Erwacht

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Aufzuwachen erwies sich - gelinde gesagt - als ein kleines bisschen kompliziert. Immer wieder driftete ich in eine traumlose Dunkelheit ab... ein leises Stimmengewirr begleitete diese kurzen Wachphasen, bei denen ich nur ein, zwei zusammenhängende Sätze raushören konnte, dann legte irgend so ein rahmdöddeliger Dösdepp in meinem Gehirn erneut den Schalter um und weg war ich wieder.
Ich hatte keinen Schimmer, wie lange das so ging, bis ich schließlich merkte, dass der Dösdepp wohl seinen Job gekündigt hatte, denn ich blieb im Land der Lebenden... und was noch viel wichtiger war: im Land der Erwachten.
Also ging ich das nächste Problem an.
Wie war das nochmal mit dem Augen-Öffnen?
Die Lösung hierzu brauchte einige weitere Minuten und als ich meine Glubscher zumindest wieder auf Halbmast bekommen hatte, bemerkte ich dankbar, dass dank der heruntergelassenen Rollos ein leichtes dämmeriges Halbdunkel herrschte.
Damit konnte ich leben!
Mühsam stemmte ich mich auf die Ellbogen und sah mich um.
Hmm... Das war definitiv nicht der Raum neben der Krankenstation, in dem ich das letzte - und vorletzte - Mal genächtigt hatte. Das Bett war größer und ein Sessel kuschelte gemütlich mit einer kleinen Couch in einer Zimmerecke rum... ich konnte sogar Kleidung darauf erkennen, die mit Sicherheit nicht für eine Frau gedacht war.
Verwirrt schüttelte ich den Kopf und beschloss, dass es mich zumindest vorerst nicht kümmerte.
Da war nämlich ein viel drängenderes Problem als die Tatsache, dass ich augenscheinlich im Schlafzimmer eines Mannes aufgewacht war, und zwar wäre das der Zugang, der da ganz unschuldig tuend in meinem Arm steckte!
Ich hatte es echt nicht mit Spritzen, Nadeln und so ziemlich allem, was auch nur entfernt in diese Richtung ging und kotzte fast vor Ekel, als ich mir das lange Teil aus der Armbeuge rupfte und mit erstaunlichem Schwung in die nächste Zimmerwand beförderte.
Wenn man die Abwesenheit jeglicher Energie und Kraft betrachtete, war das schon eine Leistung!
Nachdem das Zimmer dann auch noch dankenswerterweise aufgehört hatte, Karussell zu spielen, erhob ich mich mit dem Elan einer sechsundneunzig jährigen Oma und torkelte zu dem Kleiderhaufen auf dem Sessel hinüber. Dort angekommen japste ich wie nach einem erfolgreich abgeschlossenen Triathlon und entschied, dass ich es niemals schaffen würde, die Hose anzuziehen. Also begnügte ich mich mit dem enorm großen Hoodie und der Boxershorts, in der ich anscheinend geschlafen hatte.

Als ich endlich wieder Salonfähig, sprich nicht mehr nackelig war, entschloss ich mich nach den Pferden zu suchen. Da ich ja null Schimmer hatte, wie lange ich ausgeknockt gewesen war, hatten meine Jungs vielleicht seit Tagen niemanden an sich rangelassen oder gar gefressen. Cami konnte ich so oder so nicht helfen. Wir hatten es in die Stadt zurück geschafft, also hatte Luke sie mit Sicherheit verarztet... aber meine Pferde... sie hatten uns durch diesen Schneesturm sicher hergebracht und Orion war verletzt gewesen... ich musste einfach wissen, ob es ihnen gut ging.
Also munter drauflos getaumelt...
Ohne Unfälle erreichte ich im Schneckentempo die Tür und betrat mehr oder weniger selbstsicher den Gang.
Und hier endete meine Zuversicht auch schon wieder, denn ich hatte keinen Plan, wo ich war und vor allem... wo ich hin musste!
Ich öffnete den Mund, um um Hilfe zu rufen, doch das einzige was da rauskam war ein derart bemitleidenswertes Krächzen, dass ich meine Kiefer schnellstmöglich wieder schloss.
Jepp, das funktionierte garantiert nicht.
Also zurück zum Ursprungsplan.
Der war ohnehin besser!
Ich war kein schwaches kleines Mädchen!
Ich konnte das!

...

