Im Dunkeln ist's gut munkeln

282 33 0
                                    

Wer hätte es gedacht, dass Container drei zu einer Zuflucht werden würde?
Aber genauso fühlte es sich an, als Anastasia die Tür hinter uns ins Schloss warf und so die anzüglichen Kommentare der nichtsnutzigen Vollidioten zum Verstummen brachte.
Cami heulte direkt wie ein mutterloser Seehundwelpe los und ich bugsierte sie zu ihrem Feldbett zurück.
‚Sie würde noch sehr viel trinken müssen, um diese vorgespielte Tränenflut weiterhin unterhalten zu können' dachte ich mit einem versteckten Grinsen und tätschelte ihr kameradschaftlich die Schulter.
„Hier... dann kann sie heute Nacht in Ruhe schlafen," sagte Mini-Schneewittchen und reichte mir das Röhrchen mit den drei Tabletten und eine Flasche Wasser.
„Ich danke dir!" flötete ich mit einem Lächeln, das Mary Poppins alle Ehre gemacht hätte - die Filmversion, nicht die Buchvariante! - und schüttete eine Tablette auf meine Hand, schraubte den Verschluss der Flasche ab und reichte beides meiner Besti.
„D..Danke..." schniefte diese preisverdächtig und legte sich das Medikament auf die Zunge, sie nahm einen großen Schluck und richtete sich dann auf einmal mit einem Ruck auf, starrte mit so riesigen Augen in die Ecke neben der Tür, dass Anastasia sich rasch umdrehte.
Cami brauchte nur einen Herzschlag, um die Tablette auszuspucken und unter ihrem Kissen verschwinden zu lassen.

„Was ist los, Schatz? Was hast du gesehen?" flüsterte ich laut genug, dass unsere Spionin es gerade so mitbekam. Sie drehte sich wieder zu uns um und hob fragend die Schultern.
„Keine Ahnung, was sie hatte... da ist nichts." Verwirrt kam die Kleine auf uns zu und Cami stotterte: „I..Ich dachte... d..dass da eine M...Maus..."
Ach, komm schon...
Die Kurze war doch viel zu abgebrüht, um dir das abzukau...
„IIIH, EINE MAUS? Wie ekelig!" kreischte Anastasia los und sprang auf das nächstbeste Feldbett.
Oooookay, anscheinend doch nicht!
Respekt, vielleicht schafften wir es ja trotz Beobachtung einen Fluchtplan zusammen zuschustern.
„Also, ich seh nichts. Beruhigen wir uns alle wieder und gehen jetzt schlafen. Ich für meinen Teil bin jedenfalls totmüde und möchte einfach nur in Ruhe ein paar Stunden pennen..." sagte ich, den gelassenen Tonfall meiner Mutter imitierend und drückte meine theatralisch bibbernde Freundin in das Kissen zurück. Dann deckte ich sie zu und sah zu Anastasia hinüber.
„Du solltest jetzt auch schlafen, junge Dame..." diesmal schlug ich einen verspielteren Ton an, unsere Wärterin sollte ja nicht zu misstrauisch werden!
Anastasia nickte schüchtern und legte sich in das Bett gegenüber von unseren beiden.
„Ich bin auch ganz schön müde, gute Nacht!" flüsterte sie mit einem überzeugend aussehenden Gähnen und kuschelte sich ein.
Ich rückte mein Feldbett etwas näher an Camis und setzte um auf die Kante. Aus den Augenwinkeln konnte ich sehen, wie die scheinbar ach so müde Kleine mich aus halbgeschlossenen Augen scharf beobachtete.

Oh, Darling... dieses Spiel konnten wir auch zu dritt spielen!

„Ich hab mir solche Sorgen um dich gemacht, Camelia! Ich bin fast ohne Pause den Spuren nachgelaufen... es war wirklich gruselig, vor allem nachts. Ständig irgendein Geräusch hinter mir.." Mein Flüstern war laut genug, um Anastasia's gespitzte Ohren zu erreichen und ich legte eine bühnenreife Showeinlage hin, indem ich mein Gesicht in den Händen verbarg - hauptsächlich, um das breite Grinsen zu verstecken.
Cami setzte sich auf und rieb sich die Augen.
„Tut mir so leid, Sophie... ich wusste nicht, wie ernst es war... und dann bin ich vom Pferd gekippt und hier wieder wach geworden... aber warum bist du denn gelaufen? Ich meine, selbst im Schritt zu reiten ist schneller, als selber loszumarschieren.. und Schritt kannst du alleine reiten."
Diesmal war die Trauer nicht gespielt, als ich ihr vom Tod der Stuten erzählte.
„Wahrscheinlich wurden sie von Bären angefallen.." murmelte ich und Cam drückte mir mitfühlend die Hand.
Dann räusperte sie sich und murmelte: „Scheiße! Sie waren so nützlich. Aber vielleicht brauchen wir sie ja jetzt nicht mehr. Ich meine, klar... wir haben nicht viel Gutes über die Lager gehört, aber bislang haben die uns doch echt anständig behandelt. Ich meine, ich wurde medizinisch versorgt, wir konnten uns waschen, Zähneputzen und haben Essen bekommen... Uuuh, erinnerst du dich an die Zeit im Bunker? Das einzige, was hier noch fehlt ist ein gutes Kartenspiel... wie Skip Bo.. ich gab dich immer fertig gemacht. That was fun.."
„Jaha... weil du geschummelt hast... aber du hast schon recht. Selbst im Bunker war es nicht so angenehm wie hier. Da hatten wir nur uns beide und jetzt? Die kleine süße Maus da drüben hat vielleicht noch ein paar Geschichten für uns zur Unterhaltung. Hmm... wir könnten ihr von dem Italien- Urlaub erzählen, den wir zu deinem Dienstantritt gemacht haben..."
Meine Besti hob eine Augenbraue und ihre Lippen formten das Wort ‚Dienstantritt' und ich ahnte schon, dass ich die Wortwahl später bereuen würde.
Cam war wie ein Elefant. Sie vergaß einfach nichts... also, so gar nichts!
Als sie drei Jahre alt geworden war, hatte ihr ältester Bruder Jim sie mit dem Gesicht in den Geburtstagskuchen gedrückt. Cami hatte sich fünfzehn Jahre später, kurz vor Ausbruch der weltweiten Pandemie revanchiert und es ihm mit gleicher Münze und seiner Hochzeitstorte heimgezahlt. Zum Glück war die Braut eingeweiht und Jim ein gutmütiger Kerl gewesen, ansonsten wären ihre letzten Erinnerungen an ihre Familie ein Streit kolossalen Ausmaßes gewesen...

