Neue Herausforderungen

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(Triggerwarnung)

Nahezu im Einklang donnerten die drei Hengste Seite an Seite über die Ebene und ließen das Lager rasend schnell weit hinter sich. Die beiden riesigen Hunde folgten wie lautlose Schatten, immer auf der Hut... stets bereit, uns vor jeder Gefahr zu beschützen.
Dank der außergewöhnlichen Ausdauer und Geschwindigkeit dauerte es nicht lang und wir waren in den Weiten Deutschlands verschwunden. Ich glaube, spätestens jetzt hatte der verehrte Herr Daddy Kommandant geschnallt, dass wir ihm sein kostbares Prinzesschen nicht wieder zurückgeben würden.
Ups...
Orion, Ardanwen und Fedaikyn konnten in etwa noch eine Stunde im vollen Lauf durchhalten, bevor wir das Tempo würden drosseln müssen... Das würde Zeit genug sein, vielmehr.... die Entfernung würde damit weit genug sein, damit wir keinen dieser überheblichen Wichser aus dem Re-Populationslager jemals wiedersehen würden.
Ich spürte, wie Linda sich fester an mich schmiegte, es konnte allerdings nicht die Furcht sein, vom Pferd zu fallen. Den Galopp meiner drei Jungs konnte man getrost als Schaukelstuhl Galopp bezeichnen. Er war weich, fließend und raumgreifend, und es fühlte sich beinah so an, als würde man fliegen.
Ich vermutete eher, dass es die Kälte war...
Wir befanden uns im Herbst und der Winter war nicht mehr weit. Dementsprechend waren Tage und Nächte bereits temperiert.
Ich lenkte Orion auf eine Straße - für eine Weile konnte diese Pferderasse auf Asphalt rennen, ohne dass die Gelenke Schaden nahmen.
Das hatte den unbestrittenen Vorteil, dass wir keinerlei Spuren hinterließen, zumal wir ein paar scharfe Richtungswechsel performt hatten, um eventuelle hartnäckige Verfolger endgültig in die Irre zu führen.
Die Sonne stand fast im Zenit, als ich dem roten Leithengst schließlich signalisierte, stehen zu bleiben. Wir waren vor einiger Zeit zunächst zu Trab übergegangen, die letzten zwei Stunden hatten wir im Schritt zurückgelegt und jetzt war es Zeit für eine dringend benötigte Pause.
Und einen Kriegsrat...
Es gab einige wichtige Fragen zu klären!
Wo sollten wir hin?
Wie sollten wir an neue Ausrüstung kommen?
Woher zum Geier würden wir einen Schwangerschaftsratgeber bekommen und das vielleicht wichtigste: was machten wir mit der lautstark vor sich hin motzenden Anastasia?

