Wieder vereint

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„Na, wenigstens etwas!"
Zufrieden legte Luke den Zungenspatel zu Seite und strubbelte mir durch die Haare.
Ich verschränkte die Arme vor der Brust und funkelte ihn bockig an.
„Wo ist mein Lolli?" krächzte ich mit hochgezogenen Augenbrauen und Sebastian hinter mir kicherte leise bei meinen Worten.
„Eigentlich bekommen nur brave Mädchen Lollis. Und du, mein Schätzchen, hättest schlicht und ergreifend im Bett bleiben sollen."
Ich schnaubte dezent angesäuert... ich war doch kein Kleinkind!
Auch wenn mein Verlangen nach dem Lutscher, den er mir versprochen hatte vermutlich gerade anderes suggerierte.
„Da brauchst du gar nicht deine Augen zu verdrehen, Sophie! Du machst dir anscheinend keine Vorstellungen, wie knapp es wirklich für dich war. Du hattest über vierzig Grad Fieber... ich hab Tage gebraucht, TAGE, Sophie, um es zu brechen... du hat dir eine monströse Grippe eingefangen, der Ritt durch den Schneesturm hat da auch nicht wirklich zu deiner Gesundheit beigetragen. Der Wolfsbiss in deinem Nacken übrigens auch nicht!
Und kaum bist du erwacht, trabst du bereits wieder herum und hast noch nicht mal winterfeste Kleidung an... dass du barfuß warst, davon will ich gar nicht erst anfangen!"

Okay, okay... der Ausflug war wohl tatsächlich ein klitzekleines bisschen verfrüht gewesen, aber mein Sturkopf, der aus irgendwelchen Gründen in Lukes Anwesenheit aus vollen Rohren feuerte, zwang mich in die Offensive.
„Mir geht es doch gut, das hast du gerade selbst gesagt! Also was soll der Aufriss?" maulte ich und klang dabei wie eine genervte Vierzehnjährige, die Handyverbot fürs unerlaubte Rausschleichen bekommen hatte.
Augenblicklich verfinsterte sich der Blick des Arztes.
Oh, oh... Eventuell sollte ich aufhören, den wütenden Bären mit einem Stock zu pieksen..
Mein Onkel Doktorchen war kurz davor, dass ihm vor lauter Gereiztheit eine Ader im Herzen platzte!
„Tut mir leid... ich... ich hab nicht nachgedacht... ich wollte doch nur sehen, wie es meinen Pferden geht...," ruderte ich rasch zurück. Ich mochte Luke und wollte schließlich nicht, dass er sich zu sehr über mich aufregte.
Der junge Mann fuhr sich durch die Haare und seufzte tief. Dann schnappte er sich den Rollhocker, schob ihn vor mich und pflanzte sich darauf.
„Sophie... ich sage das alles doch nicht, um dich in irgendeiner Form zu kontrollieren oder gar zu bevormunden. Ich hab mir die letzte Woche solche Sorgen um dich gemacht... habe mich bei deinen Nachtwachen mit Sebastian und Henry abgewechselt. Deine Freundin hatte zwar eine üble Bißwunde im Oberschenkel, welche die Arterie verletzt hatte, aber Cami war nach drei Tagen wieder außer Gefahr, du aber nicht."
Erleichtert atmete ich auf. Ich hatte mir zwar eingeredet, dass es ihr gut gehen musste, aber wenn ich wirklich ehrlich zu mir war, hatte ich schlicht und ergreifend Angst gehabt, dass sie gestorben war. Gestorben, weil ich sie nicht schnell genug zu Luke hatte bringen können... und vor lauter Angst hatte ich mich nicht getraut, nachzufragen.
Zu hören, dass sie über den Berg war, war so unendlich erleichternd für mich, dass die gesamte Anspannung sich mit einem Schlag entlud und ich heulte los!
Wie ein Seehundwelpe, dessen Mama von Jägern erschlagen worden war...
Tränen strömten über mein Gesicht und ich krümmte mich voller Scham zusammen, wollte nicht, dass diese zwei Männer zusahen, wie ich meine Selbstbeherrschung nun völlig verlor...
„Oh, Darling..." murmelte Seb hinter mir und wollte mich an sich ziehen, doch ich rutschte von der Liege und torkelte in eine Zimmerecke. Dort rutschte ich an der Wand runter auf den Boden, zog die Beine an und vergrub mein Gesicht an den Knien.
Und schluchzte mir die Seele aus dem Leib...

