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~Fianna~

Manche Narben kannst du nicht sehen. Und dennoch reichen sie viel tiefer als all das, was sichtbar ist, bis an den Grund deiner Seele.

...

Ich habe in der letzten Woche keine Worte mehr mit Blake gewechselt. An einem Tag hat er mir, statt des gewohnten Glases frischen Blutes, eine Leiche vor mein Bett gelegt. An diesem Morgen habe ich mich übergeben. Überall war Blut gewesen, ich war hungrig und leer... Ich habe mich an der Leiche bedient. Mir läuft bei dem Gedanken daran auch jetzt noch ein Schauer über den Rücken. Aber die Botschaft war deutlich genug gewesen: Wag es nicht noch einmal so mit mir zu reden. Zumindest hat er mir nach ein paar Tagen eine Salbe bringen lassen für meine Verletzung - auch wenn sie bis dahin schon fast verheilt war. Er war angepisst, und zwar sowas von.

Tristan habe ich nicht besucht. Aber er hat es auch nicht verdient, ich werde ihm nicht verzeihen, denn die Narben, die ich ihm verdanke, sitzen tief - ob nun physisch oder psychisch - und werden nie verschwinden. Ich weiß das es falsch ist, aber ich will, dass er leidet. Ich will, dass es ihm schlecht geht, er nicht weiß, wie er den nächsten Tag überleben soll, ihn seine eigenen Gedanken erdrücken. Er hat nichts besseres verdient als ich. Und deshalb habe ich ihn nicht besucht.

...

Ich betrete Phoenix' Arbeitszimmer. Mit gerunzelter Stirn blickt er auf einen Brief hinab. Als er den Kopf hebt und mich entdeckt, packt er ihn rasch in eine Schublade und schiebt diese zu.

»Alles in Ordnung?«, frage ich, obwohl ich weiß, dass er nichts anderes als ›ja‹ antworten wird.

»Ja, natürlich.« Okay, er muss es noch übertreiben. »Setz dich gern.«

Ich komme seiner Aufforderung nach, aber beginne wieder zu sprechen, noch bevor ich tatsächlich sitze. »Phoenix? Darf ich dich um etwas bitten?«

»Klar, warum solltest du nicht?« Seine Stimme klingt gelöst, aber mir entgeht das stetige Tippen seiner Fingerspitzen auf dem Tisch nicht.

»Es geht darum, dass ...« Ausweichend deute ich auf den Umhang, den ich getragen habe und nun über die Stuhllehne hänge. »Ich will trainieren, um mich zu verteidigen und zu kämpfen. Alles worum ich die bitte, ist ein Raum und ein Schwert.«

Das Tippen ist das einzige Geräusch, das in den nächsten Sekunden die Luft durchschneidet. Phoenix scheint zu überlegen, was heißt, dass er es wohl nicht grundsätzlich ablehnt. Doch je mehr Zeit vergeht, desto mehr glaube ich, dass es da noch ein ›aber‹ gibt ...

»Die Stadt ist groß, aber hier sind zu viele Menschen ...«, setzt Phoenix an. »Das Problem ist nicht, dass ich keinen anderen Ort kenne, an dem du trainieren könntest. Es ist nur so ... Ich will nicht, dass du dort hingehst.« Seine Stimme klingt besorgt.

Ich brauche seine Hilfe nicht. Und auch nicht seine Besorgnis. Das hat Blake schon zur Genüge getan. Und es hat darin gesendet, dass er mich hasst. Aber vielleicht ist es nunmal so, vielleicht kann niemand mich mögen.

»Gut, dann eben nicht«, sage ich. Er muss merken, wie meine Stimmung umschlägt. »Was machen wir dann? Wieder hier rum sitzen? Oder stürzen wir nochmal einen Berg runter? Ganz ehrlich, mir reicht's! Ich will nicht, dass irgendjemand über mich bestimmt. Ich will selbst auf mich aufpassen können. Aber ich bekomme keine Gelegenheit dazu, weder von dir noch von Blake!« Und ich mache immer alles kaputt ... Mit Dingen, die ich sage und tue. Mit meinen Gefühlen. Damit zerstöre ich alles ...

Ich kann Phoenix nicht mehr in die Augen sehen, die immer noch so wunderbar warm strahlen. Immer noch so freundlich und offen. Ich schnappe mir den Umhang und eile zur Tür. Ich muss hier raus. Ich ertrage das nicht. Ich ertrage nicht, wie er mich ansieht, wie er sich sorgt, wie er mir vertraut, obwohl er nicht den geringsten Grund dazu hat.

Sign Of The Crescent Moon | Those Void Words Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt