Drama, Baby... Drama!

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Der Morgen kam schneller als gedacht. Dank der Decken hatten wir die Nacht relativ warm verbracht, auch wenn meine beste Freundin und ich ganz genau wussten, dass im Winter eine schlichte Decke nicht ausreichen würde. Da wir nicht vollkommen herzlos waren, hatten wir das verräterische kleine Miststück ebenfalls eingewickelt, so dass sie heute Nacht nicht erfroren war. Doch damit erschöpfte sich unsere Freundlichkeit auch schon, denn wir sahen nicht ein, die Vorräte ebenfalls mit ihr zu teilen. Und so jammerte Anastasia, wie die verwöhnte kleine Göre, die sie nun mal war, dass sie ja so wahnsinnig hungrig sei.  
Cami verdrehte genervt die Augen und schubste die Prinzessin zu dem weißen Hengst hinüber.
Augenblicklich legte Fedaikyn die Ohren flach an und schnappte in ihre Richtung. Meine Besti drehte den Kopf in meine Richtung und maulte: „Ich finde es ja toll, wenn ein Kerl treu ist... Aber mal ganz ehrlich, deine Gäule sind einfach überempfindlich!"
Ich grinste nur.
Sturmpferde waren nun mal Sturmpferde.
Und wenn sie sich einmal auf einen Reiter geprägt hatten... nun ja...
Ein gällisches Kommando später ließ der Schimmel Cami und die Nervensäge schließlich auf seinen Rücken.
Ich schwang mich kichernd auf Orion und schnallste kurz mit der Zunge. Ardanwen kann an meine Seite und die beiden riesigen Hunde, zahnbewehrte Schatten gleich an die meiner Freundin.
Und so brachen wir in Richtung Stadt auf  - mal wieder - so langsam war die Route fest in meinem Kopf verankert.
Allerdings würde ich dieses Mal die Pferde nicht im Außenbezirk stehen lassen und mich in die Stadt schleichen müssen. Die Männer wussten, dass wir unterwegs zu ihnen waren, und würden uns unbehelligt bis zu dem Krankenhaus vordringen lassen.

Cami schwierig die ganze Zeit über.
Ich wusste, dass sie nervös war... Ein Teil von mir war's ja auch. So gerne ich dem Haufen Kerle vertrauen wollte, so sehr war ich auch ein gebranntes Kind. Doch ich zwang meine Unruhe mit aller Macht in die hintersten Winkel meines Gehirns...
Wir saßen auf den wohl schnellsten Pferden weltweit und wurden von zwei Tötungsmaschine mit momentan extrem schlechter Laune und einem gesunden Misstrauen gegenüber allem, was sich bewegt begleitet, die alles in Stücke reißen würden, was uns in bösartiger Absicht zu nah kam.
Was sollte da also schiefgehen?
Auch wenn wir beide tief in unseren Gedanken versunken waren, waren wir dennoch aufmerksam. Wir wussten, dass der Vater der kleinen Verräterin auf der Suche nach ihr war und mehr als nur wahrscheinlich diverse Suchtrupps ausgeschickt hatte.
Und doch, obwohl sie wahrscheinlich alle ihre Kündigungsschreiben bereits eingereicht hatten, arbeiteten unsere Schutzengel nach wie vor fleißig, und so gelangten wir ungesehen und vor allem unbehelligt am Ziel an.
Die Hufe der drei Pferde klapperten auf dem Asphalt und die Mittagssonne schien warm auf uns herab... nur der kühle Wind trug bereits ein Hauch von der kommenden Jahreszeit in sich.
Einige rote und gelbe Blätter flatterten in der Brise um uns herum zu Boden und erinnerten uns daran, dass unsere Zeit langsam aber sicher ablief.
Cam warf mir einen besorgten Blick zu - sie hatte vermutlich das gleiche gedacht wie ich.
Wenn wir nicht sehr schnell einen Unterschlupf für den Winter fanden, blieb uns vermutlich gar nichts anderes übrig, als hier in dieser Stadt Quartier zu beziehen.
Und ich konnte an ihrer Miene deutlich ablesen, dass sie dem absolut nicht wohlwollend gegenüber stand.
Eine Gestalt löste sich aus dem Schatten einer Häuserwand und trat langsam auf uns zu. Es war mein neuer Freund, der Schönling mit den süßen Grübchen... Christian... Ich sollte wirklich anfangen, ihn beim Namen zu nennen. Allerdings machte er seinem Spitznamen alle Ehre und die besagten Grübchen blitzten durch den Dreitagebart, als er seine schön geschwungenen, vollen Lippen zu einem breiten Lächeln verzog.

