Der Kommandant

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Anscheinend hatte ich den Schneewittchen Verschnitt irgendwie verärgert, denn die Kleine zog mich ziemlich energisch hinter sich her und stapfte zielstrebig, ohne nach links oder rechts zu schauen in Richtung Container drei. Ich hatte nicht wirklich Bock, die pubertären Gedankenströme einer Möchtegern Spionin zu ergründen, daher schwieg ich und hing meinen eigenen Problemen nach.
Und davon gab es augenscheinlich recht viele!
Mal abgesehen von der allgemeinen Fluchtfrage, der Tatsache, dass wir nun zu dritt würden türmen müssen, mussten wir auch Anastasia noch ruhigstellen, das Gespräch mit dem Kommandanten hinter uns bringen - und zwar ohne uns verdächtig zu machen...
Ach ja... und da war noch diese Sache, dass sich ein Kalb großer Kampfhund mit ausgesprochen miesen Aggressionsmanagment Fremden gegenüber in einem Lager voller FREMDER herumtrieb!
Im Prinzip konnte der Tag kaum bescheidener beginnen!
Völlig versunken bei der Ansicht auf unseren Berg voll Probleme, bemerkte ich nicht mal, dass wir wieder in unserer luxuriösen Gefängniszelle angekommen waren.
„Vögelchen! Da bist du ja... schön sauber geschrubbt..."
Ouch... echt jetzt?
Schleimbeutel Nummer eins stand hinter Camis Stuhl und rieb ihr mit einem lüsternen Grinsen die Schultern, während sie die beste Vorstellung vom verängstigten, kleinen Dorftrottel gab, die ich je gesehen hatte!
Ich erkannte jedoch, dass die vollkommen verkrampfte Haltung und das Festkrallen der Finger in der Tischplatte nur eins bedeuten konnten: und zwar, dass der ekelhafte Kerl höchstens 1,3 Sekunden davon entfernt war, besagte Arme zu verlieren, mit denen meine Besti ihn dann vermutlich auch noch durchs halbe Lager prügeln würde.
„Guten Morgen," flötete ich daher betont fröhlich und schob mich näher an die beiden heran, damit ich im immer näher rückenden Ernstfall als Puffer herhalten konnte.
„Es ist echt unglaublich, sich mit warmen Wasser wieder mal waschen zu können. Oder Zähneputzen... das letzte Mal, dass wir das hatten, war in der Zeit davor... ach ja und einmal im Bunker, als ein Freund von uns, Akela sich einen Weg an den ganzen Absicherungen vorbei reingesucht und alles durcheinander gebracht hat. Er hatte als Friedensangebot Zahnpasta dabei.."
Ich grinste scheinbar versonnen und ließ mich neben Cami auf den Stuhl plumpsen.
„Ach ja... Akela... er und sein Bruder Bran waren schon ein Gespann... wenn der eine auftauchte, konnte man quasi die Uhr danach stellen, dass der andere nur knapp dahinter war... und die hatten es faustdick hinter den Ohren... haben immer Ärger gemacht. Echte Freigeister!"
Cami drehte den Kopf zu mir, ein wässriges Lächeln auf den Lippen, aber ein verstehendes Blitzen in den Augen.
Okay... die Botschaft war angekommen.
Sie wusste nun, dass Akela sich auf der Suche nach uns im Lager herumtrieb. Und wo einer der Riesen auftauchte... nun ja...
Ich zweifelte nicht daran, dass Bran und Akela ziemlich viel Schaden anrichten konnten. Dennoch konnten selbst ihre mächtigen Kiefer nichts gegen Kugeln auszurichten. Ein gezielter Treffer genügte und unsere beiden lebenden Waffen waren Geschichte.

„Na, die Eltern der beiden müssen die Jungs echt gehasst haben! Wirklich bescheuerte Namen!" gackerte das Arschloch und auch Anastasias Lippen kräuselten sich für die Dauer eines Herzschlages voll Verachtung.
Es dauerte nur vielleicht eine Sekunde, bis sie sich wieder im Griff hatte, doch sowohl Cami, als auch ich hatten es gesehen.
Pete tätschelte mir immer noch kichernd mit seinen Wurstfingern die Wange und ich hatte spontan das Bedürfnis mir selbige mit Bleiche abzuschrubben... mit sehr viel Bleiche!
„Ich hole euch drei Hübschen mal was zum Frühstücken. Dann wird der Kommandant kommen, um euch zu erklären, wie es hier für euch weitergeht."
Mit diesem Worten drückte er nochmal begütigend meine Schulter und polterte zur Tür hinaus, die - oh, Wunder - natürlich wieder quietschte, dass es doch glatt Tote würde aufwecken können!
„Wow... die sollte mal dringend jemand ölen!" murmelte Cami und rieb sich fröstelnd die Arme.
„Das bringt auf Dauer nichts... durch die hohe Luftfeuchtigkeit hält das Öl nicht lange vor, äh.. das haben zumindest die Wachen mal gesagt.." plapperte Anastasia hektisch, als ihr klar wurde, wieviel sie mit dem ersten Teil der Aussage uns eigentlich verraten hatte.
Meine Besti und ich sahen sie lächelnd an und tauschten dann einen winzigen, bedeutenden Blick.
Oh, ja... da konnte sie abwiegeln, so viel sie wollte... wir hatten es natürlich bemerkt und so breitete sich unangenehme Stille aus. Zumindest bis Schleimbeutel Pete mit dem Futter zurückkam.
Nichts großartiges... warmer Porridge und ein paar Äpfel. Und natürlich die obligatorischen Wasserflaschen.
Hungrig langten wir zu. Der Brei war erstaunlich lecker. Mit Mandeln und Honig verfeinert und mit etwas Zimt abgeschmeckt.
Zum Glück waren es keine Nüsse... dann hätten die Cami in einem Leichentuch rausschleppen müssen, so hochgradig allergisch wie sie war...

