Kapitel 22: Ich hatte schon bessere Tage

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Als ich in meinem Zimmer ankam, steuerte ich sofort meinen Schreibtisch an und durchwühlte alle Schubladen, bis ich gefunden hatte, was ich suchte. Die Karte von Detective Moore. Ich tippte die, auf der Karte angegebene, Nummer in mein Handy ein und drückte die grüne Taste.

"Detective Thomas Moore", meldete er sich.

"Hallo, hier ist Ally" 

"Ally, ist etwas passiert?" Er klang besorgt.

"Nein, es ist nichts passiert. Ich habe nur eine Frage"

"Schieß los"

"Ich habe morgen ein Date und ich weiß jetzt nicht ob ich es wegen den Umständen absagen oder doch hingehen soll"

Ich hörte ihn lachen.

"Hat dir der Junge den Kopf verdreht?" Jetzt musste ich auch lachen.

"Nein, es ist mehr ein 'Ich-gehe-mit-dir-aus-um-dir-nicht-wieder-vor-der-ganzen-Schule-einen-Korb-zu-geben'-Date"

"Ich glaube, das geht in Ordnung. Hampton steht unter Beobachtung und kann zu niemandem Kontakt aufnehmen. Es war wohl doch ein bisschen viel für dich"

"Ich hatte schon bessere Tage", meinte ich und starrte die gegenüberliegende Wand an.

"Das kann ich mir vorstellen. Also wenn etwas ist, melde dich bei mir"

"Mach' ich. Tschüss"

"Tschüss" Somit legte ich auf. Ich hörte das Davonbrausen von Autos. Die Jungs waren wohl abgehauen.

Nach einer Weile holte mich ein Klopfen aus meiner Starre. Ich setzte mich auf.

"Herein" Die Tür öffnete sich und Jonah trat ein. Als er näher kam, bemerkte ich, dass er den Karton trug. Ich hatte ihn wohl im Wohnzimmer vergessen.

"Schieb' ihn unter mein Bett" Er lachte kurz auf.

"Unter dein Bett? Kein Wunder, dass du nicht schlafen kannst" Er schob ihn trotzdem unter das Bett bevor er sich zu mir aufs Bett legte. Warum tat er das? Vor allem wie tat er das? Er verwirrte mich ständig, brachte meine Gefühle durcheinander und ich wusste nicht, wie ich mich in seiner Gegenwart benehmen sollte. Deswegen sah ich ihn, oder besser gesagt seine Umrisse, in der Dunkelheit sah man nicht besonders viel, einfach nur an.

"Es tut mir leid, wie ich anfangs mit dir umgegangen bin. Den andern Jungs tut es auch leid, nur würden sie sich eher die Zunge raus schneiden als das zuzugeben"

"Es ist nicht eure Schuld. Ich hab' es euch schließlich nie erzählt"

"Warum eigentlich nicht?" Ich seufzte.

"Ich leide unter posttraumatischer Belastungsstörung. Das hatte sich erste einige Wochen danach manifestiert. Ich werde von Alpträumen heimgesucht und von Flashbacks. Ich bilde mir ein, dass wenn ich nicht darüber rede, dass ich es irgendwann verdrängen kann. Ich dachte nicht, dass es mich hier wieder einholen würde. Ich dachte, dass ich mit dem Umzug diese Geschichte abgeschlossen hätte. Leider ist es nicht so, denn dieses Monster und ich leben in der gleichen Stadt"

"Ohne Scheiß?"

"Er ist im Hochsicherheitsgefängnis von Seattle" Ich vernahm ein Nicken.

"Hast du zugesehen als man ihn verhört hat?" Ich wandte ihm meinen Kopf zu.

"Heute oder vor 3 Jahren?"

"Beides"

"Vor 3 Jahren nicht, da lag ich noch im Krankenhaus. Aber ich habe ihn im Gericht gesehen als er verurteilt wurde. Heute habe ich ihn nicht nur gesehen sondern war beim Verhör dabei"

"Wieso?"

"Ich wollte Antworten und er meinte, dass er nur sprechen würde wenn ich anwesend wäre"

"Hat er auch mit dir gesprochen?"

"Ja, er meinte, dass ich gut rieche, einen wohlgeformten Hals und runde, pralle Brüste hätte. Das hatte er auch als er mich vergewaltigte gesagt und auch in der Gerichtsverhandlung"

Gegen Ende brach meine Stimme.

"Er fragte mich auch ob meine Hände weh tun würden" Schon wieder traten Tränen hervor, so langsam müsste ich doch keine mehr haben. Ein Arm legte sich sanft um meine Schulter und drückte mich an eine muskulöse Brust. Meine Hände krallten sich an sein T-Shirt, während ich mich an seiner Brust ausheulte. Seine warmen Hände fuhren sanft meinen Rücken rauf und runter. Dieses komische Gefühl in meinem Magen trat wieder auf.

Er rutschte etwas nach hinten, sodass er nun komplett auf meinem Bett lag und mein Kopf auf seiner Brust ruhte. Durch ein dumpfes Poltern zuckte ich leicht zusammen, beruhigte mich aber schnell wieder. Er hatte sich bloß die Schuhe ausgezogen. In meinem Zimmer war es so leise, dass man eine Stecknadel hätte hören können. Niemand sagte auch nur ein Wort. Ich hatte auch wieder aufgehört zu weinen, mein Kopf lag trotzdem noch auf seiner Brust.Sein Herzklopfen beruhigte mich und auch sein gleichmäßiges Atmen.

Einzig und allein seine Hand, die nach wie vor meinen Rücken rauf und runter strich, waren der Beweis dafür, dass er noch wach war.

"Sag das mit den Brüsten nicht Seth, sonst macht er sich nur wieder über mich lustig", unterbrach ich die Stille.

"Seth ist vielleicht ein Arschloch aber er weiß wann die Grenzen erreicht sind. Ich sag's ihm trotzdem nicht"

"Danke"

"Kein Problem. Ich hab' noch eine Frage"

Ich drehte mich so um, dass ich in sein Gesicht sehen konnte. Auffordernd blickte ich ihn an.

"Hattest du eigentlich schon mal mit jemandem geschlafen, bevor das geschehen ist"

"Nein, ich war 13 Jahre alt. Ich war schon mit Josh zusammen aber wir sind nie so weit gegangen"

"Das heißt dieser Mistkerl hat dir deine Jungfräulichkeit genommen?" Ich nickte.

"Wahrscheinlich hat es ihm deswegen so viel Spaß gemacht. Ich weiß nicht wie das bei euch ist, aber es gibt viele Mädchen, die heben sich ihre Jungfräulichkeit auf, für jemand besonderes"

"Und Josh war für dich jemand besonders?" Ich wusste nicht, dass man mit Jonah solch tiefsinnige Gespräche führen konnte.

"Ich dachte, er wäre der Richtige. Aber es hat schließlich auch seinen Grund, dass er mein Ex-Freund ist"

"Und der wäre?"

"Er ist mit der Schulbitch ins Bett gestiegen" Ich seufzte. Es tat jedoch nicht mehr weh. Als ich in Frankreich war, hatte ich genügend Zeit um über alles nach zu denken.

"Du hast ja ein aufregendes Leben"

"Glaub mir, wenn ein anderes Mädchen mit mir tauschen möchte, würde ich sofort zustimmen"

Seine Brust vibrierte leicht.

"Wie viele Jahre hat der Kerl bekommen?"

"Lebenslänglich. Immerhin wurde er wegen mehrfachen Mord, versuchten Mord, Entführung, Vergewaltigung und Vergewaltigung einer Minderjährigen verklagt"

Dazu sagte Jonah nichts mehr. Er fuhr jedoch immer noch sanft meinen Rücken entlang. Uns umhüllte ein sanftes Schweigen, wodurch ich auch die Augen schloss und wegdämmerte.

"Soll ich das Licht ausschalten?"

"Nein"




Scars of the pastWo Geschichten leben. Entdecke jetzt