Das Gespräch

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Der Kommandant hatte anscheinend ein Anti-Aggressionstraining absolviert, denn anstatt mir eine zu tachern, atmete der Mann tief durch und strich sich die Uniformjacke glatt. Er tauschte einen kurzen Blick mit Anastasia, dann deutete er zum Tisch.
„Setz dich doch bitte. Wir werden noch auf deine Freundin warten."
Ich hob eine Augenbraue und verdrehte leicht die Augen.
Das würde vielleicht ein Akt werden... dieser Kerl hatte eine Art an sich, die Cami direkt auf die Palme bringen würde. Und wenn meine beste Freundin erst mal ausrastete, war es das dann mit unserer Tarnung und sie ging danach mit absoluter Sicherheit nicht mehr als ein hilfloses, armes, kleines Mädchen durch.
Himmel, die Art und Weise des Kommandanten trieb mein Aggressionslevel ja schon in ungeahnte Höhen!
Vor allem, wenn man die kleine Möchtegern Spionin dabei ansah... die dieses fiese, kleine Schmunzeln im Mundwinkel hatte.
Ich hatte so das dumpfe Gefühl, das was der Kommandant uns jetzt verklickern wollte, würde uns unter Garantie nicht gefallen!
Und das wiederum würde bedeuten, dass wir unsere Fluchtpläne weit nach vorne verlegen mussten. Ohne vorbereitet zu sein und - zugegeben - ohne überhaupt einen Plan zu haben...
Vermutlich würden wir uns mit brachialer Gewalt hier raus kämpfen müssen.
Eventuell wäre eine Geisel nicht verkehrt...
Ich dachte da an den kleinen Schneewittchen Verschnitt.
Ich fuhr mir mit der Haarbürste demonstrativ langsam durch die Haare und machte mir schließlich einen Zopf. Dann verstaute ich alles sorgfältig wieder im Kulturbeutelchen und schlenderte zur Essecke hinüber. Ich schnappte mir den Stuhl, der am weitesten, von dem Duo entfernt war und pfletzte mich gemütlich darauf nieder.
Die beiden so ungleichen Augenpaare musterten mich kühl und berechnend und ich verschränkte die Arme.
Auch wenn ich ein geduldiger Mensch war, konnte ich Falschheit und Lügen auf den Tod nicht ausstehen. Was mich zugegebenermaßen in eine Zwickmühle brachte. Seit unserer Ankunft hier, taten wir im Prinzip nichts anderes, als das Blaue vom Himmel runterzulügen.
Was jedoch an meiner tiefen Abneigung dem Vater/Tochter Gespann gegenüber keinen Abbruch tat...
Ich hatte keine Ahnung, wie viel Zeit vergangen war, doch dann öffnete sich die Tür wieder kreischend und meine Besti schlüpfte zurück im Container drei. Sie erstarrte kurz, als sie den Kommandanten mir gegenüber sitzen sah, dann huschte ihr Blick zu mir. Ich zwinkerte ihr verschwörerisch zu und streckte meine Hand nach ihr aus.
„Ist alles in Ordnung, Camelia?" fragte ich mit besorgten Ton.
Cam nickte scheinbar eingeschüchtert und zerknüllte das obere Drittel ihres Kulturbeutels zwischen den Händen, während sie sich neben mir niederließ.

