„Wo bleibst du denn, zum Geier nochmal?" fauchte meine beste Freundin Cami. Eigentlich Camelia, aber versuch sie so zu nennen und du wirst die nächsten Nächte Alpträume von ihrem Todesblick haben.
„Hör auf zu hetzten, du Sklaventreiberin!" zischte ich zurück und keuchte dabei wie ein sterbendes Walross. Ich war echt nicht unsportlich - bevor die Welt zum Herrn ging, hatte ich ausgesprochen begeistert die Sportart Parcours betrieben - aber ich war gesundheitlich angeschlagen... gelinde gesagt... Um ehrlich zu sein ging es mir mega beschissen, aber das wollte ich meiner amerikanischen Freundin nicht aufs Auge drücken. Sie war zu Besuch auf dem Gestüt meiner Eltern gewesen, als auf einmal die Menschen, hauptsächlich Frauen wie die Fliegen zu sterben begannen.
Aus irgendeinem Grund schienen Cam und ich immun zu sein und es hatte sich tatsächlich als Glück für uns beide erwiesen, dass sie genau diesen Zeitpunkt zur Beginn der weltweiten Pandemie für die spontane Stippvisite ausgesucht hatte.
Meine Familie war die einzige weltweit die eine ganz besondere Pferderasse züchtete, weshalb wir recht entrückt von der Zivilisation lebten, was uns vermutlich das Leben gerettet hatte.Mein Vater nannte unsere Rasse ‚gällische Sturmpferde', sie hatten die Größe von Kaltblütern, die außergewöhnliche Ausdauer von Arabern und waren um einiges schneller als englische Vollblüter. Mit einem sechsten Sinn fürs Gelände waren unsere Tiere für nahezu jede Reitsportart prädestiniert und wurden für etliche Hunderttausende von Euros verkauft. Allerdings hatten speziell die Hengste eine Eigenart, die sie nur schwer vermittelbar machte. Sie prägten sich auf einen Reiter und waren diesem treu, solange sie lebten. Wagte ein Fremder sich an sie heran - ohne die Erlaubnis des Besitzers - stampften die Tiere ihn oder sie buchstäblich in den Boden.
Die drei besten Zuchthengste hatten sich bereits als Fohlen auf mich geprägt und so hatte ich mein Sportstudium an den Nagel gehängt, um meinen Eltern mit den drei dickköpfigen Jungs und dem Rest der rund vierzig Zossen zu helfen. Ich war ein Workoholic und arbeitete buchstäblich von morgens bis abends... bis zum Umfallen.
Und als ich dann im Stall wirklich einmal das Bewusstsein verlor, kam heraus, dass ich eine üble Schilddrüsenunterfunktion hatte.
In der damals noch funktionierenden Welt war die Medikation ja kein Problem gewesen, jetzt allerdings...
Tja... die letzte Tablette hatte ich vor gut sechs Wochen genommen und mir ging es mittlerweile wirklich bescheiden.
Aber ich wollte nicht, dass Cami sich noch mehr Sorgen machte, also verschwieg ich ihr meinen ziemlich ernsten Zustand.Wir hatten halbwegs Glück gehabt und konnten zumindest einen kleinen Jagderfolg aufweisen.
Drei dicke Forellen waren uns ins Netz geschwommen und mit den wilden Zwiebeln und essbaren Wurzeln, die ich gefunden hatte, würde es ein ganz passables Abendessen abgeben.
Das Problem war nur... wir waren spät dran. Kochen konnten wir nur in der Dämmerung, wenn der Rauch des Feuers mit den Himmel verschmolz und somit praktisch unsichtbar wurde. Wir waren zwar nicht in der Nähe einer Stadt, aber man konnte nie vorsichtig genug sein.
Ach ja... die Städte... wundervoll lockende Versuchungen... ab und zu schlichen wir uns in eine kleinere hinein, um Klamotten, Schuhe oder Medizin für mich zu klauen. Aber das war so verschissen gefährlich, dass wir es nur vielleicht zweimal im Jahr wagten.
‚Wenn du frei leben und sterben willst, meide die Städte und deren Umgebungen.'
Das war die wichtigste Regel für alles, was eine Gebärmutter hatte in dieser, unserer ach so tollen neuen Welt.
Denn die Städte waren das Hoheitsgebiet der Männer...
Hin und wieder schickten die Herren der Schöpfung Patrouillen aus, um Frauen für die Re-Populationslager zu finden, aber dank Bran und Akela, Camis Hunden hatten wir immer einen Vorsprung wenn es ums Türmen und Verstecken ging. Die beiden waren eine außergewöhnliche Mischung aus Kangal und deutscher Dogge. Riesige Biester, vor denen sogar einzelne Bären Reißaus nahmen.
