Hafer und Äpfel

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Dass wir in unserer kleinen heruntergekommenen Jagdhütte nicht verweilen konnten, war klar wie Kloßbrühe. Allerdings hatten wir auf den Sonnenaufgang warten müssen, denn - und das solltet ihr alle beherzigen - Nachts ist es jetzt nicht das allersicherste, durch einen stockfinsteren Wald irren. Selbst dann nicht, wenn man von zwei riesigen Kötern mit notorisch schlechter Laune gegenüber allem, was sich außerhalb unserer kleinen Familie bewegte und drei wirklich stinkwütenden Pferden begleitet wird. Und an Schlaf war auch nicht mehr zu denken, denn Bran und Akela schnüffeln an jedem einzelnen Bärenkadaver herum und ließen unter wildem Geknurre ihre Aggressionen an dem stinkenden braunen Pelzen aus.
Cami saß neben mir auf der morschen Treppe, den Kopf in die Hände gestürzt und betrachtete die Rampage ihre Tiere.
„So ein Verdammter Bockmist," murmelte sie und seufzte erschöpft. „Wo sollen wir denn jetzt nur hin?"
Ihre Stimme klang mutlos und ich verstand sie. Um ehrlich zu sein, war ich mit ihr einer Meinung... Unsere Zukunft war von Anfang an nicht sonderlich rosig gewesen – wir hatten zwar mehr Glück als andere Frauen, aufgrund der Survival Skills meiner Besti, ihrer beiden Wachhunde und natürlich meiner Pferde. Dennoch... Der Winter würde bald kommen, und wir brauchten dringendst eine sichere Unterkunft für die kalten Monate.

Ja, ja, ja, diese verrottete Hütte war jetzt auch kein geeignetes Quartier für den Frost, aber es war besser als gar nichts gewesen...
Aber ich fand, dass es genügt wenn einer von uns beiden pessimistisch in die Zukunft blickte, also machte ich gute Miene zum bösen Spiel.
„Ach, Kopf hoch, Cami. Uns wird schon was einfallen... Wir haben noch nie aufgegeben, warum sollten wir jetzt damit anfangen? Lass uns auf den Sonnenaufgang warten und dann sieht die Welt schon wieder ganz anders aus."
Meine Freundin sah mich von der Seite an und schüttelte kurz den Kopf.
„You are incredible. Woher nimmst du nur immer diese Zuversicht?"
Ich grinste geisterhaft und legte meinen Kopf an ihre Schulter.
„Angeboren würde ich sagen... vielleicht sollten wir reingehen und versuche noch ein, zwei Stunden Schlaf zu bekommen."
Cami schnaubte und sagte mit einem Schaudern: „Ich kriege heute Nacht mit Sicherheit kein Auge mehr zu. Wären diese verfluchten Bären nicht so territorial, könnten wir vielleicht sogar hier bleiben. Aber wo eine Horde erst mal entlang gezogen ist, da es keine Sau mehr sicher und erst recht kein Mensch."
Traurig, aber wahr... und so saßen wir schweigend in der kalten Nachtluft und warteten darauf, dass die Sonne den Mond in sein Bettchen schickte.
Und als sie dann endlich aufging, beleuchteten ihre Strahlen ein Schlachtfeld, dass Hollywood nicht besser hätte präparieren können..
Wir mussten ein ganzes Bataillon an Schutzengel gehabt haben... Dass wir das vergangene Nacht überlebt hatten, grenzte echt an ein Wunder.
„Oh, Bloody Hell..." Cami klappte der Unterkiefer herunter und ich sah vermutlich nicht anders aus.
„Ja... Scheiße... Wir müssen hier weg! Und zwar schleunigst! Siehst du den großen weiblichen Bär da? Wenn das die Matriarchin der Horde ist, haben wir mal so richtig die Arschkarte gezogen! Dann werden die Drecksviecher auch noch auf Rache aus sein!"
Fluchend stolperten wir in das Innere unserer ehemaligen Behausung und stopfen schnellstmöglich unsere Habseligkeiten in die Rucksäcke.
Gott, warum hatten wir Dummtüten das nicht schon direkt nach dem Angriff erledigt???!
Als wir mit unserer Last ins Freie taumelten, standen unsere Tiere bereits wieder in Halb-Acht Stellung da und starrten in den Wald hinein. Die Hengste hatten die Ohren flach angelegt und scharrten unruhig mit den riesigen Hufen, während die Hunde das Fell gesträubt hatten und die mörderischen Reißzähne entblößten.
„Oh, Fuck... Weg hier!" stöhnte ich und warf die Rucksäcke über den Rücken von Ardanwen. Rasch band ich alles mit einem breiten Lederriemen fest, dann schubste ich Cami zu dem weißen Hengst. Fedaikyn drehte seinen Kopf und schnappte sofort drohend in ihre Richtung, doch dafür hatten wir keine Zeit!

„Leigidh mi e!" sagte ich mit scharfer Stimme und das Tier gab widerstrebend seine Angriffshaltung gegenüber meiner Freundin auf. Sie schwang sich auf seinen bloßen Rücken und ich glitt auf Orion. Ein kurzer scharfer Pfiff rief den Rappen an meine Seite und widerwillig schlossen sich Bran und Akela auf ein schnelles Kommando Camis an. Ein Schenkeldruck und Orion setzte sich in Bewegung.
Geschmeidig entfernten sich die Hengste durch den immer lichter werdenden Wald und kaum hatten sie ein freies Gelände vor sich fielen sie in einen weichen, raumgreifenden Galopp. Wie Schatten hetzten die Hunde an unseren Seiten über das trockene Gras der Heide dahin. Das laute Brummen und das Dröhnen schwerer Tatzen welches die anrückenden Horde ankündigte wurde zusehends leiser und verstummte letztendlich.