„Soph!"
Ich wusste nicht, wie lange ich heulend da gesessen hatte, als eine weibliche Stimme mich aus dem Gefühlsausbruch herausholte.
Dann umschlangen mich starke Arme und Cami presste sich an meinen zitternden Körper.
„Ach, Süße... warum weinst du denn?"
Meine Besti streichelte mir beruhigend über den Rücken. Mit verquollenen Augen starrte ich sie an... sie hatte einige Kilo an Gewicht eingebüßt - genau wie ich, dunkle Schatten waren unter den Augen, aber sie lebte!
„Ich dachte, ich hä...hätte dich verloren... ich hatte solche A...Angst, dass du in meinen Armen verblutet wärst... Es tut mir so leid, dass ich dich nicht sofort gesucht hab, als ich aufgewacht bin! Ich bin eine absolut schreckliche Freundin!"
Cami sah mich verständnislos an, dann schüttelte sie tadelnd den Kopf und schnalzte mit der Zunge.
„Bist du mit deiner Selbstgeißelung jetzt mal fertig? Hm? Gut! Dann hör mir genau zu: Deinetwegen lebe ich überhaupt noch! Hättest du keine Wundpresse angelegt, wäre ich verblutet, bevor wir in der Höhle angekommen wären! Und dann hast du die einzig richtige Entscheidung getroffen und mich hierher gebracht, weil du genau gewusst hast, das Luke die eine wahre Option im Umkreis von hunderten von Kilometern war. Und was macht es schon, dass du erst nach den Pferden sehen wolltest? Die Zossen haben uns beiden den Arsch gerettet! Natürlich musstest du nachschauen, ob es ihnen gut geht... du wusstest ja, dass ich bei dem Doktorchen in guten Händen war!"

„Ich wünschte wirklich, ihr würdet aufhören, mich Doktorchen zu nennen," murmelte Luke im Hintergrund, was Cam und mich zum Lächeln brachte. „Er ist echt niedlich! Und es macht solchen Spaß, ihn ein wenig zu ärgern.." flüsterte meine Besti mir ins Ohr.
Da konnte ich nur aus vollen Herzen zustimmen!
„Na, komm... Hoch mit dir, mein Schatz! Du brauchst was zwischen die Beißerchen und dann ein paar schneetaugliche Klamotten. Und dann, da bin ich mir sicher, wird dieser hübsche Landsmann von mir da vorne dich mit Sicherheit gerne zu deinen drei Jungs bringen! Or am i wrong?"
Der hübsche Amerikaner schüttelte ohne Zögern den Kopf und kam langsam näher.
„Wo bist du eigentlich untergebracht?" fragte ich neugierig, während Seb mich behutsam auf meine Füße zog.

Schweigen...

Oh, okay... das versprach gut zu werden!
Meine Besti war verlegen... und oho... bekamen ihre Wangen da etwa eine gesunde rote Farbe?
Na, hallo... dieser Tag schien sich gerade zu einen kaum je gesehenen Seltenheitsfaktor upzugraden!
Wo war mein Kalender?
Das verlangte nach roter Markierung!
„Lass hören... was ist da im Busch?" flötete ich, während Sebastian mich hochhob und wieder auf der Krankenliege platzierte.
Umständlich kam Cam ebenfalls wieder auf die Beine - sie benutzte dazu eine Krücke und keinen hübschen Amerikaner - und humpelte dann zu der zweiten Liege, auf der sie sich ächzend niederließ.
Sie öffnete gerade den Mund zu einer Erwiderung, als die Tür zum Krankenzimmer schwungvoll aufgerissen wurde und neben Linda auch ein Riese mit wilden langen Haaren und dichtem Bart in den Raum stürmte.
Die Röte auf Camis Gesicht vertiefte sich...

Interessant!

Ich begann wissend zu grinsen und das Grinsen vertiefte sich, als Jason auf meine Freundin zueilte und ihr Gesicht sacht mit seinen riesigen Pranken umschloss.
„Do not run on your injured leg! You call for me and i carry you! Do you get this now, Sweetheart?" knurrte er und ich gluckste fröhlich vor mich hin.
Scheinbar befanden wir beide uns nun in sehr, sehr ähnlichen Umständen...
Na, das konnte ja noch heiter werden!

Das VirusWo Geschichten leben. Entdecke jetzt