Luke
Ich bekam aus dem Augenwinkel gerade noch so mit, wie Sophie von dem riesigen schwarzen Pferd rutschte und bewusstlos in Sebastians ausgebreitete Arme fiel. Ich musste darauf vertrauen, dass er sie sicher reinbringen würde, denn ihre Freundin verblutete gerade unter meinen Händen. Jason hatte sich Camelia gegriffen und war mit ihr ins Ärztezimmer gerannt, kaum dass ich mich versichern konnte, dass die Wundpresse richtig saß.
Linda wartete dort bereits auf mich, eine Schere in der Hand, mit der sie direkt die schweren Kleidungsschichten von Camis Körper schnitt.
Während meine kleine Schwester das Blut abwusch, konnte ich den tiefen Biss genauer unter die Lupe nehmen und Sophie hatte sagenhaft gut reagiert, nicht nur dass sie die Wunde mit einem Knoten abgepresst hatte - nein, das kleine Mädel hatte ihre verletzte Freundin durch einen verdammten Schneesturm hierher zurückgebracht... wohl wissend, dass ich vermutlich der einzige in einem Umkreis von hundert Kilometern war, der ihre Freundin würde wieder zusammenflicken können.
Tatsächlich schienen wir Glück im Unglück zu haben, denn die Reißzähne des Tieres hatten die Hauptschlagader nur angeritzt und nicht vollständig durchbissen. Wäre das geschehen, nun ja... das Mädchen wäre bereits tot gewesen, bevor Sophie sie überhaupt aufs Pferd bekommen hätte. Dennoch hatte Cam viel Blut verloren... Gott sei dank war meine geliebte kleine Schwester Universalspender und rollte bereits den Ärmel ihres Pullovers hoch.
Ohne dass ich es beaufsichtigen musste, legte sie sich selbst und dann unserer Patientin einen Zugang, so dass ich mich auf die Reparatur der Ader konzentrieren konnte.In den Jahren nach dem ‚V-Day', wie Soph es genannt hatte, hatte ich mich in jedem nur erdenklichen medizinischen Feld nachgebildet. Eigentlich war ich Internist gewesen und kein Chirurg... und zum wiederholten Male dankte ich jeden höheren Wesen für meine damalige Weitsicht, denn sonst wäre ich jetzt wohl völlig ratlos gewesen.
So aber schaffte ich es innerhalb kürzester Zeit den Schaden zu beheben und vernähte die Wunde. Dann jagte ich eine enorme Menge an Antibiotikum in Camelias Venen und wo ich schon mal dabei war folgte eine Tetanusimpfung direkt auf dem Fuß.
In der Zwischenzeit hatte Linda ihren Zugang entfernt und begonnen mit einem Schwamm und warmen Wasser, in dem sie ein antiseptisches Mittel aufgelöst hatte, die zahlreichen Schrammen und kleineren Bisse auszuwaschen.
Dann wurde die Tür aufgestoßen und Sebastian trug die immer noch bewusstlose Sophie hinein.
„Leg sie dorthin," sagte ich und deutete auf die zweite Liege. Dann sah ich Linda an und fragte: „Kommst du mit den Rest hier alleine klar? Dann kann ich mich um Sophie kümmern..."
Meine Schwester nickte nur und warf einen besorgten Blick zu unserer zweiten Patientin.
Sebastian und Christian hatten bereits begonnen, die gefrorenen Klamotten regelrecht runterzubrechen. Durch das Blut ihrer Freundin waren die Schichten derart fest zusammen gepappt, dass ich ohne Witz erwog eine Säge zur Hilfe zu nehmen.
Fuck... wenn wir viel Pech hatten, würde die Kleine massive Erfrierungen davon getragen haben...
Als Soph schließlich nackt da lag - anscheinend hatte sie heute auf Unterwäsche und Socken verzichtet, vielleicht auch weil sie durch den Angriff keine Zeit dazu gehabt hatte - musste ich mein Erschrecken hinter einer stoischen Maske verbergen.
Sie war regelrecht ausgemergelt - wie nach einer langen Krankheit oder Hungerperiode. Sogar ihre Brüste waren merklich kleiner geworden. Die Rippen und Hüftknochen traten deutlich hervor und ihre Haut war unter dem Blutfilm, der sie teilweise bedeckte fahl weiß.
Aber sie war nicht kalt... im Gegenteil... Sophie glühte! Sie hatte Fieber und zwar wirklich hohes... als ich das Thermometer ansetzte piepste mich nur Sekunden später eine erschreckende Zahl an.
41,6..
Scheiße!
Sophie war schwer krank.
Vermutlich hatte das Fieber sie vor Erfrierung bewahrt, doch jetzt musste ich es runterbekommen und zwar schnellst möglich.
Seb warf einen kurzen Blick auf das Thermometer und zuckte zusammen.
„No..." flüsterte er geschockt und schnappte sich rasch einen nassen Schwamm um Sophie zu säubern. Auch sie hatte einiges einstecken müssen... Schrammen, mehr oder weniger tiefe Kratzer und Bisse, dazu eine beachtliche Anzahl von Hämatomen zierten ihren kleinen Körper und als Christian sie aufrichtete, zischte er alarmiert durch zusammen gebissene Zähne.
Im Sophies Nacken war eine tiefe, noch leicht blutende Bisswunde... ganz so, als hätte das Vieh versucht ihr das Genick durchzubeißen... ich konnte sogar das Weiß des Knochens durch das ganze Rot erkennen!
Zum Glück schien es, dass Sophie sich hatte losreißen können, bevor das Tier schlimmeren Schaden hatte anrichten können. So wie es aussah, waren die Adern und Nerven intakt, dass ich den Biss lediglich auswusch, zunähte und dem Mädchen dann genau wie ihrer Freundin einen Wagenladung Antibiotikum verpasste.Linda gesellte sich nun zu uns - Cami war in eine Heizdecke eingewickelt und an einen Tropf mit Kochsalzlösung angehängt - und übernahm nun die kühlen Wadenwickel. Ich hängte ebenfalls einen Tropf mit Kochsalzlösung für Sophie an, spritzte jedoch zusätzlich flüssiges Paracetamol zur Fiebersenkung hinein. Dann legte ich eine dünne Decke aus Baumwolle über Sophie und richtete mich auf eine lange Nacht ein. Sebastian sah mich besorgt an und fragte schließlich leise: „Jetzt sag schon, Luke... wie stehen die Chancen der beiden?"
Mittlerweile war der Raum recht voll geworden, da immer mehr besorgte Kerle hineindrängten.
„Kann ich dir noch nicht sagen. Bei Camilia wird die Nacht die Entscheidung bringen... wenn sie diese übersteht, sind die Chancen gut, dass sie schnell wieder gesund wird. Sophie ist ein anderes Kaliber. Ihr Organismus ist stark geschwächt... ich weiß nicht, wie lange sie schon krank ist, wie lange das Fieber schon so kritisch hoch ist... am liebsten würd ich sie in ein künstliches Koma versetzen, aber dafür hab ich weder die passenden Medikamente noch Maschinen da. Wir werden sehen.."
Henry setzte sich neben Seb und sah auf die junge Frau hinab... dann sagte er: „Sie wird das schaffen. Die Kleine ist viel zu stubborn um durch ein simples Fieber zu sterben! Hörst du das, Schatz? Du stirbst gefälligst nicht! Ich muss dir noch den Hintern versohlen, weil dein roter Höllengaul mich gebissen hat und das ziemlich saftig!"
Ich verdrehte die Augen und stand auf. Der nächste Fall für ne Tetanusspritze... Linda hatte dasselbe gedacht und mir bereits eine weitere aufgezogen.
Henry sah mich genervt an und maulte: „Fuck, no! For real? Oh, c'mon Bro..."
Can lachte, packte ihn und zog ihm die Hose von Allerwertesten, so dass ich ihm schnell den Schuss in den knackigen Pöter setzen konnte.
Leise fluchend richtete sich unser Superman wieder auf und sah anklagend auf Sophie.
Anscheinend war das noch etwas, was er mit ihr besprechen würde, sobald sie aufwachte. Linda kicherte leise und erneuerte die Wadenwickel... jepp... das würde eine lange Nacht werden!
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Das Virus
Science FictionLasst euch impfen, haben sie gesagt. Dann wird das alles nicht so schlimm, haben sie gesagt. Wir werden das alles zusammen überstehen, haben sie gesagt... Ja... Schöner Mist, sage ich. Das Coronavirus hat sich tatsächlich als eine weltweite Pandemi...