~31~

67 12 37
                                    

~Fianna~

Manchmal tut nicht das Offensichtliche weh, sondern das, was unter der Oberfläche lauert.

...

Es fühlt sich gut an. Es fühlt sich gut an, mit Phoenix Frieden geschlossen zu haben - wenn man es so nennen kann. Es fühlt sich wirklich, wirklich gut an. Trotzdem muss ich stets darauf achten, Distanz zwischen uns zu wahren. Er darf mir unter keinen Umständen auf irgendeine Art wichtig werden. Mein Herz hält das nicht nochmal durch. Vor fünf Jahren ist es zersplittert. Diese Splitter haben sich nie mehr zusammengefügt und wenn es mir erneut passiert ... Dann werden selbst diese Splitter von der eisigen Kälte fortgeweht und nichts als Dunkelheit bleibt.

Aber jetzt möchte ich nicht darüber nachdenken, denn ich bin wieder im Palast und suche mit steifen Schritten nach Blake. Er muss hier schließlich irgendwo sein, und trotzdem habe ich ein mulmiges Gefühl. Nicht das, was ich spüre, wenn ich mich innerlich schon mal auf ein Gespräch vorbereite - Das habe ich auf dem Rückweg zum Palast und daraufhin im Turmzimmer schon zur Genüge getan. Sondern ein Gefühl, das nichts Gutes verheißt. Und da höre ich einen Schrei von draußen. Ist Blake in einen Kampf verwickelt oder ist es einer seiner Soldaten? Ich denke gar nicht weiter darüber nach, sondern renne sofort zu den großen Flügeltüren, die aus dem Palast hinausführen. Ich blicke mich hektisch um, in ungefähr hundert Metern Entfernung erkenne ich mehrere Gestalten. Ich sehe sie trotz der finsteren Nacht recht gut.

Aber Blake ist nicht unter ihnen, stelle ich resigniert fest, als ich nur noch ein kleines Stück von ihnen entfernt bin. Ich rieche ihr Blut, es sind definitiv Menschen. Trotzdem erscheint mir das Geschehen seltsam. Und dann sehe ich es: Ein Mädchen, das am Boden kniet, die Arme schützend um sich geschlungen, den Kopf mit den goldenen Locken gesenkt. Sie kann kaum älter als fünfzehn sein. Vor ihr stehen zwei Jungen - vermutlich im selben Alter -, deren eisige Blicke ich selbst aus dieser Entfernung spüre. Der eine redet auf sie ein und durch mein Gehör, das besser ist, als das jedes Menschen, kann ich auch von hier jedes seiner Worte verstehen:

»Ein kleines Häufchen Elend bist du, seit dein Bruder vermisst wird. Sei doch froh, dass er weg ist, kleine Aurelia. Auch wenn du mir dein Gesicht nicht zeigen willst, sehe ich die Tränen, vergiss das nicht. Wie konntest du es nur wagen, mich vor allen in den Dreck zu ziehen?! Du verdammtes kleines Miststück!« Es klatscht laut, als er ihr eine knallende Ohrfeige verpasst. Gleichzeitig reißt der andere an ihren Haaren, vermutlich um sie zum Aufblicken zu zwingen.

Das reicht. Das ist genug. Nach allem, was mir passiert ist - die Demütigung, die Furcht, die Verzweiflung - werde ich nicht zulassen, dass einer dieser beiden sie in ihrem Leben je wieder anfasst.

Es dauert nur wenige Sekunden, bis ich den, der sie geschlagen hat, auch schon packe und mit einer Leichtigkeit, die mich selbst überrascht, auf den Boden schicke. Der andere Junge sieht mich erschrocken an. Ich weiß nicht, was er in mir sieht, und es ist mir auch egal. Ohne zu zögern oder Angst zu zeigen, stürzt er sich auf mich und versucht seinen Kumpel zu retten. Dieser windet sich unter meinem Griff, wie ein Wurm, am Boden. Vielleicht ist es dumm, was ich jetzt tue, aber in meiner Rage und dem auflodernden Hass kann ich mich nicht bremsen. Ich ignoriere die Schläge des einen und widme mich dem auf dem Boden liegenden Jungen. Ich bücke mich bis zu seiner Halsbeuge, bevor ich den Mund darauf lege und meine Zähne in die weiche Haut sinken lasse. Es wurde ohnehin bald Zeit, wieder etwas Blut zu mir zu nehmen. Und obwohl ich es bereits wusste, wird mir nochmals klar, dass ich hier etwas tue, das falsch ist. Falsch in allen Hinsichten, und doch fühlt es sich wie das einzig richtige an. In einer Geschichte wäre ich ohne Zweifel die Böse, die von dem Helden, der stets für das Gute kämpft, besiegt wird. Aber das hier ist keine Geschichte. Und selbst wenn es eine wäre, kommt es bloß auf die Perspektive an. Denn in meiner eigenen Geschichte bin ich die Heldin. Auch wenn es sich nicht so anfühlen mag ...

Sign Of The Crescent Moon | Those Void Words Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt