Kapitel 21: Vor 3 Jahren...

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"Du weißt, dass du es den Jungs sagen musst. Sie können dich beschützen aber nur wenn sie wissen wovor", durchbrach Dad die Stille während der Fahrt.

" Ich weiß", seufzte ich resigniert als das Auto vor der Halle zum Stehen kam. Ich stieg aus und folgte meinem Dad. Als wir in die Halle traten war alles dunkel und leer. Verdutzt sahen wir uns an.

"Wahrscheinlich sind sie nach Hause gefahren. Ich erledige noch schnell etwas. Du kannst ja schon hoch gehen" Somit verschwand er in seinem Büro. Langsam ging ich die Treppen zur Wohnung hoch. Als ich das Licht anmachte, erschrak ich. Vor mir standen die Jungs mit verschränkten Armen vor der Brust und sahen mich ernst an.

"Verdammt! Was macht ihr denn hier? Ihr habt mich gerade echt erschreckt" Ich schloss die Tür hinter mir und blickte jeden von ihnen einzeln an. Was wollten sie von mir? Mein Tag war ohne sie auch schon anstrengend genug.

"Wir wollen Antworten"

"Zu was?"

"Der Brief, dein Aufenthalt in Frankreich, einfach alles" Seufzend fuhr ich mir durch mein Haar. Ich hatte gehofft das erst später machen zu müssen.

"Wartet kurz, ich komme gleich" Ich ging hoch in mein Zimmer und zog mir eine Jogginghose und ein einfaches Top an. Unter meinem Bett holte ich eine Kiste hervor, die schon ein wenig eingestaubt war. Ich pustete und wischte den Staub weg und trug sie dann runter ins Wohnzimmer, wo sie schon auf mich warteten. Ich stellte sie auf den kleinen Couchtisch ab und setzte mich dann zwischen Devin und Jonah, die mir etwas Platz gemacht hatten.

Ich öffnete die Kiste und holte ein schwarzes Buch heraus. Ein Album um genau zu sein. Ich schlug es auf und man sah einen Zeitungsartikel. Junge, alleinstehende Frau gewaltsam ermordet stand dort in großen Buchstaben geschrieben. Im Wohnzimmer war alles still.

"Vor 3 Jahren machte in New Orleans ein Serienkiller seine Runde. Man nannte ihn den Chirurg" Ich blätterte um. Noch mehr Zeitungsartikel kamen zum Vorschein.

Der Chirurg hat wieder zugeschlagen oder Frauen leben in Angst und Schrecken, wann wird der Chirurg gefasst? waren nur einige Beispiele.

"Er tötet Frauen, niemand weiß nach welchen Schema er sie aussucht. Die Frauen, die er umbrachte zeigten keine Gemeinsamkeiten. Die Polizei konnte ihn nicht fassen. Er war ihnen immer 2 Schritte voraus"

"Wieso erzählst du uns das?" Ich ging nicht die Frage ein, sondern fuhr fort.

"Das Schlimmste an ihm war seine Vorgehensweise. Wie er diese Frauen tötete. Er betäubte sie, zog sie aus und fesselte sie an ihr Bett. Wenn sie wieder bei Sinnen war, vergewaltigte er sie. Danach ließ er sie noch einige Stunden voller Angst alleine"

Ich strich mir über die Augen um die Tränen zu verhindern. Ich holte tief Luft und erzählte dann weiter.

"Dann schnitt er ihr bei vollem Bewusstsein den Uterus heraus"

"Ich verstehe immer noch nicht warum du uns das erzählst aber was ist ein Uterus?"

"Die Gebärmutter. Nachdem er sie herausgeschnitten hatte, nähte er alles wieder zu. Während sie zusah, während sie Höllenqualen durchlebte"
Meine Hände zitierten.

"Danach schnitt er ihnen die Kehle durch" Ich blätterte weiter durch die verschiedenen Zeitungsartikel. Ich kannte sie und ihre Reihenfolge auswendig.

"Meine Mutter ging oft Blut spenden. Ich war oft mit. Dort gab es einen Medizinstudenten, der immer das Blut abzapfte. Er war immer freundlich zu mir. Ich dachte, dass er einfach höflich war. Ich wusste da noch nicht, was er vorhatte. Ich war eines Tages auf den Weg zu einer Freundin als er mir entgegenkam. Von da an war nur noch schwarz. Als ich wieder zu mir kam, lag ich auf einem fremden Bett in einem Keller. Ich war nackt, meine Hände und Füße waren an den Bettpfosten gefesselt. Dieser Medizinstudent, er...er"

Ich schluchzte. Meine Hände ballte ich zu einer Faust. Auf meine Fäuste legte sich jeweils eine große, warme Hand. Ich folgte mit meinem Blick den Arm hinauf zu diesen strahlend blauen Augen, dessen Besitzer mich so oft verwirrte. Meine Fäuste lösten sich und ich legte meine Hände in seine und er umschloss sie.

