Kapitel 29: Ich wäre ein Monster

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Der Raum, in dem ich mich befand, wirkte durch die Einrichtung ziemlich düster. Okay, was hieß Einrichtung. Im Raum standen nur zwei schwarze Ledersessel. Jedoch waren die gelben Vorhänge zugezogen, sodass nur schummriges Licht durchs Fenster ein schien. Ich saß in einem dieser Sessel und hatte die Beine an meinen Körper gezogen und umarmte sie.

Mir gegenüber, in dem zweiten Sessel, saß ein Afroamerikaner. Er hatte eine Glatze und ein freundliches Gesicht. Er hörte mir aufmerksam zu und machte sich hin und wieder Notizen. Dabei unterbrach er mich lediglich um mir eine Frage zu stellen. Dieser Psychologe war mir erheblich sympathischer als der andere, den ich in New Orleans hatte.

Diese Frau hatte immer so desinteressiert ausgesehen und hatte immer mehr gesprochen als ich. Wenn ich dann einmal sprechen konnte, wurde ich andauernd unterbrochen und das auf eine sehr unfreundliche Art und Weise. Deswegen ging ich nie gerne zu Psychologen und hatte ein falsches Bild von ihnen. Aber Dad meinte, dieser wäre der Beste und ich glaubte ihm. Dr. Marlok, so hieß er, beugte sich mit seinem Oberkörper nach vorne und sah mich an.

"Darf ich dir noch einige Fragen stellen?" Ich nickte.

Er lehnte sich wieder zurück und legte seinen rechten Fuß auf seinen linken Oberschenkel.

"Du bist noch nicht lange hier in Seattle. Hast du dich denn schon eingelebt?"

"Ja, ich habe ja schon als kleines Kind hier gewohnt und ich habe mich auch schon gefreut hier zu wohnen um mehr Zeit mit meinem Vater zu verbringen"

Er nickte und notierte sich wieder etwas.

"Was hältst du von der Arbeit deines Vaters?"

"Er betreut Jugendliche, die schon mal mit der Polizei zu tun hatten. Ich finde das toll, dass er versucht ihnen zu helfen und ich mag die Jungs auch"

"Du magst sie trotz ihrer Vergangenheit?"

"Ich kenne ihre Vergangenheit nicht"

"Denkst du nicht, dass sie sie dir nicht erzählen, weil sie Angst haben, dass du dich von ihnen abwendest?" Ich zuckte mit den Schultern.

"Schon möglich. Aber ich würde es nicht tun. Dass sie ihre Vergangenheit bereuen, zeigt sich doch daran, dass sie zu meinem Vater gehen. Immerhin zwingt sie keiner dazu. Reue ist, finde ich, ein wichtiger Charakterzug, den sie alle besitzen"

"Es wird jetzt vielleicht etwas unangenehm, aber ich möchte gerne mit dir über die letzte Nacht sprechen" Ich nickte.

"Was hast du gefühlt?"

"Ich habe mich zurückversetzt gefühlt an die Nacht vor 3 Jahren. Ich hatte Angst, Todesangst. Ich habe nicht gedacht, dass ich da lebend rauskomme. Ich dachte, dass ich diesmal nicht so viel Glück haben werde, wie damals. Ich dachte, dass ich sterben müsste"

Meine Stimme wurde zum Ende hin leiser bis sie ganz abbrach. Ich drückte meine Beine fester an meinen Körper und hielt die Tränen zurück.

"Ich habe hier den Polizeibericht vorliegen. Hier steht, dass du, als Detective Moore eintraf, eine Waffe in der Hand hattest und sie auf Hampton gerichtet hielst" Ich nickte.

"Was ist, bevor Detective Moore eigetroffen ist, passiert?" Ich schloss die Augen.

"Ich habe seinen Komplizen mit einem Taser überwältigt. Mit Hampton hatte ich gekämpft bis wir aus diesem Lieferwagen gefallen sind. Ich hatte die Chance genutzt und die Flucht ergriffen. Ich kam nicht weit, denn er hatte eine Waffe auf mich gerichtet" Ich atmete einmal tief aus.

"Und weiter?"

"Ich blieb stehen. Ich hatte den Taser noch in der Hand. Er war nicht ganz aufgeladen, ich konnte ihn also nicht ganz außer Gefecht setzen. Trotzdem versuchte ich es. Als er zu Boden ging, ließ er seine Waffe fallen. Durch den Fall löse sich ein Schuss, er traf mich jedoch nicht"

Ich sah ihm zu wie er sich immer weitere Notizen machte. Er sah auf und nickte mir auffordernd zu.

"Gleichzeitig stürzten wir uns auf die Waffe. Ich war schneller und zielte damit auf ihn. Er meinte, dass ich ihn töten solle. Aber ich wäre dann nicht besser als er. Ich wäre ein Monster. Dann kam Detective Moore"

"Was ist dann passiert?"

"Er hatte mich davon überzeugt, Hampton nicht zu erschießen. Ich ließ die Waffe sinken. Detective Moore erschoss den Komplizen, der sich von hinten an mich angeschlichen hatte und mich erstechen wollte und nahm Hampton schließlich fest"

Er schrieb und schrieb und schrieb.

"Wie hatte Hampton auf seine Verhaftung reagiert?"

"Er hatte die ganze Zeit gebrüllt, dass ich ein Miststück wäre und dass es noch nicht vorbei wäre. Er würde wiederkommen"

"Ally, ich möchte dir noch eine letzte Frage stellen. Es ist wichtig, dass du sie ehrlich beantwortest damit ich ein psychologisches Profil von dir erstellen kann" Ich nickte.

"Wenn Detective Moore erst später eingetroffen wäre oder er dich nicht hätte überzeugen können, hättest du dann abgedrückt?"

Meine Antwort kam ohne, dass ich lange nachdenken musste.

"Ich hätte ihm die Waffe in den Mund gedrückt und geschossen"

Scars of the pastWo Geschichten leben. Entdecke jetzt