Im Dunkel der Nacht

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Ein Knurren weckte uns mitten in der Nacht... der Mond hatte sich hinter dicke Wolkenbänke zurückgezogen und so konnten wir kaum die Hand vor Augen sehen.
„Cami?" flüsterte ich besorgt, denn neben mir kauerte Akela geduckt am Boden, das Nackenfell gesträubt und die Lefzen entblößten fingerlange Reißzähne. Der Hund war im Angriffsmodus...
An der Seite meiner Freundin spiegelte Bran die Haltung seines Bruders und Cami kroch lautlos auf mich zu. Sie brachte ihren Mund an mein Ohr und wisperte: „Bär!"
Scheiße!
Wenn wir Pech hatten, war es nur ein ausgewachsener Grizzlybär und wenn wir so richtig Pech hatten, war es mehr als zu einer.
So wie dieses verschissene Virus die menschliche Bevölkerung dezimiert hatte, hatte es bedauerlicherweise auch einen Einfluss auf die Tierwelt gehabt. Das Gevieche war intelligent geworden und Raubtiere, die einst Einzelgänger gewesen waren, hatten begonnen sich zu Horden zusammenzuschließen. Sie hatten verstanden, dass sie in Gruppen stärker waren und, was noch viel schlimmer war... sie hatten begriffen, dass der Mensch nicht länger der Apex Predator an der Spitze der Nahrungsquelle war.
Cami schnappte sich ihren Jagdbogen, legte einen Pfeil ein und spannte die Sehne. Bei unserem ersten Ausflug in eine Stadt hatten wir ein Geschäft für Jagd und Angelbedarf geplündert und neben zwei Kompositbogen und einigen Dutzend Carbonpfeilen mit scharfer Spitze auch diverse Messer, Netze und Angelschnüre mitgehen lassen.
Ruhig zielte meine Freundin jetzt auf die Türöffnung. Wir hatten einige Dornbüsche als Eingangsblockade hernehmen müssen, da das Türblatt im Zuge der Vernachlässigung über die letzten Jahre vollkommen kompostiert war.
Ok, wie zum Teufel konnte sie überhaupt da draußen was erkennen?! Einst war ich Brillenträgerin gewesen... die Brille hatte ich natürlich längst in dem ganzen Chaos, welches dich nun unser Leben schimpfte, verloren
Nun war ich ohne meine Sehhilfe im Harry Potter Style jetzt nicht ganz so hilflos wie ein Maulwurf im Sonnenlicht, aber bei Nacht wurde es zugegebenermaßen schwierig.
Akela stieß ein dröhnendes Bellen aus. Scharf und als eindeutige Warnung gedacht...
‚Komm näher und halte eine Familienzusammenkunft mit deinen Vorfahren im Jenseits ab,' sagte es aus und das Brummen draußen erstarb für einige Herzschläge... dann schaltete sich Bran mit der gleichen Drohung ein. Die riesigen Hunde hatten ihre Kauerhaltung aufgegeben und waren näher an die Türöffnung herangeschlichen. Die Ruten steif nach hinten gerichtet, waren die Tiere jetzt bereit, alles und jedem unter die Grasnarbe zu schicken...
Das Brummen wurde zu einem mehrstimmigen Röhren und jetzt waren wir so richtig am Arsch.
„Horde!" zischte ich und zog aus meinem Rucksack ein langes, beidseitig gezahntes zweischneidiges Messer. Cami nickte verbissen und ließ den ersten sorgsam gezielten Pfeil fliegen. Der starke Kompositbogen schickte das Geschoss mit einer Geschwindigkeit von gut 250 km/h auf die Reise - direkt in die Kehle eines der Drecksviecher hinein und Cami legte ohne Zögern mit einem weiteren Pfeil nach, wohl wissend, dass ihr Schuss nur die halbe Durchschlagskraft einer Pistolenkugel hatte.

