Alles muss man selber machen!

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Luke hatte mich in einem Zimmer neben der Krankenstation untergebracht. Es war recht klein, aber zugegebenermaßen war das Bett unglaublich! Ich muss sehr zu meiner Schande gestehen, dass ich die Anwesenheit der Herren der Schöpfung völlig vergessen hatte, als ich begann mich mit einen überglücklichen Jauchzen in der kuschelweichen Federdecke herumzuwälzen.
Aus den Augenwinkeln konnte ich sehen, wie die ehemaligen Schauspieler ein seltsam versonnenes Lächeln im Gesicht hatten, während Luke sich von der Türschwelle auf mich zu bewegte und sich neben mich aufs Bett setzte.
„Du bist echt niedlich, Soph! Ein kleines verrücktes Mädchen!"
Schnaubend tauchte ich aus dem Federbett auf und versuchte durch die vollkommen verwuschelten und mir ins Gesicht gefallenen Haare den Arzt strafend anzufunkeln. Ich war kein Mädchen, sondern eine erwachsene Frau!!!
Aufgrund des breiten, frechen Grinsens hatte ich allerdings irgendwie den Eindruck, dass mir das nicht sonderlich gut gelang... also dass mit dem strafend Anfunkeln...
Er schüttelte mit einem wehmütigen Ausdruck in den Augen den Kopf und fuhr mir durch das Vogelnest auf meinem Kopf.
„Du erinnerst mich total an meine kleine Schwester... sie hieß Linda und war der reinste Sonnenschein, in Kombination mit dem größten Sturkopf, den man sich vorstellen kann. Linn war auch immer so vernarrt in ihre Kuscheldecke..."
Ich wurde traurig, als ich den Kummer in seiner Stimme hörte... über die letzten sechs Jahre hatte ich meine eigene Trauer weitestgehend verdrängt, hatte mich auf das Überleben konzentriert, auf unser Überleben.. und jetzt war der letzte Teil meiner Familie gefangen, verletzt oder vielleicht gar nicht mehr am Leben...
Uuuuund... jetzt begann ich auch noch zu hyperventilieren... ganz toll, Sophie! Mitten im Feindesland zeigst du dich verletzlich!
Gott, war ich vielleicht eine dämliche Heulsuse!
„Ach, Sophie... komm her, kleine Maus!"
Jepp, ganz recht gedacht!
Da lag ich also heulend in den Armen meines glücklicherweise sehr schwulen Arztes und gab mich meiner Zukunftsangst hin.

Anscheinend hatte ich mich in den Schlaf geweint... denn als ich meiner Umgebung wieder bewusst wurde, war es draußen stockfinster.
Irgendetwas - ein fremder, beziehungsweise hier nicht hingehörender Laut hatte mich geweckt. Langsam richtete ich mich auf und sah mich im Licht des Mondes um, der freundlicherweise lichtspendend in den Raum schien. Ich gähnte herzhaft und fühlte mich so ausgeruht, wie schon seit... äh... keine Ahnung mehr wie lang! Das, was ich jetzt mehr als nur dringend benötigte war eine Dusche!!!
Na, hatte dieses Zimmerchen mit dem paradiesischen Bett vielleicht ein Bad? Ich brauchte nämlich nicht nur dringend eine Dusche... eine Toilette wäre auch mal zwingend nötig!! Also, drauflos gesucht und... Halleluja!! Gefunden!!! Und auch noch beides in Kombination...
Mit einem erleichterten Stöhnen war ich schneller auf dem Klo, als ich meinen eigenen Namen denken konnte und schon sehr bald war ich einen gefühlten Liter leichter!
Rasch wusch ich mir die Hände und schälte mich dann aus der dreckigen Kleidung. Als ich mich im Spiegel betrachtete, versuchte ich den sich rasch bildenden Kloß im Hals runterzuschlucken. Ich war mager geworden... selbst wenn ich das Hämatom außer acht ließ, sah ich aus wie Morticia Addams, nur in klein und in blond... hohlwangig und mit tiefen Schatten unter den Augen - und das trotz des fantastischen Schlafes. Das Mondlicht mochte seinen Teil zu meiner grauenvollen Erscheinung beitragen, aber die deutlich sichtbaren Rippen waren leider keine Einbildung.
Ich seufzte leise und schüttelte das deprimierende Bild ab. Dann drehte ich an dem Warmwasserhahn und wartete hoffnungsvoll, ob...
... oooooh.... Es wurde wirklich warm!
Ich konnte eine heiße Dusche nehmen!!! Tränen des Glücks schossen mir in die Augen und ich tauchte unter den Strahl köstlich warmen Wassers.
Und... OH... MEIN... GOTT... da war Shampoo!!! Heulend vor Freude schrubbte ich mir den Dreck aus den Haaren und von der Haut. Draußen hatten Cami und ich in der Regel Seifenkraut benutzt, manchmal auch Birkenblätter, die natürliches Saponine beinhalten. Ab und an hatte ich mit Asche und Fett es tatsächlich geschafft, echte Seife herzustellen, die zwar recht scharf auf der Haut war, aber trotzdem ihre Arbeit erledigt hatte. Aber egal wie gut wir uns beholfen hatten... mit einem Shampoo konnte all das natürlich leider nicht mithalten!
Und das warme Wasser?
Hmmm... wir hatten vor dem Virus gar nicht gewusst, wie gut es uns gegangen war! All diese alltäglichen Dinge, die wir für selbstverständlich genommen hatte...
Ja... wir hatten echt nicht gewusst, wie gut wir es einst hatten...
Schweren Herzens trat ich schließlich aus der Dusche und trocknete mich ab.
Auf einem Stuhl in der Ecke des Zimmers lagen Jogginghose, ein T-Shirt, frische Socken und ein paar neuer Turnschuhe.
Okay, wow... Ähm, Luxus... ich konnte nur hoffen, dass die Geschenke von Luke waren und nicht von einem der Kerle, die mich wie ein Büffet betrachtet hatten.