„Also bist du doch zurückgekommen," sagte er und zwinkerte mir zu. Dann wanderte sein Blick zu meiner Freundin, und sein Strahlen vertiefte sich.
„Du musst die berühmte Cami sein... Linda hat uns sehr, sehr viel über dich erzählt. Willkommen unserer schönen Stadt... Wir beide werden dann wohl gleich ein Date haben."
Die Augenbrauen meiner Bestie wanderten fast bis an ihren Haaransatz hinauf und sie presste ihre Lippen fest zusammen
„Whoa... stopp, warte... So hab ich das nicht gemeint. Ich meinte nur, dass wir beide gleich zusammen deinen neuen Bogen aussuchen werden. Ich bin quasi der Experte für Schusswaffen in dieser Gemeinschaft und ich habe dir schon ein paar zusammengestellt, die passen könnten."
Cam entspannte sich merklich, während die kleine Mistgöre hingegen anfing, sich unbehaglich zu bewegen.
Christian warf ihr einen kurzen abfälligen Blick zu und ging dann an unserer Seite in Richtung des Krankenhauses. Unter dem großen Pappelbaum davor lag bereits ein ansehnlicher Haufen von Gegenständen und ich konnte hören, wie Cami erleichtert einatmete.
Bran und Akela trotteten als Vor-, und Nachhut über die Straße und beschnüffelten fleißig jeden noch so kleinen Stein auf dem Weg.
Bran war direkt nach Christians Auftauchen auf den Schönling zugestromert und hatte auch ihn mit einer gründlichen Abschnupperung einem Background Check unterzogen, welchen der Mann mit Bravour bestanden hatte.
Der gold-graue Kangal Mischling war sogar so weit gegangen, Schönling mit einem gnädigen Schwanzwedler und Bellen ein Gütesiegel auszustellen.
Das war vermutlich der Hauptgrund, warum Cami nicht mehr so aussah, als wolle sie Fedaikyn herumreißen und den Hengst zur Höchstgeschwindigkeit anzutreiben.