Wir glitten von den Rücken der Tiere, die sofort in Richtung Bach stromerten um den brennenden Durst zu löschen, während Cami den Prinzessinnenverschnitt grob am Oberarm gepackt, hinter sich her zerrte.
„Wenn mein Papa euch in die Finger kriegt, werdet ihr bitte bereuen, was ihr mir antut!" heulte die Kleine frustriert und ich hatte die Faxen dicke.
Ich packte sie am Kragen und hob sie so ein Stück vom Boden hoch.
„Jetzt lass dir mal eine Sache gesagt sein, du arrogantes, verräterisches Drecksstück...
Verabschiede dich lieber von dem Gedanken, dass du deinen geliebten Daddy jemals wieder sehen wirst. Ich bin mir noch nicht ganz sicher, was wir mit dir anstellen werden, aber sei dir dessen gewiss... Auf die ein oder andere Weise wirst du deine eigene Medizin zu schlucken bekommen! Und du tätest jetzt sehr gut daran, uns nicht weiter auf die Palme zu bringen. Denn ich garantiere dir, meine beste Freundin ist kurz davor, dir die Hunde auf den Hals zu hetzen. Und was die mit Menschen machen, die wir nicht mögen, das hast du doch mit Sicherheit in deinem wundervollen Lager sehen können. Also setz dich dahin, halt die Fresse und freunde dich schon mal mit deinem sehr ungewissen und unschönen Schicksal an..."
Linda warf Anastasia einen kalten Blick zu und sagte: „Ich weiß, ich sollte das nicht wollen... Speziell als Frau, aber ich wünschte irgendwie, wir könnten diese kleine Verräterin einfach in ein anderes Lager stopfen, wo sie dann einmal am eigenen Leib erfahren darf, was Männer dort mit unwilligen Frauen machen....
Gooooott... Ich fasse es nicht, was diese Menschen aus mir gemacht haben. Bevor sie mich vor ein paar Jahren gefangen haben, hätte ich niemals auch nur entferntesten daran gedacht, einer anderen Frau oder gar einem Kind Schaden zu zufügen. Es liegt vielleicht mit an meiner Familie und Erziehung... Mein Papa war Arzt, mein Bruder war Arzt und ich wollte früher immer Hebamme werden. Aber jetzt gerade? Das Leben ist echt so beschissen!"
Tränen liefen der jungen Frau über die Wange und sie fuhr sich mit beiden Händen durchs Gesicht. Verbockt verschränkte Anastasia ihre Arme vor der Brust und drehte sich demonstrativ von uns weg.
Aus Cams Augen schossen regelrechte Dolche in die Richtung der Ex-Spionin und bedeutete dann Bran sich demonstrativ als Wache vor sie zu setzen. Ich konnte sehen, wie das Mädchen blass wurde, als der riesige Köter sich zähnefletschend vor ihr niederließ.
Camelia grinste zufrieden und wandte sich dann wieder Linda und mir zu.
Auf ihr Geheiß entfernten wir uns ein wenig, um selbst am Bach zu trinken, dann hockte meine beste Freundin sich hin und rieb mit den Händen über die Oberarme.
„Also, wenn ich so darüber nachdenke, finde ich die Idee, den ungewollten Ballast da drüben vor einem anderen Lager abzukippen fantastisch, awesome! Quasi als kleines Geschenk... ich würde sogar ne rote Schleife drumbinden! Die Alternative wäre eine tiefe Felsspalte oder die Bärenhorde... Fakt ist: ich weigere mich ehrlich gesagt, sie mit unserer harten Arbeit über den Winter zu bringen. Von mir aus kann sie erfrieren oder verhungern, das ist mir völlig gleich."
Ich nickte nachdenklich....
Ja, es hörte sich wahrscheinlich grausam an und in der Welt davor, wäre es das mit Sicherheit auch gewesen.
Aber in der jetzigen Welt, in dieser Zeit?
Sie hatte das schlimmste Verbrechen, das Frau sich vorstellen konnte an ihren eigenen Geschlechtsgenossinnen verübt.
... Sie hatte uns verraten... verraten und verkauft für das eigenes Wohlbefinden...
Und damit hatte sie auch das Anrecht auf unsere Sympathie und unseren Schutz verwirkt.
Ich wollte sie definitiv auch nicht länger um mich haben, als unbedingt nötig.
Aber wenn wir sie einfach hier jetzt zurücklassen würden, bestand nach wie vor die Möglichkeit, dass sie irgendwie zu ihren geliebten Daddy zurückfinden konnte.
Und ja, hier wurde ich vermutlich ein wenig nachtragend, denn das wollte ich auf gar keinen Fall!
Müde ließ ich mich auf einen der Felsen nieder, die gerade durch die Sonne ein wenig aufgewärmt wurden.
„Ich finde, wir sollten das Problem wie wir mit der kleinen Verräterin verfahren, ein wenig vertagen. Es gibt wichtigeres. Und zwar: wir müssen in eine Stadt für neue Ausrüstung. Wir brauchen Schlafsäcke, Kleidung...  du, Cami brauchst dringend einen neuen Bogen... und wir müssen in eine Bibliothek."
Entgeistert sahen mich die beiden an, ganz so als hätte ich ihnen gerade verklickert, dass hier just ein UFO mit grünen Aliens gelandet war.
„Was zum Geier willst du in einer Bibliothek?"
fragte Cam und sah mich verwirrt an.
Ich schüttelte den Kopf und antwortete: „Zunächst einmal, danke... Das klingt ja jetzt gar nicht so, als wäre ich ein Gegner von Büchern. Wir haben bald eine sehr, sehr schwangere Frau mit uns auf Reisen. Da sollten wir beide vielleicht wissen, wie wir ein Kind zur Welt bringen. Ich meine, klar jeder hat das Basiswissen, wie dass man heißes Wasser, saubere Tücher, eine sterilisierte Schere und so weiter benötigt, aber was machen wir, wenn der kleine Hosenscheisser beschließt, dass er mit dem Arsch vorankommen möchte? Ich weiß das nicht. Du weißt es nicht. Also würde ich vorschlagen, dass wir eine Bibliothek aufsuchen und uns ein paar Ratgeber zu diesem Thema besorgen. Denn ich möchte nicht, dass Linda an diesem aufgezwungen Kind stirbt, nachdem wir sie gerade erst heile aus dem Lager rausbekommen haben. Am besten wär's natürlich wenn wir sie zu einem Arzt bringen könnten...  einmal checken, ob der kleine Racker in ihrem Bauch gesund ist."
Die schwangere Frau setzte sich zu mir und stützte das Kinn in die Hände.
„Ganz ehrlich, Sophie... Wenn ich die Wahl hätte, würde ich dieses Kind loswerden. Es gar nicht erst bekommen! Ich habe absolut null Gefühle dafür. Warte, nein! Das ist nicht so ganz richtig. Was ich meinte war, ich habe keine mütterlichen Gefühle für das Ding in mir... Ich hasse es abgrundtief. Keine Frau sollte jemals gezwungen werden, die Frucht einer Vergewaltigung auszutragen. Wenn ich könnte, würde ich mir in den Leib reingreifen und es einfach rausreißen. Und ich will es mit Sicherheit nicht behalten, sollte es wieder aller Umständen gesund zur Welt kommen."
Cami setzt sich jetzt auch auf den Hosenboden und umschlang sich selbst mit ihren Armen. „Das ist echt eine abgefuckte Scheiße!" seufzte sie und begann mit einem kleinen Kieselstein zu spielen.
Ich legte einen Arm um die weinende Linda und zog sie tröstend an mich.
Dann auf einmal dämmerte mir etwas... hatte sie nicht vorhin gesagt, dass ihr Bruder Arzt gewesen war?
Und zeitgleich stieg eine andere Erinnerung in den versteckten Windungen meines Geistes auf... die Erinnerung an einen jungen Mann, Mitte dreißig, ein freundliches Lächeln, eine angenehme Stimme... ich erinnerte mich, wie der niedliche schwule Arzt Luke mir von seiner Schwester erzählt hatte... seiner jüngeren Schwester... seiner Schwester, die Linda geheißen hatte.
Ach, du Heiliger Bimbam!
Das konnte doch jetzt nicht sein, oder etwa doch?

Das VirusWo Geschichten leben. Entdecke jetzt