Da... da war es wieder!
Das Geräusch, welches mich geweckt hatte! Ich band mir rasch noch die Schuhe zu und huschte dann zum Fenster. Als ich es weit öffnete, bemerkte ich mehrere Dinge gleichzeitig. Erstens... es ging mit großen Schritten auf den Herbst zu - die Nächte wurden kälter, zweitens... ich befand mich im dritten Stock eines einzelstehenden Gebäudes und drittens... ein Teil der Such/Jagdtruppe war zurückgekommen und ...
Da... das Geräusch...
... Nein, kein Geräusch... ein Heulen...

Ich kannte dieses Heulen...

Ich hatte es sechs Jahre lang jeden Tag gehört!

AKELA!!!!

Das reichte jetzt!
Bevor ich hier Hilfe für Cami fand, würde ich alt und grau werden... alles muss man selbst machen, wenn es auch gemacht werden sollte! Ich komme, Akela! Heul einfach weiter, damit ich dich finden kann!
Als ich die Tür öffnete, spähte ich vorsichtig um die Ecken... noch war alles still, also nutzte ich die Gunst der Stunde und tapste wie ein Ein...äh... nun ja, Ausbrecher durch die Gänge auf der Suche nach einer Treppe.
„Aaargh... wenn ich eine Treppe wäre, wo zum elendigen Donnerdrummel würde ich mich vor unschuldigen Frauen verstecken?" maulte ich, nachdem ich in der vierten Sackgasse gelandet und gegen den sechsten Feuerlöscher gerannt war.
„Etwas weiter den Gang runter und dann auf der linken Seite, letzte Tür!"
Mit einem erschrockenen Quietschen machte ich einen Satz nach hinten und landete an einer breiten Brust. Ein tiefes, warmes Lachen ließ das besagte Körperteil hinter mir beben und zwei starke Arme umschlangen mich, während Lippen sanft über meinen Nacken strichen.
„Hey, there little one! Going somewhere?"
Ich drehte mich in den Armen Sebastians, um mich herauszuwinden und dabei streiften meine Lippen die seinen..
Seb war nur einen Sekundenbruchteil untätig, doch bevor ich mich zurückziehen konnte, glitt eine Hand in meinen Nacken, während die andere, um meine Hüfte gelegt, mich näher an ihn heranzog.
Er küsste mich!!
MICH!
Und - das war zwar nicht mein erster Kuss... mit meinem letzten Freund, der zugleich auch mein erster gewesen war, hatte ich es immerhin bis zum Petting geschafft - aber Seb küsste mich so tief und leidenschaftlich, seine Zunge stellte Dinge mit meiner an, von denen ich nicht mal gewusst hatte, dass sie möglich waren...
... was wollte ich nochmal gerade machen?
Hier stehen und Rumknutschen war doch genau, was ich hatte tun wollen, oder?

Das VirusWo Geschichten leben. Entdecke jetzt