"Hab ich mir doch gedacht, dass ich dich hier finde!" Carlos, mein zweiter Lieblingsbetreuer, reißt uns aus unserem Schlaf. Mir war überhaupt nicht bewusst, dass wir eingeschlafen sind und könnte mir in den Hintern beißen, da wir wieder kostbare Zeit verschwendet haben. Der Betreuer setzt sich auf ein freies Stück der Matratze und mustert Anton und mich mit einem traurigen Lächeln.
Erst als ich einen meiner wundervollen Hustenanfälle Raum zur Entfaltung geben muss, scheint sich Carlos an sein eigentliches Vorhaben zu erinnern: "Anton, geh dich bitte fertig machen, dann kannst du noch etwas frühstücken, bevor du gehst!" Er wuschelt meinem Kumpel durch die Haare und deutet mit seinem Kopf zur Türe. Bevor Anton aufsteht, dreht er seinen Kopf zu mir, um mich mit stark geröteten Augen anzuschauen: "Kommst du nachher noch zum verabschieden?" "Klar!", bestätige ich. Bei dem Gedanken an die bevorstehende Verabschiedung krampft sich mein kompletter Magen zusammen. "Dann bis nachher." Nach einem kleinen Lächeln steht der Blonde endlich auf und macht sich auf den Weg in sein Zimmer.
Meine morgendliche, zähflüssige Schleimansammlung kratzt unangenehm in meinen Lungen und möchte mich unbedingt wieder zum Husten bringen. Ich versuche es, wie so oft, zu unterdrücken, da der Husten so direkt nach dem aufstehen doch recht schmerzhaft ist.
"Nicht unterdrücken, Lias. Der Schleim muss raus, weißt du doch!" Damit ich besser Luft bekomme, zieht mich der Betreuer nach oben, in eine aufrechte Sitzhaltung. "Wenn Anton aufgebrochen ist, dann inhalieren wir, okay?"
"Willst du heute auch mal einen Zug davon nehmen?" "Nein, danke. Hahaha. Jetzt komm schon. Aufstehen. Wasch dich ein bisschen und zieh dir was an. Anschließend kommst du ins Büro, deine Tabletten abholen, ja?" "Hab keine andere Wahl!", krächze ich vor mich hin und schwinge meine Füße an Carlos vorbei, um endlich aufzustehen.Mit erfrischtem Gesicht, geputzten Zähnen und frischen Klamotten am Leib, nehme ich Kurs auf das Zimmer, in dem die Betreuer immer ihr Leben chillen. Man kann verstehen, dass sie auch manchmal eine Verschnaufpause von den ganzen Kindern brauchen, denn es gibt immer jemanden der Hilfe braucht oder einfach nur etwas Aufmerksamkeit einfordern will.
Wieder überkommt mich eine kleine Hustenattacke, bei der ich meine Hand auf meinen Magen lege, da ich vorhin schon das Waschbecken mit dem klebrigen Sekret beglücken musste und mir das Würgen Muskelschmerzen beschert. Carlos muss mich gehört haben, denn der reißt schon wenige Sekunden später die Türe auf und gesellt sich zu mir. "Versuche ganz ruhig zu atmen, Lias. Durch die Nase einatmen und durch den Mund ausatmen." Es dauert, bis ich mich gefangen habe und das Würgen, sowie der Husten endlich abflachen. "Geht's wieder?" Der Betreuer lässt einmal seine Hand durch meine Haare gleiten und schiebt mir somit die viel zu langen Strähnen aus meinem Gesicht. Ich traue mich nicht zu reden und nicke nur vor mich hin. Nachdem Carlos einen Blick auf seine Armbanduhr geworfen hat, richtet er sich wieder auf, greift nach meiner Hand und zieht mich in die Betreuer-Chilllounge.
Mit Tabletten im Bauch und komischen Gefühl im Magen, machen wir uns auf den Weg zum Innenhof. Kaum haben wir die große Türe des Gebäudes geöffnet, sehe ich auch schon Anton mitten im Hof stehen. Neben ihm haben sich eine Frau und ein Mann platziert, wobei das männliche Geschöpf einen Arm um die Schultern meines Kumpels gelegt hat. Die Heimleiterin, die mit etwas Abstand vor den dreien steht, redet ohne Punkt und Komma. Carlos läuft sofort auf die vier zu, doch ich bleibe direkt im Türrahmen stehen. Meine Beine haben sich innerhalb kürzester Zeit mit Beton gefüllt, so dass ich keinen Schritt mehr laufen kann.
Eigentlich habe ich mir vorgenommen für Anton stark zu sein und nicht zu heulen, um ihm den Abschied nicht noch schwerer zu machen. Doch das Gefühl von Verlust, Trauer und Einsamkeit steht direkt hinter mir. Es fährt seine Klauen aus und umfasst von hinten meinen Nacken, um seine spitzen Klauen in meinen Hals zu rammen und sich langsam meinen Nacken hochzuarbeiten. Mein Körper fängt an zu kribbeln, als die Emotionen meinen Kopf erobern und die ersten Tränen mit einem festen Tritt über meine Augenlider geschickt werden.
"Lias! Komm her!", ruft Carlos über den ganzen Hof und beschert mir somit leider volle Aufmerksamkeit. Ich schüttle meinen Kopf und versuche meine zitternden Mundwinkel unter Kontrolle zu bekommen, während mein Sehorganspringbrunnen auf Hochtouren arbeitet.
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Lias will glücklich sein
FanfictionAls wäre das Leben mit einer täglich quälenden Erkrankung nicht schon schwer genug, muss Lias sich von seinem besten Freund Anton verabschieden. Die beiden Heimkinder hatten so viele Dinge zusammen geplant, die Lias helfen sollten, im täglichen Kamp...