Kapitel 1: Eine dumme Kuh mit großer Fresse

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Meinen Kopf lehnte ich an das kühle Fensterglas des Taxis, indem ich mich befand. Ich schaute auf meine Armbanduhr um herauszufinden wie spät es gerade ist. 20 Uhr. Mein Blick fiel auf meine beiden Hände. Beide waren sie an der Handinnenfläche und am Handrücken mit einer großen Narbe versehen. Seufzend fuhr ich sie mit dem Finger nach. Allein diese Berührung hinterließ auf meinem Körper eine Gänsehaut.

Erinnerungen spielten sich vor meinem inneren Auge ab, doch schnell schüttelte ich den Kopf und konnte die Gedanken vertreiben, sonst hätte ich womöglich angefangen zu weinen. Ich fuhr schon eine Weile durch Seattle. Ich war auf dem Weg zu meinem Vater, der mir angeboten hatte zukünftig bei ihm zu wohnen. Ich freute mich darauf ihn wiederzusehen, da ich 2 Jahre in Frankreich gelebt hatte und somit nur telefonisch Kontakt mit ihm hatte.

Wir hätten natürlich auch skypen können, doch mein Vater war noch nie ein großer Freund von Computer und Internet und wenn ich ehrlich bin, ich auch nicht. Von meinem Vater wusste ich eigentlich nicht besonders viel. Als ich 4 Jahre alt war, ließen sich meine Eltern scheiden. Ich zog mit meiner Mutter nach New Orleans und mein Vater kam mich gelegentlich in den Ferien besuchen.

Es war also 12 Jahre her, dass ich in Seattle war und das Haus meines Vaters, indem wir als Familie wohnten, gesehen hatte. Wieso er immer mich und nie ich ihn besuchte? Meine Mutter wollte das, aufgrund des Berufes meines Vaters, nicht. Mein Vater ist Sozialarbeiter und kümmerte sich um Jugendliche, die auf der Straße leben, in schlechten Familienverhältnissen leben oder schon einmal mit der Polizei zu tun hatten.

Meine Mutter wollte mich vor dieser Seite des Lebens schützen und auch mein Vater war dieser Meinung. Trotzdem war ich, da mein Vater es mir vorgeschlagen hatte, auf dem Weg zu ihm. Ich war momentan nicht gut auf meine Mutter zu sprechen, da sie mich, ohne um meine Erlaubnis zu bitten, auf ein Mädcheninternat geschickt hatte. Ein katholisches Mädcheninternat.

Ein katholisches Mädcheninternat mitten in Frankreich, also praktisch am Arsch der Welt. Das Beste, oder eher gesagt das Schlimmste, war immer noch, dass die Lehrerinnen, die dort unterrichteten, Nonnen waren. Im Ernst. Nonnen. Alte Damen in schwarzen Kutten.

Noch dazu kam, dass wir eine Schuluniform tragen mussten. Wie also jeder schlussfolgern konnte, war ich von der Entscheidung meiner Mutter nicht begeistert und das sagte ich ihr, wie auch meinem Vater. Seitdem herrschte bei meiner Mutter und mir praktisch Funkstille. Wir haben nur an den Geburtstagen des jeweils anderen und an anderen Feiertagen miteinander telefoniert.

Mit meinem Vater hatte ich jedoch fast jeden Tag telefoniert und ich freute mich auch ihn nach 2 Jahren endlich wiedersehen zu können. Das Taxi hielt an und wir standen vor einer großen Halle. Mein Vater hatte, seinen Erzählungen nach, Wohnen und Arbeit kombiniert. In der untersten Etage waren sein Büro und Räume, in denen sich seine Schützlinge aufhielten.

Die oberste Etage hatte er zu einer modernen Wohnung umgebaut, daran konnte ich mich noch erinnern. Ich gab dem Taxifahrer sein Geld und noch etwas Trinkgeld, da er meinen schweren Koffer aus dem Wagen gehoben hatte. Das Taxi fuhr weg und ließ mich auf diesem großen Parkplatz mitten in Seattle stehen. Ich atmete einmal tief durch. Die Abendluft war kälter als in Frankreich. Ich drehte mich Richtung Halle um, schnappte mir meinen Koffer und machte mich auf den Weg.

Die Halle war nur durch eine große Eingangstür zu erreichen und zu meinem großen Leidwesen stand dort jemand der definitiv nicht mein Vater ist. Ich steuerte also die Tür und damit auch diesen Typen an und bei genauerem Hinsehen erkannt ich, dass es ein Junge oder besser gesagt ein junger Mann war, vielleicht etwas älter als ich und ziemlich durchtrainiert. Er zündete sich gerade eine Kippe an.

Ich kam näher und nun bemerkte er mich. Fragend zog er eine Augenbraue hoch, sagte jedoch nichts. Dachte ich zumindest. Kurz bevor ich die Eingangstür erreichte, dachte der Herr sich wohl ein Gespräch mit mir anfangen zu müssen.

"Hast du dich verlaufen, Kleine?" Die Hand, die ich heben wollte um die Tür zu öffnen, senkte ich wieder und wandte mich dann ihm zu. Meine Ärmel zog ich über meine Hände.

"Sehe ich so aus?", stellte ich die Gegenfrage. Er zuckte bloß mit den Schultern.

"Normalerweise halten sich keine jungen Dinger, wie du, hier auf"

"Warum denn bloß?" Die Ironie in meiner Stimme blieb auch ihm nicht verborgen.

"Weißt du, wir kommen auch ohne Weiber, wie dich, zurecht" Bedrohlich kam er einen Schritt näher, ich wich einen Schritt zurück. Ich wollte gerade etwas antworten, doch wurde durch ein, mir bekanntes, Bellen daran gehindert. Die Tür öffnete sich und ein Husky flitzte hindurch und in die Dunkelheit. Ein weiterer Typ, ähnlich wie mein Gegenüber, bloß dunkelhäutig, versuchte noch ihn ein zu fangen, jedoch vergeblich.

"Das ist schon das 3. Mal, dass er diese Woche abgehauen ist", fluchte er. Ich ließ einen lauten Pfiff aus. Nun bemerkte auch dieser Typ mich und musterte mich mit gerunzelter Stirn. Sagen konnte er jedoch nichts, da der Husky nun wieder aufgetaucht ist. Ich ging in die Hocke und streichelte ihn. Danach richtete ich mich wieder auf und sah in 2 fassungslose Gesichter.

"Wie ich sehe, kommt ihr zurecht", meinte ich spöttisch und schnappte mir meinen Koffer.

Der Husky, besser bekannt als Dexter, mein 5-jähriger Hund, der hier bei meinem Vater lebte, da ich ihn nicht mit nach Frankreich nehmen konnte, wich mir nicht mehr von der Seite.

"Alter, weißt du wer das ist?", hörte ich den dunkelhäutigen flüstern.

"Eine dumme Kuh mit großer Fresse"

"Der Trainer sagte mal, dass der Hund nur 2 Menschen gehorcht. Ihm und seiner Tochter" Nun ging auch dem anderen ein Licht auf und seine Augen weiteten sich.

"Scheiße...", war das letzte, was ich hörte bevor ich die Halle betrat.

Scars of the pastWo Geschichten leben. Entdecke jetzt