Jonathan's Sicht
"Hey, Jona!", schreit mir eine weibliche Stimme hinterher, als ich gerade den Aufenthaltsraum der Betreuer betreten will, um meinen Dienst gleich anzutreten. Ich wende mich Clarissa zu, die abgehetzt auf mich zugelaufen kommt. "Hi. Was gibt es denn?" "Ich habe vier Probleme! Erstens: Fabius wurde beim Klauen erwischt und jetzt hat er sich in seinem Zimmer eingesperrt. Zweitens: Lotta hat versucht, sich die Haare zu flechten und mindestens hundert Knoten entstehen lassen. Die Haare müssen geschnitten werden, da man sonst ewig mit dem Entknoten beschäftigt ist. Jetzt heult sie seit einer Stunde und kratzt und beißt, wenn ich mich ihr nähern will. Drittens: Milan ist unauffindbar und viertens: Lias wird in einer Stunde von seinem Onkel abgeholt und dem sollte man noch zeigen, wie das mit dem mobilen Inhalator funktioniert, damit Lias sich vor Sorge nicht einpinkelt!" Ich fahre mir mit beiden Händen durchs Gesicht und atme tief durch.
Wenn Clarissa Dienst hat und ich die Folgeschicht übernehme, brennt jedes Mal die Bude und immer muss ich an verschiedenen Baustellen retten, was zu retten ist. "Hallo? Kannst du mal irgendetwas sagen?", fordert mich meine Kollegin auf und tappelt nervös mit dem Fuß auf dem Boden. Nach einem kräftigen Atemzug entferne ich meine Hände von meinem Gesicht und lehne mich leicht gegen die Wand zu meiner rechten. "Also, zu Fabius: Frau Türk hat doch gesagt, dass man sie informieren soll, falls ein solcher Vorfall wieder eintrifft. Hast du das schon gemacht?" "Nö!" "Warum nicht?" "Sehe ich so aus, als wenn ich mich duplizieren und alles auf einmal machen könnte?", giftet mir Clarissa entgegen, sieht aber eher so aus, als ob sie diese Option überhaupt noch nicht in Erwägung gezogen hätte. "Bleib doch mal ruhig! Eins nach dem anderen. Du gehst jetzt zu Frau Türk und regelst die Situation wegen Fabius. Alles andere regele ich. Wo ist eigentlich Nadine? Die hat doch auch Schicht, oder?" "Keine Ahnung. Die is irgendwann mal zum Rauchen und seitdem habe ich sie nicht mehr gesehen!" Kopfschüttelnd wende ich mich ab und betrete endlich den beabsichtigten Raum.
Inmitten der Sofaecke finde ich Nadine vor, auf deren Schoß der verschollene Milan sitzt. "Hi, ihr zwei. Alles okay?"
"Ja. Jetzt wieder. Milan hat sich seine Stirn angeschlagen und das mussten wir eine Zeit lang kühlen. Sieht jetzt nur noch halb so schlimm aus!", erklärt mir meine Kollegin lächelnd und drückt den siebenjährigen Jungen etwas von ihrem Körper weg, um die Beule nochmals zu kontrollieren.Punkt eins erledigt. Verschollenen Kind gefunden…
"Dann hat der junge Mann ja nochmal Glück gehabt!" Ich zwinkere dem Kleinen zu, der mir sein Gesicht zuwendet und seine knallroten Augen präsentiert. Der Zusammenstoß muss mächtig weh getan haben, denn bei Milan braucht es dann schon einiges, damit er ein paar Tränchen vergießt. Sein aufflackerndes Lächeln signalisiert mir aber, dass jetzt wirklich wieder alles in Ordnung zu sein scheint. "Du, ich gehe mal kurz nach Lias schauen und versuche anschließend, die Knoten aus Lottas Haaren zu entfernen. Clarissa ist bei Frau Türk, zwecks Fabius!" "Also, ganz ehrlich, Jona. Ich weiß gar nicht, was diese Frau hier zu suchen hat! Die hat sich heute wieder benommen, wie ein gefühlloser Assi. Heute morgen hat sie Lotta angeschrien und ihr die Puppe weggenommen. Anschließend hat sie Lias beim Frühstück blöd angemacht und Felix hat mir erzählt, dass sie bei dem anschließend heftigen Hustenanfall von Lias nur genervt auf die Uhr geschaut hätte. Felix hat sich dann um Lias gekümmert. Nachdem sie Fabius beim Klauen erwischt hat, hat sie ihm gesagt, dass er jetzt in das dunkelste Loch einer Gefängniszelle gesperrt und erst wieder in zwanzig Jahren freigelassen wird. Darum hat er sich auch eingeschlossen. Als ich dann nach fünf Stunden Dienst eine rauchen wollte, hat sie mich angeschrien, dass sie nicht einmal einen Kaffee trinken kann und ich andauernd rauchen würde. Als sie sich umgedreht hat, hat sie Milan gestoßen, der dann ungeschickt mit der Stirn gegen den Türrahmen gefallen ist. Anstatt dem Jungen zu helfen, ist sie einfach abgedampft. Was für einen Sinn hat ihre Anwesenheit?" Tatsächlich habe ich mir diese Frage auch schon oft gestellt, jedoch nie eine Antwort darauf gefunden.
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Lias will glücklich sein
FanfictionAls wäre das Leben mit einer täglich quälenden Erkrankung nicht schon schwer genug, muss Lias sich von seinem besten Freund Anton verabschieden. Die beiden Heimkinder hatten so viele Dinge zusammen geplant, die Lias helfen sollten, im täglichen Kamp...