Ein schlechter Tag

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Der Bach führte in der Tat Fische - Bachforellen...
Und eine alte Reuse war der perfekte Ausgangspunkt für Cami, um zu angeln. Tatsächlich schien dies ein Glücksgriff zu sein, denn die Fische bissen an wie blöde.
Während sich meine Freundin also um unseren Protein-Haushalt kümmerte, erntete ich die dicken, reifen Äpfel und schnitt Haferähren ab.
Die Körner schüttelte ich auf der Decke aus und zerrieb sie dann zwischen zwei Steinen. Nachdem ich Wasser abgekocht und die Hülsen aus dem teils groben Schrot gepullt hatte, vermischte ich beides zu einem klebrigen Teig. Im der Glut erhitzte bereits seit gut zwei Stunden ein großer, flacher Stein auf dem ich nun die Brotfladen abbuk.
Frisch schmeckten diese zwar am besten, aber einen Großteil legte ich ein zweites Mal auf die behelfsmäßige Pfanne, um sie vollkommen durchzubacken und so länger haltbar zu machen.
Danach schnitt ich die Äpfel in feine Scheiben und breitete diese auf einer Lage kostbaren Backpapiers in der Sonne zum trocknen aus. Unser letzter Vorrat von dem Papier... das mussten wir auch bald wieder besorgen...
Ich musste Cami unbedingt einen Ausflug in eine Stadt ans Herz legen. Sobald wir ein geeignetes Winterquartier gefunden hatten, würde da leider kein Weg mehr dran vorbeiführen!

Ein lauter werdendes, aufgeregtes Bellen unterbrach meine Arbeit und stirnrunzelnd hob ich den Kopf. Cami kam zurück, doch mein erleichtertes Lächeln erlosch rasch als ich das Blut sah, dass ihren ganzen rechten Arm bedeckte.
„Scheiße! Cam! Was ist passiert? Komm, setz dich und lass mich sehen!"
Mein Freundin ließ sich mit zusammengebissenen Zähnen im Gras nieder und zog ihr klatschnasses Shirt aus. Überhaupt sah sie wie ein begossener Pudel aus... In ihrem Oberarm steckte ein verrosteter Nagel und zwar fast fingertief im Muskel.
Blut quoll hervor und ich fluchte saftig vor mich hin.
„Sorry, Cam... das wird jetzt echt weh tun," murmelte ich, griff mit einer Pinzette (ein must-have wenn man mit Holz in der Wildnis hantierte) und zog das Drecksteil mit einem Ruck heraus.
Meine Besti presste die Lippen zusammen, gab aber keinen Laut von sich, während ich ihr Shirt auf die Wunde presste.
Dann warf ich Holz auf die Glut - ich brachte jetzt Power, keine Sparflamme - und rannte los um noch mehr Wasser zu holen.
Als dieses endlich die richtige Temperatur hatte, warf ich getrocknete Kamille, zerriebenen Salbei und angedrückten Knoblauch in das simmernde Wasser und ließ das Gemisch ziehen.
Cami schwitzte stark und zitterte vor Kälte. Ich pulte sie rasch aus den nassen Klamotten und holte ein Handtuch aus einem der Rucksäcke.
„Was zum Teufel ist passiert?" fragte ich, während ich sie trockenlegte und ihr half in ihre Ersatzkleidung hineinzukommen.
„Bin ausgerutscht und irgendwie im Wasser an diesen Nagel hängen geblieben..." krächzte sie und ich reichte ihr eine Feldflasche, die sie gierig leerte.
Kopfschüttelnd schnupperte ich an dem Sud, tauchte dann ein sauberes Tuch hinein und begann die Wunde auszuwaschen.
„That smells horrible! Was ist das?" angeekelt verzog Cam das Gesicht.
„Das ist Knofel, ein natürliches Antibiotikum, Kamille und Sabei, was entzündungshemmend wirkt. Und jetzt halt still!"
Nachdem ich Cami im Anschluss verbunden und Schlafen geschickt hatte, nahm ich rasch die Fische aus und garte sie auf dem flachen Stein. Einen Räucherofen konnte ich auch morgen noch bauen!
Ich arbeitete bis weit in die Nacht hinein, weder Cami noch ich hatten Lust auf Essen gehabt und kuschelte mich dann neben sie in meinem Schlafsack, wie immer Akela an meiner Seite und Bran an Camis.

