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Immer noch Pauls Sicht

"Einen wunderschönen guten Morgen, die Herrschaften!"

Was zum Geier...

Nur langsam lassen sich meine Augenlider öffnen, durch die ich im ersten Moment, außer viel zu grellem Licht, nichts sehen kann.
"Verzeihen Sie, dass ich sie schon so früh überrumpele, aber ich hatte gerade Luft zwischen meinen Patienten und wollte die Gunst der Stunde nutzen. Ich unterhalte mich erst kurz mit Lias, damit ihre Seele in ihren Körper zurückfinden kann!"

Boah, Junge... Was redet der da?

Als ich durch die kleinen Schlitze meiner Augen schiele, sehe ich Lias aufrecht im Bett sitzen. Seine Schnute ist mit einem Milchschleicher verziert und seine Haare stehen in alle Richtungen ab. "Morgen Paul!", begrüßt mich der Kurze breit grinsend. "Guten Morgen, Lias. Alles gut bei dir?" "Ja. Ich bekomme heute viel besser Luft und das Husten ist gar nicht mehr so anstrengend."

Wie ist es möglich, dass ich gar nicht mitbekommen habe, dass das Kerlchen schon wach ist und auch schon gefrühstückt hat?

Ich schenke ihm ebenfalls ein Lächeln. Na ja, ich hoffe es zumindest, denn die Hälfte meines Gesichts schläft noch: "Das freut mich. Ich muss nur kurz wach werden und dann bin ich gesprächiger." Obwohl ich ihn gar nicht beachtet habe, meldet sich der menschliche Wecker zu Wort: "Wissen Sie was? Ich besorge uns beiden eine Tasse Kaffee. Wie hätten Sie es denn gerne? Mit Milch und Zucker oder nur mit Milch oder Zucker? Oder doch lieber einen Cappuccino oder gar..." "Schwarz", presse ich zwischen meinen Zähnen hindurch und seufze leicht auf. Mein Kopf fühlt sich an, als hätte ich sämtliche Biervorräte des Sommerfestes geleert. "Wunderbar. So trinke ich den Muntermacher auch am liebsten. Dann verschwinde ich mal schnell!"

Nimm deinen Mund bitte mit! Dieses Gelaber kurz nach dem Aufwachen ist ätzend...

Kaum ist die Türe ins Schloss gefallen, ziehe ich mir die Decke über den Kopf, um in Ruhe zu mir zu kommen. Nach ein paar Sekunden der Stille ertönt Lias' Stimme: "Geht's dir gut? Brauchst du irgendetwas?" Sofort flutet mich eine Welle des Schames, denn Lias liegt hier im Krankenhaus weil es ihm schlecht geht und ich lasse meinem inneren Morgenmonk freien Lauf.
Sofort ziehe ich die Decke wieder nach unten und richte mich auf.

Man sieht Lias an, dass er gestern keinen guten Tag hatte. Er ist immer noch extrem blass und seine Augen sind leicht geschwollen, vom vielen weinen. "Tut mir leid. Ich brauche morgens nur ein bisschen, bis ich in die Gänge komme. Ich ziehe mir schnell etwas an, bevor die Labertasche zurückkommt. Wer ist das eigentlich?" "Haha. Ich war zum Glück schon wach. Ich mag das auch nicht, wenn man mich so aus dem Schlaf reißt. Keine Ahnung. Den habe ich noch nie gesehen." Seufzend schiebe ich die Bettdecke von meinen Beinen und mache mich auf den Weg zum Badezimmer. Meine nackten Fußsohlen saugen die Kälte des grässlichen Linoleumbodens auf, was mir einen kleinen Ganzkörperschauer beschert.

Gerade als ich die Türe zum Badezimmer öffne, meldet sich Lias nochmal zu Wort: "Du Paul?" "Ja?" Ich drehe mich um und schaue meinem Neffen ins Gesicht. "Entschuldigung wegen gestern und danke, dass du hier geblieben bist!" "Du brauchst dich doch für nichts zu entschuldigen!" "Wegen mir hast du dein Sommerfest verpasst und musstest heute Nacht auf diesem Ding da schlafen." Der kleine Mann verzieht schuldbewusst sein Gesicht. "Lias, hör bitte auf so zu denken!", ich drehe um und steuere auf das Bett zu, um mich neben meinen Neffen zu setzen, "mir war es wichtiger, bei dir zu sein. Dieses Sommerfest ist doch total egal. Darum musst du dir keinen Kopf machen und wenn ich nicht hier bei dir hätte schlafen können, hätte ich bestimmt kein Auge zugemacht vor lauter Sorge." "Aber du kennst mich doch kaum...", erwiedert er niedergeschlagen. Mir scheint, dass ich meine Erklärungen noch ein paar mal wiederholen muss, bis Lias meine Beweggründe versteht. "Pass mal auf... Es stimmt, dass wir uns eigentlich total fremd sind, aber das ändert nichts an der Tatsache, dass wir Familie sind. Ich für meinen Teil möchte dich gerne kennenlernen und dabei ist es mir egal, ob du ständig irgendwelche Medikamente nehmen oder inhalieren musst. Es ist mir auch egal, ob du oft krank bist oder wir mehrmals im Monat zu irgendwelchen Ärzten oder ins Krankenhaus fahren müssen. Also, egal ist mir das natürlich nicht, für dich tut es mir leid...", stammele ich vor mich hin. Bei dem letzten Satz stöhne ich dann genervt über mich selbst auf. Irgendwie habe ich das Gefühl, dass ich vor lauter Vorsicht, welche Worte ich ausspreche, in ein Fettnäpfchen nach dem anderen springe.

Lias will glücklich seinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt