Zu spät...

389 40 2
                                    

Das konnte doch nicht sein?!!
War ich etwa an der falschen Stelle?
Nein, da war der Windbruch... der Bach ... die zerstörte Reuse... aber Cami war fort. Und die beiden Hunde UND die Hengste ebenfalls! Von unserem ganzen Hab und Gut ganz zu schweigen..
„Nein, nein, nein... was zum Teufel??"
Entsetzt drehte ich mich im Kreis. Nur mit Mühe bekämpfte ich meine Panik.
‚Tief durchatmen, Sophie,' sagte ich mir selbst und zwang mich dazu, mich um zu sehen. Der Boden war aufgewühlt von zahlreichen Füßen, die in schweren Stiefeln gesteckt hatten... Dazwischen die Pfotenabdrücke der beiden Hunde und über dem ganzen, Hufspuren von meinen zwei Pferden.
Und dort... etwas weiter hinten am Bach war eine regelrechte Wolke aus Krähen am Boden...
Angst krallte sich in meinen Eingeweiden fest, als ich mit festen Schritten darauf zu marschierte. Die schwarzen Vögel waren nicht sonderlich erfreut, dass sie ihr Festmahl unterbrechen sollte und flatterten erbost um meine Füße herum. Der Boden war blutgetränkt.. und was von den vier Stuten noch übrig war, würden die Krähen und andere Aasfresser bald beseitigt haben. Auch wenn mir klar war, dass die Tiere nicht so wichtig waren wie meine Freundin, brach ich dennoch schluchzend in die Knie. Ich hatte diese Stuten mit großgezogen und sie jetzt abgeschlachtet vor mir liegen zu sehen, zerriß mir schier das Herz. 
Welcher elendige Bastard konnte so etwas nur getan haben?

Orion stand dicht hinter mir und hatte seinen großen Kopf an meine Schulter gelehnt, die weichen Nüstern bliesen den nach Gras riechenden Atem in meinen Nacken. Und es war sein Trost, der mich schließlich dazu bewog, mich zusammenzunehmen. Wütend strich ich mir die Tränen aus den Augen und schwang mich auf den Rücken meines Feuerhengstes. Von dieser Höhe hatte ich den wesentlich besseren Überblick und lenkte Ri mit meinen Knien zurück zum Windbruch und überließ die Überreste meiner Stuten den fliegenden Aasfressern.

Ich folgte dem wilden Durcheinander am Boden gut zweihundert Meter weit in Richtung der Straße, dort endete das Gewimmel und wurde durch Reifenspuren ersetzt. Also war meine Vermutung richtig... eine herumstreifende Männerpatrouille hatte Cami gefunden und mitgenommen! Und ich hatte keinen Plan, in welche Richtung sie davon gefahren waren...
FUUUUUUCK!!!!
Minutenlang saß ich da auf dem Rücken des Pferdes und überlegte krampfhaft.
Wo? Wo? Woooo?
Wo konnten sie meine beste Freundin nur hingebracht haben???
Und egal, wie sehr ich mir den Kopf auch zerbrach, ich wusste einfach nicht weiter. Nur eines war klar: ich würde Cam nicht alleine finden können. Ich brauchte Hilfe...
Und die einzigen Personen, mit denen ich in der letzten Zeit zusätzlich Kontakt gehabt hatte und die eventuell wussten, wo meine Besti hingebracht worden war, hatten einen Penis...
Fuck!
Doppelfuck!
Dreifachfuck!
Unendlichkeitsfuck!

Das Universum schrie mir zu: Wie dämlich willst du sein? Und ich antwortete simpel: ja!
Ich war der Höhle der Löwen gerade heil entkommen und jetzt zog ich echt in Erwägung zurückzureiten?
Ich erinnerte mich an ein TikTok Video, in dem eine Menschenmenge sich simultan entgeistert die Hand vor die Stirn klatschte... dieses Video spielte sich nun in Dauerschleife in meinem Kopf ab, während ich Orion zögernd wieder in Richtung der Stadt lenkte, aus der ich just erfolgreich geflohen war.
Je näher ich kam, umso nervöser wurde ich... wie sollte ich da nur ungesehen reinkommen? Und wenn ich das wie durch ein Wunder geschafft hatte, wie sollte ich unter den Hunderten von Männern nur den einen finden, der mir auf Grund seiner sexuellen Gesinnung nicht gefährlich werden würde?
Auf der letzten Anhöhe ließ ich Orion anhalten und glitt über seine Flanke zu Boden.
Ich beschloss in Ermangelung eines Planes einfach kackendreist es auf dem gleichen Weg zu versuchen wie beim letzten Mal.
Klar, ich verließ mich hier auf das Schutzengel-Bataillon, welches ja schon beim Bärenangriff Überstunden geschoben hatte, aber mal ehrlich... was sollte ich sonst auch machen? Ich geb es ja zu, Stresssituationen waren noch nie etwas, bei dem ich mich glänzend hervorgetan hatte und wenn ich denn mal Pläne schmiedete, gingen die auch noch in regelmäßigen Abständen schief...
Also nicht lange weiter drüber nachgedacht und ab ins Städtchen gehuscht!!
Wie auch schon beim letzten Mal nutze ich die Seitenstraßen und dunklen Hinterhöfe aus um mich der Apotheke zu nähern.
Henry hatte gesagt, bei meinem ersten Einbruch war ein stiller Alarm ausgelöst worden... vielleicht war das dieses Mal auch wieder und wenn ich etwa eine LKW Ladung an Glück hatte, würden entweder er, Seb oder Luke auftauchen...
Und wieder klatschte sich eine Menschenmenge in meinem Schädel gegen die Stirn!
Anscheinend hatten aber meine Schutzgeister den Zusatzstunden zugestimmt - trotz des vermutlich mittlerweile abgeschlossenen Gewerkschaftseintrittes - und ich erreichte ungesehen den Hinterhof der Apotheke. Und das obwohl die Straßen mit aufgeregt rufenden Kerlen überlaufen waren, die hektisch diverse Fahrzeuge klarmachten...
Klar auch... so eine Verfolgungsjagd will schließlich gut ausgerüstet sein, nicht dass unterwegs vielleicht der Sprit ausgeht und die Herren der Schöpfung zu Fuß ihrer Beute, sprich mir nachhetzen mussten...

Da das Fenster wieder - oder immer noch - offen war, vermutete ich durchaus eine Falle... aber.. welche Wahl hatte ich denn schon? Immer noch pumpte mein Herz das Adrenalin durch meinen Körper und ließ mich so die Mangelerscheinungen nicht spüren... die Schmerzen durch das Hämatom?
Nope!
Nicht vorhanden!
Der Schwindel durch den Wassermangel?
Na, der war gut (hämisches Gegacker meiner inneren Stimme)!
Ich fühlte mich, als könnte ich Bäume ausreißen! Das mein Körper langsam abschaltete bemerkte ich nicht, als ich mich durch das Fenster hievte. Dieses Mal plumpste ich wie ein nasser Sack auf den schmuddeligen Untergrund und zog mich schwer atmend an einem Regal wieder hoch.
Scheiß die Wand an, das war ja jetzt nicht so gut gelaufen!
Da konnte ich nur hoffen, dass keiner dieser Dödel da draußen das Poltern mitbekommen hatte.
Erschöpft fuhr ich mir durch die Haare und ging nach einem letzten tiefen Durchatmen auf Zehenspitzen über den Flur und spähte um die Ecke in den Verkaufsraum.
Nichts... oder besser gesagt, niemand wartete dort auf mich... keine Falle, keine Typen, die bei meinem Anblick gierig sabberten... nichts!
Als die Anspannung meinen Körper verließ, war es, als verlören gleichzeitig alle meine Gliedmaße ihre Festigkeit und ich sackte am Tresen mit dem Hintern voran in den Dreck.
Völlig erledigt zog ich die Beine an, schlang die Arme darum und legte den Kopf auf den Knien ab.
Goooott... ich war so unendlich müde!
So müde...

...
„Little one? Hey, Sophie.. wake up, Baby!"
Mühsam stemmte ich die Augenlider auf und sah blinzelnd in ozeanblaue Iriden.
„Sebastian..." murmelte ich und mein Kopf sank wieder auf die Knie. Selbst in meinem Dämmerzustand bemerkte ich die Stille draußen, schaffte es aber nicht, mich weiter darauf zu konzentrieren.
„Ok, then..."
Warme Hände griffen zu und hoben mich hoch...
„Let's get you to Luke..."

Das VirusWo Geschichten leben. Entdecke jetzt