„Sehr schön, es freut mich, dass du nun auch endlich da bist. Wie ihr wahrscheinlich schon mitgekriegt habt, ist Container drei sozusagen unsere Auffangstelle. Wir haben zwar noch einen weiteren, in dem Neuankömmlinge untergebracht werden, doch die sind zumeist in einem etwas besseren Zustand, als ihr beide es wart... mit anderen Worten, sobald es euch etwas besser geht, werdet ihr ebenfalls im Container zwei umziehen. Dort leben zur Zeit acht Frauen. Alle in eurem Alter, ich bin sicher, ihr werdet euch gut miteinander verstehen. Mein Name ist Lorenz Heiden und ich bin der Kommandant dieses Re-Populationslagers.
Anastasia ist meine Tochter. Sie passt auf unsere Neuankömmlinge auf, hilft ihnen, sich zu integrieren und zeigt den Frauen alles, was sie hier kennen und wissen müssen... Wenn ihr also jemals eine Anfrage oder eine Bitte habt, wendet euch vertrauensvoll an meine Kleine. Ich gebe es offen zu, sie hat in meinem Auftrag euch ein wenig ausspioniert. Wir wollten wissen, ob ihr alleine unterwegs wart, was eure Geschichte ist und es ist immer einfacher, die Wahrheit zu erfahren, wenn diejenigen sich sicher und unbeobachtet fühlen."
Getreu unserer unwissender Rolle warfen wir der kleinen Verräterin einen anklagenden Blick zu.
„Du hast uns verraten?" flüsterte Cam schockiert, schlang die Arme um ihren Oberkörper und begann sich vor und zurück zu wiegen.
„Camelia hat ein massives Vertrauensproblem. Und die Tatsache, dass Sie uns gegen unseren Willen haben ausspionieren lassen, das hilft nicht unbedingt bei Ihrer eigenen Glaubwürdigkeit, Sir," sagte ich mit scharfer Stimme.
Der Mann lächelte kühl... ein Lächeln, dass seine Augen nicht erreichte.
„Nun, zum Glück bin ich nicht auf euer Wohlwollen angewiesen. Ich erkläre euch nur, wie es hier zu laufen hat. Ihr werdet euch daran halten, ansonsten werdet ihr bestraft. So einfach ist das. Nach Absprache mit Doktor Lector habe ich beschlossen, euch noch zwei weitere Tage in Container drei zu belassen. Danach werdet ihr umgesiedelt, ob ihr wollt oder nicht. Jedem Container wurde eine bestimmte Gruppe männlicher Genträger zugewiesen, die euch an euren fruchtbaren Tagen beschlafen und somit besamen werden.
Unser Arzt wird euren Zyklus genau überwachen und an den zwei Tagen des Eisprungs werdet ihr dann dementsprechend Geschlechtsverkehr haben, mit dem gezielten Zweck, schwanger zu werden."

Oh... so langsam, aber sicher war ich auf hundertachtzig.
Der wollte mich doch wohl verarschen oder? An der angespannten und starren Haltung meiner Freundin merkte ich, dass auch Cami kurz davor stand, diesem aufgeblasenen Fatzke mit einem Stuhl den Mittelscheitel nachzuziehen.
„Ach, ist das so?" flötete ich. „Und was ist, wenn wir ... äh, wie haben Sie das ausgedrückt?... nicht besamt werden wollen? Befürworten Sie dann Vergewaltigung?"
Der Kommandant fixierte mich mit tief grauen Augen, dahinter ein Wille aus purem Stahl.
„Meine Liebe, mach dir das Leben doch nicht unnötig schwer. Ihr werdet hier nicht rauskommen... Frauen sind viel zu selten geworden und die Menschheit stirbt aus. Das ist euch doch sicherlich klar, oder? Zum Wohle aller müssen wir leider auf das Wohl des Einzelnen verzichten."
Camelia rührte kein Muskel... ich sah, wie ihre Finger sich so tief in den Stuhl gegraben hatten, dass die Nägel bereits absplitterten...
Ich kniff die Augen zusammen und fixierte das Monster in der schicken Uniform vor mir. Dann wanderte mein Blick betont langsam zu Anastasia hinüber.
Ich legte den Kopf leicht schief und ein berechnendes Grinsen umspielte meine Lippen. Dann sagte ich:
„Interessante Einstellung, Sir. Ich hab da nur ne kurze Frage... Gilt dasselbe auch für Ihre eigene Tochter? Wie alt ist sie? Dreizehn, vierzehn? Rein biologisch betrachtet, kann sie Kinder kriegen, sobald sie ihre Periode bekommen hat...Werden Sie ihr Schätzchen dann auch in Container zwei stecken und sie von ihren männlichen Genträgern ‚besamen' lassen? Ob sie will, oder nicht? Oder ist es genau so wie ich vermute und Sie haben eine wirklich widerliche Doppelmoral."