„Du hast recht, ich bin richtig schockverliebt in Anastasia... sie erinnert mich so sehr an meine kleine Schwester. Die war auch so ein süßes Engelchen..."
Der Blick Camis war in der zunehmenden Dunkelheit kaum noch auszumachen, doch ich konnte die Rasiermesser darin noch erahnen.
Oh, oh...
Das versprach nichts gutes für die Zukunft der Hobby-Spionin.
„Nun... Hauptsache ich habe dich wieder gefunden! Wirkt eigentlich deine Tablette schon? Du musst dich noch mehr ausruhen! Mit einer Blutvergiftung ist nicht zu spaßen. Wir sollten jetzt schlafen, morgen ist auch noch ein Tag. Vielleicht erfahren wir ja auch, wie es in diesen Lagern so durchstrukturiert ist. Und wie Anastasia hier gelandet ist. Meinst du, ihre Eltern leben noch? Gott, ich hoffe doch... Ansonsten nehmen wir sie einfach in unsere kleine Familie auf. Niemand sollte alleine sein... Schlaf gut, Camelia.."
Meine Besti gähnte so lautstark, dass ich kurz besorgt war, sie würde sich den Kiefer ausrenken. Dann ließ sie sich rückwärts wieder ins Kissen sinken und lallte: „Nacht, Soph... laf gut...!"
Ich folgte ihrem Beispiel und rollte mich zur Seite. So sahen wir uns an und horchten mit allmählich betont tiefer und ruhiger werdenden Atemzügen auf den Schneewittchen Verschnitt.
Nach vielleicht einer halben Stunde hörten wir eine leise Stimme: „Sophiiiieee? Bist du wach? Ich hatte einen Alptraum..."
Cami verdrehte die Augen und wir beide machten augenblicklich einen auf Dornröschen.
Zaghafte Schritte tapsten auf mein Bett zu und ich spürte, wie das Mädchen sich erst über mich, dann über meine Besti beugte und flüsterte: „Da sind fremde Leute im Container! Ich hab Angst!!"
Klar, doch... als wären wir so grenzdebil, darauf reinzufallen...
Also sägten wir weiter fleißig Holz und die Möchtegern Intrigantin huschte zur Tür hin und verschwand nach draußen.
Wir warteten noch einige weitere Minuten - was ziemlich schlau von uns war, denn die Tür öffnete sich ruckhaft und merkwürdigerweise lautlos (!) und dann verschwand Anastasia nach einigen Herzschlägen in der Dunkelheit des Lagers, um endlich Daddy Bericht über die zusammengeklaubten (und völlig erfundenen) Informationen über die beiden neuen Frauen zu erstatten.
Anscheinend hatten wir den Test bestanden, denn sie kehrte nicht nochmal zurück.
„Dieses kleine Miststück!" zischte ich leise und Cam nickte verbissen.
„Oh, ja... aber schon schlau durchdacht... niemand verdächtigt ein so niedliches, kleines und unschuldiges Ding!"
„Wie hast du das eigentlich herausgefunden?" fragte ich leise und meine Freundin lachte verächtlich auf.
„Ich war entgegen der Annahme dieses verwichsten Arztes nicht immer bewusstlos. Und einmal war der Kommandant im Krankenzelt und hat sich über Container drei ausgelassen und dass er seine Tochter wieder als Lockvogel und Spionin einsetzten wollte."
Ich schnaubte.. wirklich perfide und klug ausgedacht vom Kommandaten!
„Hast du gemerkt, dass die Tür gerade null Lärm gemacht hat? Kein Rumgequietsche, nichts! Als wäre die Tür vorher irgendwie anders geöffnet worden... vielleicht mit einer Belastung an der falschen Stelle..."
Cami nickte langsam und antwortete: „Ist gut möglich... das sollten wir uns morgen oder übermorgen mal etwas genauer ansehen. Aber jetzt lass uns schlafen. Wenn wir hier türmen wollen, sollten wir vorher soviel Kraft tanken wie nur möglich!"
Recht hatte die Frau...
Und so sanken wir in Morpheus Arme, schließlich war morgen auch noch ein Tag...

Das VirusWo Geschichten leben. Entdecke jetzt