ich hatte meine Ruhe verloren und weinte wie kleine Kinder eben weinen. Ich schmiss mich auf den Boden, jauelte und wollte es nicht glauben.
Jetzt wieder in einem Krankenhaus zu sein und wieder die Angst zu haben, jemanden den ich liebe zu verlieren war schlimm.
   Vielleicht sogar das schlimmste Gefühl, das ich jemals gespürt habe.
   Als ich in den Flur bog, war Andy nicht mehr da und meine Tasche war auch weg. Mir stieg die Galle hoch. Eine Krankenschwester kam aus einem der Räume und ich sprach sie ängstlich an. "Entschuldigung? Wissen Sie wo der Mann ist der hier saß? Andy Orion?"
   "Ja", sagte sie und blickte auf ihre Finger, sie machte mich nervös. "Sein Sohn wurde auf die Intensivstation gebracht. In Zimmer 24."
   "Danke", murmelte ich und ging zügigen Schrittes um die Ecke. Dann rannte ich und wich einigen Ärzten und Schwestern aus, eine Patientin sah mich belustigt an und winkte mir.
   Als ich in der Intensiv ankam, drosselte ich mein Tempo und suchte das Zimmer.
   Als ich es sah, stand ich lange davor, strich mir die Haare aus dem Gesicht und blickte starr auf meine Hand, die am Türknopf lag.
   Nach drei tiefen Atemzügen öffnete ich die Tür und ließ sie zuerst nur einen Spalt weit.
   Ich sah ein Bett und eine Erhebung, die vermutlich Füße waren und Andys Beine davor. Ich wollte die Tür weiter öffnen, doch eine schwere Hand legte sich plötzlich auf meine Schulter, drehte mich herum und schloss die Tür.
   Erschrocken starrte ich in das Gesicht eines hochgewachsenen Mann, er blickte mich neugierig an.
   "Wer sind Sie? Gehören Sie zu dieser Familie?"
   "Ähm... Nein, aber ich bin die Freundin von dem Patientin, Sie... ähm", ich wusste nicht mehr was ich sagen sollte, denn ich war nervös, meine Nerven lagen blank, sie waren zum Zerreißen gespannt.
   Plötzlich ging die Tür auf und Andy blickte auf mich hinunter, dann den Mann und erklärte ihm, dass ich zu ihm gehörte.
   Es brauchte ziemlich lange um den Mann zu überzeugen und es verging zu viel Zeit - meiner Meinung nach-.
   Außerdem führte man uns vom Zimmer weg und ich wurde nervöser und nervöser.
   Tränen traten mir in die Augen, doch ich schluckte sie hinunter.
   Nicht jetzt, ermahnte ich mich und strich mir die Haare aus dem Gesicht.
   Nachdem alles geklärt wurde, ging Andy wieder in Lukes Zimmer, ich jedoch verschwand im Badezimmer.
   Ich spritzte mir Wasser ins Gesicht, kühlte es damit und starrte mein Spiegelbild an.
   Es sah ausgezerrt und müde aus, fast so als hätte ich drei Tage lang nicht mehr geschlafen. Ich fuhr mir durch das Haar und lächelte mich probeweise an, doch herauskam nur eine Fratze, also sagte ich mir, nicht mehr zu lachen.
   Als ich die Tür schloss und zu Lukes Zimmer schlenderte, erwartete mich eine Überraschung.
   Luke lag in seinem Bett, bleich, als würde er mit dem Laken verschmelzen wollen, seine Augen waren geschlossen, doch sie öffneten sich flatternd, als ich eintrat.
   Seine spröden bleichen Lippen kräuselten sich nur leicht und sackten dann müde wieder hinunter. Ich trat auf ihn zu und wieder brannten meine Augen.
Andy saß in einem Stuhl und schlief mit eingesacktem Oberkörper.
   "Eden", krächzte Luke und sah mich an, mit zitternden Beinen kam ich auf ihn zu und setzte mich neben seinem Bett auf einen Stuhl.
   Ich grub unter der Decke nach seiner Hand und drückte die kalte verschwitzte Handfläche. Er lächelte und ich gab ihm einen Kuss auf die Stirn.
"Ich liebe dich", flüsterte ich und beantwortete mich selbst, indem ich meine Stimme verstellte und murmelte: "Und ich liebe dich."
   Er lächelte und streckte seine Zunge heraus. Ich schmunzelte und fragte ihn wie es ihm ginge.
   "Ganz gut. Ich bin mit Schmerzmitteln vollgepumpt und habe dich neben mir, nur ein wenig Schmerz im Herzen."
   Ich vergrub mein Gesicht in den Decken, Tränen rollten in die Kissen, zeichneten kleine silberne Flüsse in das Laken, während Luke mir über den Kopf strich.
   Ich wünschte ich wäre in das Zimmer gekommen und hätte nur das gesehen was ich beschrieben hatte, doch so war es nicht. Er sah schmal aus, Spuckefäden hingen aus seinem Mund. Seine wunderschönen Augen waren abgestumpft und trüb, sie waren eingefallen und trugen tiefe Ringe, die seine Augenfarbe schlammig wirken ließ.
   Seine Haut war rau, aufgekratzt und feucht, fast schon klamm.
   Alles an ihm wirkte kaputt und gebrochen, als wäre er nicht mehr er selbst. Ich hoffte er würde wieder normal werden, wieder mein Luke.
   Aber ein Gefühl in meiner Magengrube und ein Ziehen an meinem Herzen sagte mir, dass er nicht mehr er bleiben würde.

Für Immer Bei DirWo Geschichten leben. Entdecke jetzt