Mit einem riesigen Satz segelten Bran und Akela über die Dornbüsche hinweg und stürzten sich ohne Zögern auf die Bärenhorde.
„FUCK!" schrie Cami und ließ den Bogen sinken.
„Jetzt kann ich das mit dem Zielen vergessen! Oh, bloody hell!"
Jepp, sie war echt durch den Wind. Meine Besti sprach fließend Deutsch, war sie aber nervös, ängstlich oder wütend fluchte sie wie ein Kesselflicker auf amerikanisch los.
„COME BACK, YOU STUPID MOTHERFUCKERS!" brüllte Cami und wollte den Hunden hinterher, doch ich packte sie kurzerhand an dem langen Katniss-Zopf und zog sie zurück.
„Bist du jetzt völlig bescheuert? Da rausgehen? Mitten in eine verdammte BÄRENHORDE?! Die machen schneller Hackfleisch aus dir als du deinen Namen denken kannst!"
Camelia schlug wütend meine Hand zur Seite und fauchte: „Würdest du das auch sagen, wenn es hier um Orion, Fedaikyn und Ardanwen gehen würde, hm? Wenn es statt meiner Hunde deine Pferde wären? Also... let go!"
Sie riss sich los und watete einfach durch die Dornen nach draußen.
„Fuck!" schnauzte ich in die Dunkelheit und tastete mich hinter ihr her.
Dumm... ja, ich weiß!
Aber sie war alles, was mir geblieben war und wenn nur die geringste Chance bestand zu helfen, dann musste ich genau das tun...
Das Gebüsch musste ich nicht mehr zur Seite schieben, von unserer „Tür" war nicht mehr viel übrig geblieben, nachdem Cami einfach hindurch gewalzt war und als ich mich endlich bis auf die winzige marode Veranda vorgetastet hatte, blickte ich ... nun ja, in tiefe Dunkelheit!
Halloho... ich hab doch gesagt, dass ich nachtblind bin.
Aber was ich hörte, war äußerst beängstigend! Das schmerzerfüllte Brüllen der Bären, speziell derer, an dessen Körperteilen just zwei rund Hundert Kilogramm schwere Kampfmachinen mit unfassbar schlechter Laune herumkauten, Camis Gefluche und das dumpfe „Schack", mit dem die Pfeile ihr Ziel fanden.
Das perfekte Rezept für Alpträume!!

Endlich riss die Wolkendecke auf und dank des vorsichtig hervorschauenden Mondes konnte ich nun tatsächlich Umriss erkennen.
Jepp, wir waren so was von am Arsch!
Siebzehn Bären konnte ich ausmachen, wieviele sich in der Dunkelheit noch herumtrieben, keinen Schimmer... fünf reglose Kadaver lagen bereits am Boden und gerade ging ein weiterer nieder, einen Pfeil im Auge steckend.
Und da schlich sich doch glatt eins dieser elendigen Mistdinger von hinten an Cami heran. Bevor ich nachdenken konnte, warf ich mich mit blanker Klinge auf den Rücken des Bären. Der war verständlicherweise nicht so wirklich begeistert davon, dass ich mich an seiner Kehle festkrallte und mit dem Messer auf ihn einstach.
Nach einem watenden Kampf und diversen Messerstiche in den Hals, bäumte sich Tier ein letztes Mal auf und ließ sich hintenüberfallen.. glücklicherweise schaffte ich den Absprung bevor der mehrere hundert Kilogramm schwere Fellberg mich unter sich begraben konnte. Dennoch prallte ich mit dem Bauch auf etwas sehr, sehr Hartes und rang wimmernd nach Luft.
Mist... das tat vielleicht weh!
Wäre der Bär nicht bereits tot, könnte ich mich jetzt dem Schöpfer empfehlen, denn an Bewegung wollte ich gerade echt nicht denken!
„Soph? Das sind zuviele! Die schaffen wir nicht!!"
Ja... no shit, Sherlock!
Mühsam stemmte ich mich in die Höhe und presste einen Arm gegen den Bauch, allmählich kam wieder Luft in meine Lungen, was auch gut so war, denn um Verstärkung zu rufen, musste ich pfeifen können!
Und das tat ich dann auch... ein schriller, weithin hallender Pfiff gellte durch den Wald und wurde kurz darauf von einem donnernden Wiehern beantwortet.
Nur eine knappte Minute später brachen meine drei Jungs zwischen den Bäumen hervor. Wirklich gut zu erkennen war nur der Silberhengst Fedaikyn, das weiße Fell ein Leuchtfeuer in der Nacht. Der Rappe Ardanwen war nicht auszumachen, er verschmolz vollständig mit dem Dunkel des Waldes, aber ich wusste, dass er da war.. und dann war da Orion, der Leithengst aus Feuer und Gold... der größte und stärkste der drei... und der mit der miesesten Laune.
Diese Pferde hatten sich auf mich geprägt, als sie noch Fohlen waren und sie würden sterben um mein Leben zu retten. Diese Bären hatten es gewagt, mir zu schaden und damit ihr Todesurteil unterschrieben.
Es gab nichts gefährlicheres als einen wilden Hengst, der seine Herde verteidigte.
Und, oh...Boy... meine drei richteten ein wahres Massaker unter den Bären an, ihre gewaltigen Hufe zertrümmerten Schädel und Knochen und zudem nutzen die Pferde ihre enorme Größe und Gewicht aus, um die Raubtiere einfach zu Boden zu takeln und dann zu zerstampfen.
Und endlich... ENDLICH hatte die recht geschrumpfte Horde genug und zog sich zurück.. ließ zerwühlte, blutige Erde und dreizehn tote Kameraden zurück.

Das VirusWo Geschichten leben. Entdecke jetzt