"Was hat er gemacht?", fragte er mit ruhiger Stimme.

"Er war in mir. Er bewegte sich in mir. Er hat mich vergewaltigt. Danach ließ er mich alleine. Ich hatte Angst. Er hatte Kabelbinder benutzt um mich zu fesseln. Eines hatte er zu locker gebunden. Ich versuchte meine Hand heraus zu winden. Nach einer Zeit schürfte ich meine Haut auf. Durch das Blut wurde meine Hand ganz glitschig und ich konnte sie befreien. Auf dem Nachttisch hatte er schon alles mögliche vorbereitet. Es lagen überall Skalpelle. Ich nahm mir eins und schnitt die andern Kabelbinder durch. Ich wollte meine Kleider suchen und dann versuchen abzuhauen. Doch plötzlich kam er wieder rein. Er schien überrascht, dass ich mich befreien konnte. Er drückte mich wieder zurück aufs Bett aber ich rollte die andere Seite wieder runter. Er meinte, dass ich widerspenstig wäre, das würde ihn scharf machen. Er würde noch eine zweite Runde einlegen. Ich wisch nach hinten und stolperte dabei über etwas. Ich fiel rücklings hin"

Jonah drückte meine Hand kurz und lächelte mich aufmunternd an.

"Er sagte, dass mich Kabelbinder wohl nicht aufhalten würden, er hätte sich etwas anderes überlegt"

Bei dem Gedanken, was er als nächstes tat, quetschte ich Jonahs Hand zusammen, was ihm allerdings herzlich egal war.

"Er nahm ein Skalpell und rammte es durch meine Hand in den Boden. Das Gleiche tat er mit meiner anderen Hand. Der Schmerz war unerträglich"

Die Tränen brachen aus mir raus. Ich konnte und wollte sie nicht mehr zurück halten. Mit verschwommener Sicht blätterte ich weiter. Man sah das Bett mit den Kabelbindern dran und die Skalpelle die überall herum lagen.

"Er stand vor mir und begann wieder sich zu entkleiden. Ich konnte mich keinen Millimeter bewegen. Es tat so weh. Ich lag nackt und wehrlos auf dem kalten Boden in meinem eigenen Blut. Ich wollte, dass es einfach nur vorbei war. Plötzlich hörte ich das Aufbrechen von einer Tür. Detective Moore, der Polizist der vor 2 Wochen hier war, und noch andere Polizisten haben sein Versteck ausfindig gemacht"

"Stop, dieser Cop hat dich nackt gesehen?"

"Falscher Zeitpunkt, Seth", brummte die tiefe Stimme neben mir.

"An dem Tag haben mich viele nackt gesehen. Nach der Verhaftung lag ich noch 5 Stunden auf dem Boden bis die Sanitäter mich daraus holen konnten. Danach lag ich noch eine Woche im Krankenhaus"

Ich blätterte wieder um. Man sah wie ich auf dem Boden festgenagelt war, hatte aber eine Decke um meinen Körper.

Auf dem nächsten Bild sah man eine Nahaufnahme von meiner Hand, in der ein Skalpell steckte. Das Bild danach zeigte die gleiche Hand ohne Skalpell.

"Ich lief ein Jahr mit dicken Verbänden herum. Dann schickte meine Mutter mich nach Frankreich. Offiziell weil es dort einen guten Physiotherapeuten gibt und damit ich Abstand von der ganzen Sache bekomme. Inoffiziell vermutete die Polizei, dass Lucas Hampton, so heißt der Medizinstudent, einen Komplizen hat, der mich an seiner Stelle ausschalten soll. Sie wollten, dass ich in Sicherheit bin"

Ich klappte das Buch zu und packte es wieder in den Karton.

"Ich war 2 Jahre dort, bevor man mir sagte, dass dieser Komplize mich gefunden hatte. Ich wusste nicht wie, aber ich musste wieder weg. Dad hat mir angeboten her zu ziehen, was ich auch getan hatte. Ich dachte, ich könnte nun endlich ein normales Leben führen. Daraus wurde ja nichts"

Ich wischte mir die Tränen weg. Die Geschichte immer wieder durchleben zu müssen, war einfach zu viel.

"Heute kam dieser Brief. Ihr habt ihn alle gelesen. Es war Hampton. Ich wusste es sofort. Bei der Polizei hatte er gestanden, dass er einen Komplizen habe und dieser Komplize mir den Brief geschickt hatte. Er wollte aber nicht sagen, wer sein Komplize ist"

Ich stand auf.

"Ich geh' in mein Zimmer wenn es euch nichts ausmacht" Mit diesen Worten ließ ich sie allein.

Scars of the pastWo Geschichten leben. Entdecke jetzt