Pauls Sicht
Die letzten paar Tage waren sehr anstrengend. Zuhause bin ich kaum gewesen, da ich fast nur zwischen KaS und Revier hin und her gependelt bin. Lias ging es drei Tage lang sehr schlecht und wäre fast auf die Intensivstation verlegt worden, da er durch das Fieber so sehr geschwächt war und er zusätzlich kaum Luft bekommen hat. Gestern hat sich das Fieber Gott sei dank wieder von selbst gesenkt, so dass er heute morgen nur noch leicht erhöhte Temperatur vorzuweisen hatte. Dr. März war dann doch nochmal bei Lias und hat ihm ein anderes Medikament zum Inhalieren gebracht, was uns mit großer Sicherheit vor einer Lungenentzündung bewahrt hat, denn die Weichen waren gestellt. Mir ist es total Unrecht, ihn morgens nur eine Stunde besucht zu haben, aber heute steht die Renovierung seines Zimmers an. Anton wurde heute morgen entlassen, da er den Ärzten nicht länger vorspielen konnte, das er Schmerzen hat und so habe ich ihn gleich als Unterstützung zum einkaufen mitgenommen.
Während ich vor dem Regal stehe und mit offenen Augen schlafe, wuselt Anton von links nach rechts und versucht für seinen besten Kumpel die perfekte Farbe ausfindig zu machen. Ich bin dem kurzen wirklich dankbar für seine Hilfe, denn bei dem Aufgebot hätte ich mich sicher nicht entscheiden können. "Die da! Die wird Lias zu hundert Prozent gefallen! Ganz sicher. Paul? Paaaaul!" Erst nachdem der Junge ein paar mal auf meinen Arm geklopft hat, realisiere ich, dass er mit mir redet. "Was hast du gesagt?" "Wie kannst du mir ins Gesicht schauen und nicht mitbekommen, was ich gesagt habe?" "Wenn du erwachsen bist findest du das von ganz alleine raus. Glaub mir. Also, welche Farbe ist denn jetzt deinem Ermessen nach gut?"
Anton läuft ein paar Schritte nach rechts und bleibt vor einem Eimer stehen, der eine dunkelgrüne Farbe beherbergt. "Die hier wird ihm ganz bestimmt gefallen!" "Ganz sicher? Ich vertraue dir!" "Ja, na klar. Lias mag grün, blau und schwarz. Am liebsten hat er aber grün." Anton grinst mir breit entgegen, da er meinen Neffen einfach besser kennt und sich über die Entscheidungsvollmacht sehr zu freuen scheint. Ich muss schon sagen, dass dieses Kind genauso taff, anständig, aufgeschlossen und auch lieb wie Lias ist."Gut. Dann holen wir auch noch schnell einen Eimer mit weißer Farbe und bringen das dann nach Hause, damit die Herrschaften anfangen können!", sage ich und schnappe einen Eimer der grünen Farbe, um ihn in den Einkaufswagen zu stellen.
Meine Kollegen sind schon in meiner Wohnung mit dem Ausräumen und Abkleben des entsprechenden Zimmers beschäftigt. Ursprünglich wollte ich die Arbeitsplanung ganz anders gestalten, aber Stephan und Tom haben mir das Zepter aus der Hand genommen und die Aufgaben so koordiniert, wie sie es selbst für am sinnvollsten gehalten haben. Böse bin ich im Nachhinein nun wirklich nicht darüber, denn solange die Männer und Frauen nachher streichen, werden Anton, Marc und ich Möbel einkaufen gehen. Herr Westernhoven war so geistesgegenwärtig und hat für den heutigen Tag einen Sprinter gemietet, damit wir sofort Möbel mitnehmen können. Wenn ich meine Freunde nicht hätte, wäre ich heute wohl völlig verloren.
Nachdem die Farbe abgeliefert ist, schmeißen wir den Kindersitz, inklusive Anton, in den Sprinter und fahren zum nächstgelegenen Möbelhaus.
"Du? Du bist doch auch Polizist, oder?", will Anton von Marc wissen, während dieser soeben an einer roten Ampel angehalten hat. "Ja, das bin ich. Warum?" Marc wirft einen Blick zur Seite, da der Kurze zwischen uns sitzt. "Ich frage mich gerade, ob du von den Kollegen nebenan auch einen Strafzettel bekommen wirst, wenn die gecheckt haben, dass du nicht angeschnallt bist. Was meinst du, wie deine Chancen stehen?"
Herr Westernhoven zieht die Augenbrauen zusammen und will nebenher mit der Hand nach dem Gurt über seiner Brust greifen, doch da ist nichts vorzufinden. "Shit, das muss ich ganz vergessen haben", flucht er leise vor sich hin und wirft einen Blick zu dem Nachbarauto, das ganz klar einen Streifenwagen verkörpert. Mit der linken Hand fummelt Marc an dem Gurt herum und versucht sich unauffällig anzuschnallen. Da das einhändig nicht ganz so gut klappt, ist ihm Anton behilflich, indem er die Schnalle in die dafür vorgesehene Vorrichtung steckt. "Danke, Kurzer. Das muss ich vorhin total verdrängt haben!" "Kein Problem. Eine Hand wäscht die andere. Vielleicht brauche ich irgendwann auch mal deine Hilfe", erwidert der Junge und lässt sich zufrieden Gegen die Rückenlehne fallen. "Die bekommst du jederzeit, auch ohne Gegenleistung! Wie gefällt es dir denn in deiner neuen Familie? Hast du dich schon ein bisschen eingelebt?" "Noch nicht richtig. Ich war ja mehr im Krankenhaus als bei Alex und Mara. Aber die beiden sind wirklich toll. Vielleicht ist Alex manchmal etwas zu viel in Sorge. Er hat immer Angst, das ich mich verletze oder Schmerzen habe oder so." "Hahaha. Damit wirst du leben müssen. So sind die Ärzte eben. Warte nur bis du auf den restlichen Haufen triffst. Die sind kein Stück besser. Aber es freut mich, das du dich soweit wohl fühlst!", sagt Marc amüsiert. "Weißt du was das coolste ist? Dass Lias jetzt nicht mehr so alleine im Heim bleiben muss. Ich hatte wirklich Bauchschmerzen deswegen. Weiß er eigentlich schon, dass er nächste Woche zu dir kommen darf, Paul?" Anton dreht seinen Kopf zu mir und mustert mich neugierig. "Nein. Ich möchte ihn gerne überraschen. Wir müssen aber eh noch abwarten, ob die Frau vom Jugendamt irgendetwas zu meckern hat." "Ich bin so froh, dass Lias dich gefunden hat. Jetzt hat er auch endlich einen Erwachsenen ganz für sich alleine.... Wir haben uns immer gewünscht, dass wir vielleicht nur ein paar Straßen auseinander wohnen werden, wenn wir mal eine Familie finden, damit wir für immer Freunde sein können. Jetzt ist es aber noch viel besser gekommen. Ich hoffe nur, dass das Glück uns nicht verarscht!" "Wie meinst du das?", frage ich etwas verwundert. "Na, wenn irgendetwas Gutes passiert, folgt darauf meistens irgendetwas Schlechtes. Und das ist oft so schlimm, dass das Gute plötzlich gar nicht mehr so toll ist."
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Lias will glücklich sein
FanfictionAls wäre das Leben mit einer täglich quälenden Erkrankung nicht schon schwer genug, muss Lias sich von seinem besten Freund Anton verabschieden. Die beiden Heimkinder hatten so viele Dinge zusammen geplant, die Lias helfen sollten, im täglichen Kamp...