Aber so schaufelten wir munter drauflos, spülten alles mit einer Flasche Wasser runter und stopften dann noch einen Apfel in unsere vollen Mägen. Die ganze Zeit über versuchten wir die gierigen Blicke des Widerlings zu ignorieren, der sich alle Mühe gab, mit seinen Augen unsere Körbchengröße zu schätzen. Schließlich gab er den Versuch auf, sammelte das dreckige Geschirr ein und verließ mit einem letzten anzüglichen Zwinkern den Container.
Seufzend erhob ich mich und ging zu meinem Feldbett, unter dem ich gestern Abend meine Klamotten verstaut hatte.
Cami stand derweil ebenfalls auf und wandte sich schüchtern an unsere Aufseherin.
„Hey, Ana... könntest du vielleicht auch mit mir zu den Toilettenräumen gehen... allein trau ich mich nicht!"
Mini Schneewittchen warf mir einen scharfen Blick zu und überlegte anscheinend, wer von uns weniger Ärger allein machen würde. Ich verdrehte die Augen und genau wie ich es provoziert hatte - Cami brauchte schließlich etwas Zeit um Akela sicher wegzuschicken - kam prompt die Antwort:
„Du musst lernen, dich allein hier zurecht zu finden, Camelia... ich wollte mich auch erstmal anziehen. Wenn es also dringend ist, fürchte ich, dass du ohne mich los musst. Du kannst natürlich auch auf Pete warten. Der hilft garantiert gerne unter der Dusche!"
Ich wirbelte zu dem kleinen Biest herum und zwitscherte mit einer Version von Camis Todesblick in den Augen: „Camelia... du schaffst das. Es ist ja nicht weit. Ich unterhalte mich derweil mit unserer lieben Anastasia hier!"
Cami nickte hektisch und huschte zur Tür. Während sie den Container verließ, konnte ich das schadenfreudige Grinsen jedoch deutlich sehen.
Cam wusste, dass ich zwar eine lange Zündschnur hatte und es ne ganze Weile dauerte, bis ich den Kaffee aufhatte, aber wenn die Schnur denn mal abgebrannt war, dann knallte es! Und zwar gewaltig!
Kaum dass meine scheinbar ach so labile Freundin die Tür hinter sich zugedrückt hatte, legte ich auch schon los.
„SAG MAL, BIST DU EIGENTLICH GRENZDEBIL UND SO EMPHATISCH WIE EIN STÜCK BACKSTEINMAUER, ODER EINFACH NUR VON HAUS AUS EIN KLEINES MISTSTÜCK? DA ERZÄHL ICH GESTERN VON IHREN ÄNGSTEN UND NACHDEM DU VORHIN GESEHEN HAST, WIEVIEL PANIK SIE VOR DIESEM PETE HATTE, WILLST DU, DASS ER SIE ZU DEN DUSCHEN BEGLEITET? WAS IST BEI DIR DENN NICHT RICHTIG VERDRAHTET, DA IN DEINEM OBERSTÜBCHEN?"

Die Kurze wurde kreidebleich und machte einen unsicheren Schritt nach hinten. Mir waren nun jedoch auch ihre in Abwehr erhobenen Hände völlig wurscht, denn ich war noch nicht fertig mit der kleinen Heuchlerin!
„Komm ihr zu nahe, dann reiß ich dich mit bloßen Händen in Stücke, verstehst du mich? Sie ist die einzige Familie, die ich noch habe und wenn ihr einer schaden will, dann erlebt der ein Donnerwetter, dass sich gewaschen hat! HAST DU MICH VERSTANDEN?"

„Sie hat verstanden... das war ja auch ziemlich klar und deutlich ausgedrückt," sagte eine mir bereits dezent bekannte Stimme. Ich drehte mich stocksauer um, nur um mich dem Kommandanten des Lagers gegenüber zu sehen. Der Mann war schätzungsweise Mitte Vierzig, hatte dunkle, raspelkurze Haare und graue Augen. Sieh an.. da hatte Schneewittchen wohl die Augenfarbe von Mamilein geerbt...
Auch ansonsten machte der Kommandant eine durchaus beeindruckende Figur. Um die eins-achtzig groß, breite Schultern und eine schneidige Uniform.
Na, als ob mich so etwas beeindrucken könnte!
Stattdessen war ich eindeutig auf Krawall gebürstet, stemmte mir die Fäuste in die Hüften und funkelte den Oberbonzen zickig an.
„Schön! Das freut mich! Sie sollten sich diese Warnung ebenfalls hinter die Löffel schreiben... ich wiederhole mich ausgesprochen ungern!"

Upsi... könnte sein, dass ich da gerade ein klitzekleines bisschen zu weit gegangen war, denn die Augen des Vaters unserer falschen Freundin verdunkelten sich nun in einem rasendem Zorn...

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