Das war also meine ganze verbliebene Familie... meine Freundin, ihre beiden Riesenköter, drei gewaltige Sturmhengste und vier Stuten aus der Zucht meiner Eltern. Dass wir damals mit den Pferden abgehauen waren, hatte sich als unvorstellbares Glück erwiesen.
Unsere ganze Habe konnten wir auf ihren Rücken transportieren, dazu waren sie genau wie Bran und Akela überbeschützerisch wenn es um mich ging.
Nur das Jagen konnten sie leider nicht übernehmen. Ich allerdings auch nicht... ich konnte einfach kein Tier töten. Ich hatte es einmal versucht und saß hinterher heulend da, das immer noch lebende Kaninchen auf dem Schoß und hatte mich gefühlte tausend Mal bei dem zitternden Fellbündel entschuldigt.
An diesem Tag waren wir hungrig zu Bett gegangen und von da an hatte Cami das mit den Jagen und Töten übernommen. Sobald die Tiere tot waren, konnte ich sie ohne weiteres zubereiten. Merkwürdig, was? Versucht nicht, das zu verstehen, ich selbst hab es bereits vor langer Zeit aufgegeben...„Sophie? Alles in Ordnung?"
Als ich den Kopf hob, hockte Cami vor mir, Besorgnis stand in ihren Augen. Ich zwang mich zu einem beruhigenden Lächeln und winkte ab. „Mach dir keine Gedanken, heute ist einfach nicht mein Tag..."
Auch wenn ich recht fit war - trotz meiner Krankheit und der daraus resultierenden Erschöpfung - gegen meine Freundin kam ich da nicht an. Cami war ein wahrer Outdoor Fanatiker. Sie stammte aus einem kleinen Dorf in den Rocky Mountains und hatte regelmäßige Wanderungen inklusive Camping mit ihrer gesamten Familie unternommen.
Cami schulterte ihren Bogen und checkte kurz, ob der Köcher sicher verstaut war. Dann nahm sie mir den Beutel mit den Wurzeln ab und reichte mir eine Hand. Ihre Stimme war nun sanfter als sie sagte: „Komm schon Soph... wir müssen uns etwas beeilen! Es ist ja nicht mehr weit..."
Dieses Mal hatten wir eine alte verlassene Jagdhütte bezogen, die schön versteckt in einem Tal lag. Zwei Tage hatten wir benötigt, um die halb verfallene Behausung so herzurichten, damit wir dort vor den Elementen in Sicherheit waren.Ein leises Rascheln versetzte uns in Alarmbereitschaft und dann kam aus dem Unterholz eine grau-blonde Bestie. Mit einem leisen Baffer beschnupperte Bran erst Cami und dann mich, um sicher zu gehen, dass es uns gut ging. Zufrieden trottete der Hund schließlich an unserer Seite zurück, markierte hier einen Baum, da einen Felsen und schien mit dieser neuen Welt ganz zufrieden zu sein.
‚Gut.., wenigsten einer,' dachte ich bitter und atmete erleichtert auf, als die Hütte in Sicht kam.
Cami verfrachtete mich auf die wackeligen Treppenstufen und kam mit einer Feldflasche Wasser wieder raus, die sie mir kommentarlos in die Hand drückte. Dann stapelte sie Feuerholz auf und zündelte fleißig vor sich hin. Das Tapsen großer Pfoten riss mich aus meinen Gedanken und der nachtschwarze Akela plumpste neben mir auf die Treppe und legte seinen schweren Kopf auffordernd in meinen Schoß. Ich gehorchte und kraulte das wuschelig weiche Fell. Der Riesenköter schnaufte zufrieden und klopfte zustimmend mit der Rute auf den Boden. Ich konnte förmlich hören, wie das Vieh dachte: ‚Braver Dosenöffner, genau die Stelle hab ich gemeint!'
Müde trank ich mein Wasser, dann schubste ich den Hund von meinen Beinen und stand auf um die Fische zu putzen, diese wickelte ich danach in Heu und vergrub sie in die Glut. Cami lag derweil auf dem Boden neben dem Feuer und wurde von Bran gnadenlos als Schlafplatz missbraucht. Kichernd bei dem Anblick wusch ich die Wurzeln und die wilden Zwiebeln und legte sie zu den garenden Fischen.
„In 20 Minuten können wir essen," teilte ich Cami mit und die brummte zustimmend.
Ja, heute war ein guter Tag...
Wir waren in Sicherheit und hatten etwas zu essen...Wir hatten gelernt genügsam zu sein...
Mit dem Wenigen zufrieden zu sein, was wir hatten.. uns... unsere Tiere... unsere Freiheit...
Und das reichte uns...
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Das Virus
Science FictionLasst euch impfen, haben sie gesagt. Dann wird das alles nicht so schlimm, haben sie gesagt. Wir werden das alles zusammen überstehen, haben sie gesagt... Ja... Schöner Mist, sage ich. Das Coronavirus hat sich tatsächlich als eine weltweite Pandemi...