Okay... Realitäts-Check...
Ich konnte das so was von nicht!
Völlig erledigt stand ich mit zitternden Gliedmaßen am obersten Ende der Treppe - ja, ich hatte sie gefunden, fragt nur nicht wie und besonders wie lange das Finden gedauert hatte - und war fertig wie ein Stück Brot.
Mittlerweile heulte ich vor Erschöpfung und wollte mich einfach nur hinlegen und an Ort und Stelle einschlafen. Und am besten nie wieder aufwachen...
Aber zwei Dinge hinderten mich am Aufgeben...
Erstens: das dringende Bedürfnis mich vom Wohl meiner Pferde zu überzeugen und
Zweitens: ich war dickköpfiger als ein Bulle auf Steroiden!
Fakt war leider aber auch, dass ich diese Treppe niemals in der Senkrechten würde unfallfrei bewältigen können.
Also setzte ich mich auf meine vier Buchstaben und rutschte so Stufe für Stufe hinunter.
Irgendwann kam ich dann auch unten an und röchelte leise vor mich hin.
Zu einem Sauerstoffzelt hätte ich jetzt wirklich nicht nein gesagt...
Da aber gerade keins zur Hand war, brauchte ich eine ganze Weile, um so weit wieder bei Atem zu sein, dass ich keine schwarzen tanzenden Punkte mehr in meiner Sicht hatte.
„Sophieeee!"
Hm?
War was?
„Sophie?"
Hilflos krächzte ich eine Antwort, die bei der sehr geringen Lautstärke hundert Pro nicht bei dem Rufer ankommen würde und hangelte mich am Geländer wieder auf die Beine.
Wer auch immer da rief, konnte warten!
Ich war eine Frau auf einer Mission!
Mühsam lehnte ich mich gegen die Tür und Halleluja... das Ding schwang brav auf... und eisige Luft strömte mir entgegen.
Jaaaaaa... da half auch kein Dickschädel mehr, die Tatsache, dass wir Winter hatten ließ sich nicht mal mehr in meinen recht desolaten Zustand wegdebattieren.
Zumindest hatte der Sturm aufgehört... die Sonne schien und brachte die weiße Pracht zum glitzern.
„Sophie?"
Na, da war aber mal jemand hartnäckig...
Ich schüttelte den Gedanken wieder ab, bevor er sich in meinem Verstand festsetzen konnte und überlegte, wo die Pferde wohl unterge...
„Sophie!"
„Baby? What the fuck are you doing?"
„Mädel... sag mal, bist du jetzt völlig bekloppt? Denkst du, ich flicke dich zusammen, schaffe es, dass du nicht an der verschissenen Grippe krepierst, nur damit du hier in der eisigen Zugluft das Panorama bewundern kannst?"
Langsam drehte ich mich um und sah mich drei, vier, fünf... zehn... ok, einer ganzen Meute recht sauertöpfisch dreinblickender Männer gegenüber und kippte sehr elegant aus den nicht vorhandenen Puschen - direkt in Lukes Arme.
„Du machst mich fertig, Kleines! Du kannst doch hier nicht einfach so in der Weltgeschichte rumtingeln... du gehörst ins Bett! Hast du eigentlich eine Ahnung, wie knapp es für dich war?"
Mitten in seinem Vortrag schaufelte mich der Arzt auf die Arme und stieg die Treppe wieder rauf, die ich gerade so mühevoll runtergerutscht war.
Schöner Bockmist aber auch!
Aber... der Mann strahlte eine so wundervolle Wärme aus, dass ich versuchte mich grummelnd unter den dicken Fleecepulli zu wühlen, um mehr davon zu bekommen.
Schwungvoll trat Luke die Tür zum Krankenzimmer auf und platzierte mich auf einer der Liegen. Als er sich abwenden wollte, um sich seine Arzttasche zu angeln, krächzte ich protestierend auf und krallte mich in dem flauschigen Pullover fest.
„Schatz? Du musst mich loslassen, damit ich prüfen kann, ob dein kleiner Alleingang dir Schaden zu gefügt hat. Komm schon, Liebes..."
Zwei Arme schlangen sich um meinen Körper und zogen mich ein Stück zurück an eine breite Brust.
„Let go, Darling! I've got you..."
Da der Mann hinter mir ebenfalls schmusig-warm war, konnte ich meine verkraften Finger lösen, um den Onkel Doktor freizugeben und suchte stattdessen bei Sebastian nach Aufwärmung.
„Good girl!" murmelte er leise und hauchte einen Kuss auf meine Schläfe.
Schwungvoll drehte sich Luke nun wieder um und hielt Zungenspatel und eine kleine Stablampe in den Händen.
„So, Engel... Mund auf und ‚A' sagen! Wenn du jetzt artig bist, bekommst du später auch einen Lolli!"
Genervt funkelte ich ihn an.
Echt jetzt?
Was dachte der denn bitte sehr, wie alt ich war?
Luke grinste ob meines grummeligen Ausdrucks und streichelte mir liebevoll über die Wange.
„Na, los, Sturköpfchen... sei doch nicht so! Ich möchte dir doch nur helfen..."
Och, nö... jetzt setzte er auch noch einen sensationellen Dackelblick als Geheimwaffe ein?
Boar, was war der fies!
Und guuuut!
Erinnert ihr euch an den Blick vom gestiefelten Kater aus dem Film Shrek 2?
Der war ein blutiger Anfänger gegen das, was Luke da auffuhr!
Da ich echt nicht widerstehen konnte, öffnete ich brav die Futterluke und ließ Doktorchen - sehr zu seiner Freude - seine Arbeit machen.

Das VirusWo Geschichten leben. Entdecke jetzt