Wir bewegten uns in Richtung Sonnenaufgang über ein offenes Feld und wurden bald darauf von einem Wiehern begrüßt. Die vier Stuten, die wir bei unserer Flucht von Gestüt meiner Familie mehr oder weniger mitgenommen hatten, bildeten eine eigene Herde unter der Leitung der Matriarchin Alaska, einer acht jährigen Schimmelstute. Dann waren da noch Arakis, ebenfalls weiß, Dune, ein Palomino und Dauntless eine Rappstute. Die Weibchen dieser Pferderasse waren unabhängiger und fast noch wilder als die Hengste, deren Anwesenheit sie ausschließlich in ihrem Östrus duldeten. Daher war es nicht weiter verwunderlich, dass Alaska die Ohren flach legte und sich warnend aufbäumte. Schnaubend wichen die Hengste in einem weiten Bogen um die Weibchen herum aus und gingen nun im Schritt weiter. Als der Abstand groß genug war, konnte ich sehen, wie die Stuten sich in Bewegung setzten, um uns zu folgen. Auch wenn sie die Anwesenheit der Männchen nur zweimal im Jahr wirklich duldeten, so wussten sie sehr wohl, dass sie die Hengste brauchten, sobald der Östrus einsetzen würde. Zudem warnte ihr Instinkt sie vor der pelzigen Gefahr, die nicht allzu weit hinter uns ihr neues Revier absteckte.
Wir ritten zwei weitere Stunden, bis wir uns endlich weit genug vom Gebiet der Horde entfernt hatten. Das Gelände wurde allmählich felsiger - wir näherten uns den ersten Ausläufern des Mittelgebirges in der Eifel - und konnten uns nach einem Lagerplatz umsehen.
Ein Windbruch lud zum Verweilen ein und während Cami sich um das Essen kümmerte, untersuchte ich die Tiere sorgfältig. Da Bran und Akela mit meiner Besti losgezogen waren, überprüfte ich also zunächst meine drei Riesen. Jetzt, wo keine unmittelbare Gefahr mehr bestand, strahlten sie keine Aggression mehr aus, sondern stupsten mich liebevoll mit ihren warmen, samtenen Mäuler an. Orion knabberte sogar auf meinem sehr unordentlichen Zopf herum!
So ein Frechdachs!
„Hör auf, Ri! Stad!"
Beleidigt bließ mein Flammenpferd mir den Atem in den Nacken und stampfte mit den linken Vorderhuf.
„Dickkopf!" murmelte ich liebevoll und fuhr mit den Händen über die starken Beine, hob die Hufe an und prüfte sorgfältig jeden Zentimeter des Hengstes auf Verletzungen.
Nachdem auf Ardanwen und Fedaikyn sich als unverletzt herausgestellt hatten, schnallte ich die Rucksäcke vom Rücken des Rappen und entließ die drei zum Weiden, während ich unsere Sachen durchsah.
Der harte Galopp hatte einiges an Schaden angerichtet, wir mussten uns dringend ein neues Befestigungssystem überlegen... eines, was stabiler war und schneller übergestrichen werden konnte, sollten wir nochmal in Eile aufbrechen müssen. Die Lederbänder waren einfach zu kompliziert für ein rasches Anlegen...
Seufzend warf ich die Keramikscherben unserer Becher weg. Also erstmal kein Tee für uns... und apropos Tee... den konnte ich auch entsorgen, die Scherben hatten das Leinensäckchen zerrissen und anders als Aschenputtel hatte ich keine Taubenschar, welche mir mit „Die Guten ins Töpfchen, die Schlechten ins Kröpfchen" aushelfen konnte.
Erschöpft fuhr ich mir durchs Gesicht... verdammt... ich würde vermutlich bald einen Ausflug in eine Stadt unternehmen müssen! Ich brauchte wirklich dringend diese blöde Schilddrüsen-Medizin...

„Hey... schau mal, was ich gefunden habe!" eine fröhliche Cami unterbrach meine Grübeleien und warf mir einen großen Arm voll Getreideähren in den Schoß.
„Hafer! Wo hast du den denn gefunden?" Begeistert sprang ich auf und holte eine Decke aus einem der Rucksäcke um die Ähren drauf abzulegen, damit die wertvollen Körner nicht verloren gingen.
Meine Besti strahlte mit der Sonne um die Wette und kippte den zweiten Sammelbeutel aus. Rote Äpfel purzelten zum Hafer und ich jauchzte.
Cami klatschte glücklich in die Hände und antwortete: „Es gibt einen Apfelhein etwa einen Kilometer in die Richtung da und der Hafer wächst wie Unkraut wild dazwischen!"
Ich sah mich um... die Umgebung schien sicher zu sein. Es war keine Stadt in der Nähe und der Windbruch zusammen mit den Steinen bot ausreichend Schutz vor Wind und Sicht.
Die Tiere waren ruhig, also war das Terrain obendrein unbeansprucht.
„Ich finde, wir sollten für ein paar Tage hier bleiben. Vorräte sammeln, ich könnte aus dem Hafer Brotfladen backen und Äpfel können wir trocknen..."
Cami richtete sich auf und nickte.
„Gute Idee... dahinten ist ein Bach... wenn der Fische führt, könnten wir die mit Apfelholz räuchern und haltbar machen!"
Ja, das versprach ein guter Tag zu werden, oder?
Junge, junge... was sollten wir uns doch geirrt haben...

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Leigidh mi e - Gälisch: ‚ich erlaube es'
Stad - Gälisch: ‚Stop'

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