Linda kam aus dem Gebäude und rannte fröhlich winkend in unsere Richtung. Begeistert kläffend stürmte Akela auf sie zu und nur Sekunden später lag die junge Frau unter dem schwarzen Riesenköter begraben auf dem Rücken und wurde gründlich abgeschleckt.
„Iiih... Akela... hör auf! Camiiiii... Hilfe!"
Die Worte kamen unterdrückt und abgehackt, was zum Teil ihrem Lachen geschuldet war und zum anderen Teil der Tatsache, dass Mann oder auch Frau mit 100 kg auf der Brust nur schwer atmen, geschweige denn reden konnte.
Meine Besti grinste und pfiff den Hund wieder an ihre Seite. Mit einem letzten traurigen Blick auf die sich wieder aufrappelnden Linda, trottete der schwarze Hund zurück zu dem Schimmelhengst und setzte sich in dessen Schatten nieder.
Luke kam nun ebenfalls nach draußen und nur Sekunden später folgte der Rest des Männergruppe.
Auf Camis Gesicht zeichnete sich ein wilder Mix aus Emotionen ab und empathisch wie Tiere nun mal waren, nahm Fedaikyn ihre furchtsamen Schwingungen auf... und reagierte...
Mit einem hellen Wiehern stieg der Hengst, die Ohren flach angelegt und dann keilte er aus.
„Mist!" merkte ich sehr treffend an und war mit einem Satz von Orion.
Mit festen Schritten ging ich auf den bockenden Schimmel zu und ignorierte dabei konsequent die flehentlichen Rufe von Sebastian, Henry und Can, die von ihrem Freunden festgehalten werden mussten, um nicht auf mich zu zueilen.
Ich konzentrierte mich auf Fedaikyn und sagte mit einem Kasernenhaften Befehlston:
Gu leòr! Gabh fois!"
Die riesigen Hufe des Pferdes verfehlten mich nur um Haaresbreite, als er wieder herunterkam und ich legte eine flache Hand über seine Nase.
„Ruhig, mein Großer! Es ist alles in Ordnung... niemand schadet uns... Alles gut..." gurrte ich, während Cami sich die wimmernde Anastasia unter den Arm klemmte, rasch vom Rücken des Hengstes glitt und sich mit ein paar Schritten aus der Reichweite der gefährlichen Hufe brachte.
Schließlich zeugte nur noch der wild schlagende Schweif von der Unruhe des Pferdes und ich zog meine Hand zurück. Fedaikyn knabberte zärtlich an meinen Haaren, dann trottete er zu seinen beiden Brüdern hinüber.
„Cam? Alles klar bei dir?" fragte ich und atmete erleichtert auf, als sie zustimmend nickte.
„Ja... alles gut. War ja meine eigene Schuld. Ich hätte mich besser unter Kontrolle halten sollen. Deine Gäule sind sensibler als meine Mumu nach einem Orgasmus!"
Ooookay.... Wo war das denn bitte schön hergekommen?
Meine Besti musste stärker verunsichert sein, als ich gedacht hatte. Wenn sie derart verbalen Durchfall von sich gab, konnte das nichts Gutes für ihren Gemütszustand bedeuten.

„Hilfe... oh, bitte helfen Sie mir doch!" schluchzte auf einmal Anastasia los und fiel auf die Knie, den einen Arm immer noch in einem festen Griff von Cam.
„Ich wurde entführt! Hilfe... ich hab solche Angst... die beiden haben mit furchtbaren Dingen gedroht, die sie mir antun wollen! Bitte, ich flehe Sie an... retten Sie mich!"
Riesige Krokodilstränen kullerten dem Schneewittchen-Verschnitt über die Wangen, als sie theatralisch ihre Hände in Richtung der etwa dreißig Männer streckte.
Oh, Gott... was hätte ich in diesem Moment nicht alles für eine Tüte Popcorn gegeben!
Dachte ich damals im Lager noch, dass Cami den Oskar für die beste Darstellung in der Kategorie Drama einkassiert hätte, so wurde ich jetzt eines besseren belehrt!
Cam warf mir einen beeindruckten Blick zu und ließ das Gör los, um ihr die Bühne zu geben, die sie mit diesem Auftritt auch wahrlich verdient hatte.
Und jetzt legte Anastasia so richtig los!
Sie krabbelte auf allen Vieren hektisch auf Jason zu und umklammerte schluchzend und brabbelnd seine Beine.
Doch Aquaman hatte nur Augen für meine Freundin und beachtete die fantastische Performance zu seinen Füßen nicht, was Anastasia schließlich dazu brachte sich Sebastian zuzuwenden. Doch mein hübscher Amerikaner ließ die Nervensäge links liegen und stapfte schnurstracks in meine Richtung.
„Sweetheart... are you ok?" flüsterte er und strich mir eine Locke aus dem Gesicht, bevor er sich niederbeugte und seine Lippen auf die meinen presste.

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Gu leòr! Gabh fois!   -  Genug! Beruhige dich!

Das VirusWo Geschichten leben. Entdecke jetzt