Was nun kam, war eine klassische Ablenkung vom Thema. Wutschnaubend donnerte der Kommandant beide Fäuste auf dem Tisch und schrie - hochrot vor Wut im Gesicht:
„Wie ich dieses Lager führe und wer in welchen Container kommt und vor allem wann, das ist allein meine Entscheidung. Maße es dir ja niemals wieder an, mit mir über meine Tochter zu reden!"
Anscheinend hatte ich eine aktive Todessehnsucht, denn ich drehte mich zu Cami um und sagte:
„Siehst du? Wie ich gesagt habe... ekelhafte Doppelmoral!"
Und damit meine Besti nicht ihren eigenen Senf dazu gab und den Mann vor uns in Grund und Boden brüllte, machte sie das nächstbeste in ihrer kleinen, schauspielerischen Einlage und fing an, zu flennen.
Und zwar aus vollen Rohren!!
Sie vergrub ihr Gesicht in dem kleinen Säckchen, dass sie bis dato in ihren Fingern zu einer Wurst zusammengedreht hatte und heulte so laut los, dass ich kurz davor war, mir die Ohren zu zuhalten.
Allerdings musste ich echt zugeben, dass es sich um eine schauspielerische Glanzleistung handelte, denn ihr gesamter Körper ging mit. Heftiges Zittern aller Extremitäten, voll aktivierte Wasserwerke und eine Tonlage, die ihre beiden riesigen Kampfmaschinen vermutlich noch in zehn Kilometern Entfernung würden hören können.
Jaaaa... Und das war genau das Problem! Wenn ihre Hunde das tatsächlich hören konnten, dann würde nichts und niemand das Blutbad verhindern können, dass die beiden riesigen Bestien anrichten würden, um ihre Herrin zu beschützen.
Und obwohl ich mir das Schauspiel gerne angesehen hätte, musste ich genau das leider verhindern.
Wir waren noch nicht soweit...
Also tätschelte ich ihr den Rücken, legte dann die Arme um die heftig bebenden Schultern und zog meine Freundin an mich. Leise murmelte ich irgendwelchen Unsinn in ihr Ohr und zischte in den Unfug hin und wieder einer Warnung hinein.
Also fing Cami sich recht schnell wieder und rieb die nassen Wangen an ihrem T-Shirt trocken.
„T.tut.. mmmir leid," stotterte sie sehr überzeugend und ich beschloss noch ein paar Info aus dem jetzt schwer genervt aus der Uniform blickenden Penisträger herauszukitzeln.
„Also gut, lassen wir Ihre Doppelmoral jetzt einmal außen vor. Was passiert, wenn wir tatsächlich das ‚unglaubliche Glück' haben und schwanger werden?"
Anastasia spiegelte gerade die Miene ihres Vaters, inklusive der arroganten Körperhaltung und sagte, so richtig herrlich von oben herab:
„Na, was schon... Dann kommt ihr raus aus Container zwei. Da müsst ihr ja nur rein, wenn ihr geschwängert werden könnt! Wenn ihr schon schwanger seid, siedelt ihr über ins Zeltdorf. Dort gibt es einige Hebammen und Krankenpfleger, die eure Schwangerschaft rund um die Uhr begleiten und bewachen. Das Zeltdorf der Schwangeren auf der anderen Seite von den Waschbaracken... Die dürft ihr natürlich zu jeder Zeit aufsuchen. Wir wissen ja schließlich alle, wie ein Baby auf die Blase drücken kann, nicht wahr? Wenn ihr dann geworfen habt, kommt ihr zwei Monate später wieder zurück in die Container. Diesmal wird es dann die Nummer vier sein... Der Container, der jungen, ehemaligen Mütter. Eure Kinder werden natürlich nicht von euch großgezogen. Ihr seid lediglich dazu da, um sie zu bekommen... Die Aufzucht werden die Frauen übernehmen, die ihre fruchtbaren Jahre bereits hinter sich haben!"

Oh, wir würden definitiv dieses kleine Miststück als Geisel mitnehmen!
Und dann würden wir ihr die richtige Welt einmal zeigen, in der Big Daddy keine schützende Hand mehr über sie würde halten können!

Das VirusWo Geschichten leben. Entdecke jetzt