Ich war so erschöpft, dass ich weit in den Morgen hinein schlief und als ich mich schließlich doch in die Senkrechte bequemte, lag Cami immer noch in Morpheus Armen.
Ich beschloss, sie pennen zu lassen und putze mir die Zähne mit Salz - ekelhaft, ich weiß... aber Zahnhygiene war in der Wildnis gelinde gesagt schwierig.
Dann ging ich zum Bach um mich zu waschen und mir die böse Reuse einmal von nahem anzusehen. Das Teil hatte Camis Fall nicht gut verkraftet und die geborstenen, morschen Reste sahen im Licht der Sonne fast aus, als würde ein totes Tier seine zertrümmerten Gliedmaße von sich strecken. Ich erschauderte und strich mir die nassen blonden Haare zurück. Dann schöpfte ich Wasser in den Kessel und ging zum Lager. Cami war immer noch nicht erwacht und besorgt rüttelte ich leicht an ihrer unverletzten Schulter. Doch ich bekam sie nicht wach... als ich ihr über das Gesicht strich, glühte ihre trockene Haut vor Fieber.
„Nein, nein, nein... shit, bitte nicht!"
Doch alles Flehen war vergebens, als ich ihren Arm freilegte und den roten Streifen einer beginnenden Blutvergiftung sah...
Da half auch nichts mehr aus der Natur.. sie bedurfte dringend eines Breitband Antibiotikums wie Penicillin. Und das bekam ich nur in einer Stadt.
Fuck!
Ich flößte Cami behutsam Wasser ein und stellte die Feldflaschen so, dass sie diese problemlos erreichen konnte. Dann sah ich die beiden Hunde an und befahl: „Wacht!" Sofort nahmen sie Aufstellung an den Seiten meiner Freundin, während ich ihren Schlafsack öffnete, so dass sie keinen Hitzschlag bekommen würde.
Zitternd erhob ich mich und pfiff nach meinen Pferden.
„Cùm sùil!" schärfte ich Ardanwen und Fedaikyn ein, während ich mich auf Orion schwang. Ich sah nicht zurück... dann hätte ich meine Besti vor lauter Sorge, dass ich die verlieren könnte, nicht verlassen können... stattdessen gab ich Ri den Kopf frei und galoppierte nach Westen, wo ich in der Ferne eine Straße ausmachen konnte.

Um eine Stadt zu erreichen brauchte ich weitere drei Stunden und als ich endlich in Sichtweite war, bebte ich vor Angst... denn diese Stadt war bedauerlicherweise nicht verlassen! Aber für eine Alternative fehlte mir schlichtweg die Zeit... Cami fehlte die Zeit!
Ich rutschte über Ri's Flanke zu Boden und zog zitternd mein Shirt aus. Nicht zum ersten Mal war ich dankbar für mein kleines B-Körbchen, wickelte mir aber zusätzlich mein Unterhemd um meinen Busen, damit er flacher wurde und auf den ersten Blick nicht sofort als weiblich durchging. Zum Glück hatte ich auch nicht so lange Haare wie Cami, so dass mein Zopf im Nacken eher stummelig geriet. Dann bückte ich mich und rieb mir etwas Dreck ins Gesicht. Kein richtiger Bart natürlich, aber aus der Ferne konnte es mit etwas Glück als Fünf-Uhr Schatten durchgehen. Im Anschluss zog ich das Shirt wieder an und führte Orion vorsichtig durch die Außenbezirke der Stadt. Dort ließ ich mein Pferd zurück und huschte, die dunklen Seitengassen ausnutzend, tiefer ins Innere der Hölle hinein, dorthin, von wo die tiefen Stimmen von Männern bis zu mir hinüber schallten.

Komm schoooon... hier musste doch irgendwo eine gottverdammte Apotheke sein!!! Und Bingo! Da war das rote ‚A' ... zwar unbeleuchtet, aber dennoch unverkennbar. Ich schlüpfte in die Gasse hinter dem Gebäude auf der Suche nach einer Hintertür oder einem Fenster und anscheinend war mir das Glück heute hold, denn ich fand ein Fenster... ein geöffnetes Fenster!
Im Geiste machte ich einen Fist-bump in die Luft, schlich näher und lauschte.
Nichts rührte sich im Innern und ich entschied, dass ich es einfach riskieren musste.
So leise wie möglich kletterte ich durch die Öffnung und ließ mich auf der anderen Seite zu Boden gleiten.
Immer noch kein Laut zu hören! So weit, so gut...
Auf Zehenspitzen huschte ich zur Tür, öffnete diese vorsichtig und spähte auf den dunklen Gang. Ich atmete tief durch und ging rasch zum Lager.
‚Oh, wow... da werde ich ordentlich suchen müssen,' dachte ich plötzlich todmüde beim Anblick der zahllosen Schubladen und mir traten Tränen in die Augen.
Mühsam riss ich mich zusammen und begann alles zu durchsuchen. Nach einer ganzen Weile stieß ich auf meine Schilddrüsentabletten und stopfte alles was ich an Vorrat finden konnte in meinen Rucksack. Dann suchte ich weiter... ich brauchte nicht nur das verdammte Penicillin, sondern auch Spritzen um es zu verabreichen!
Und tatsächlich fand ich diese zuerst und auch die fiesen spitzen Dinger wanderten zur sicheren Aufbewahrung in die Tasche.
Als ich endlich, ENDLICH das Antibiotikum vor mir sah, heulte ich vor Erleichterung beinahe los.
Meine Hand zitterte, als ich die Ampulle ergriff und gerade wollte ich die Rettung für Cami verstauen, als eine tiefe Stimme hinter mir sagte:
„Und jetzt drehst du dich um und legst die Dinge, die du gestohlen hast auf diesen Tisch. Und dann, mein Junge, werden wir uns einmal eingehend unterhalten müssen!"

Fuck!

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Cùm sùil!             -  Gälisch: ‚Pass auf'

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